Die Reaktionen auf den Anschlag in Frankreich

Feuer und Flamme für Satire

Bisher ist nicht bekannt, wer hinter dem Brandanschlag auf Charlie Hebdo steckt. Die linke Zeitung wehrt sich gegen Vereinnahmungsversuche von Rechts und wird dennoch des Rassismus bezichtigt.

In der Nacht vom 1. zum 2. November brannte in Paris die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo zu zwei Dritteln aus, alle Computer wurden dabei zerstört. Ein Molotow-Cocktail war durch ein Fenster geworfen worden. Am folgenden Morgen erschien eine aufsehenerregende Ausgabe der für ihren Antiklerikalismus und ihren beißenden Spott bekannten Zeitschrift, die den Titel »Charia Hebdo«, also »Sharia-Wochenzeitung«, trug. Als »Chefredakteur auf Zeit« wurde der Prophet des Islam präsentiert, also Mohammed.
Dass ein Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen bestehen könnte, ist naheliegend, bewiesen ist es jedoch bisher nicht. Redakteure der Wochenzeitung selbst mutmaßten in Le Figaro am vergangenen Freitag, es könnte sich etwa auch um eine rechtsextreme Provokation handeln, um Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen anzuheizen. Auch sprach der 44jährige Chefredakteur Stéphane Corbonnier, alias »Charb«, davon, dass es sich vielleicht um die Tat von »Kapuzenpulliträgern aus einer Banlieue, die noch nie im Leben einen Koran in der Hand hatten«, handeln könnte. Also von Leuten, die sich vielleicht ganz gerne in das Gefühl hineinsteigern, ihre Re­ligion sei beleidigt worden, um über einen Anlass zu verfügen, wütend zu sein und das jemanden spüren zu lassen.

Bislang konnten die Urheber des Brandanschlags nicht identifiziert werden. In Zeitungsberichten vom Ende vergangener Woche war davon die Rede, Anwohner hätten zur fraglichen Zeit zwei »afrikanische Männer« beobachtet. Bewiesen ist jedoch bislang nichts, und bei solchen Augenzeugenberichten sollte man erfahrungsgemäß immer Vorsicht walten lassen.
Der Verdacht, dass es sich um einen religiös motivierten Anschlag islamistischer Täter handeln könnte, wurde jedoch dadurch verstärkt, dass fast gleichzeitig die Homepage von Charlie Hebdo Ziel eines Hackerangriffs wurde. Auf die Website wurde ein Bild von Mekka gestellt mit der Aufschrift: »Seid gottverdammt. Wir sind Euer Fluch im Cyberspace.« Die Urheber dieses Angriffs sind inzwischen bekannt, es handelt sich um eine Gruppe von in der Türkei lebenden jungen Hackern, welche unter dem Namen Akincilar auftritt. Einer von ihnen, der 20jährige Ekber, alias »Black Apple«, bekannte sich gegenüber einer französischen Sonntagszeitung dazu. Er erklärte, seine Gruppe habe gegen eine Beleidigung des Propheten Mohammed vorgehen wollen. Zugleich verurteilten Ekber und Akincilar jedoch den Brandanschlag.
Die Redaktion der Satirezeitung hatte ihre Ausgabe vom 2. Novemebr ganz dem Thema Sharia gewidmet, um »die Wahlergebnisse in Tunesien und die Erklärung der Sharia zur Quelle der Gesetzgebung in Libyen zu begrüßen«. Die Redakteure wollten jene Leute bloßstellen, die im Zusammenhang mit den nordafrikanischen Ländern von »moderaten Islamisten« sprechen. Die Zeitung publizierte daher in ihrem Innenteil eine Doppelseite über »die gemäßigte Sharia«, so der sarkas­tische Titel. Erwartungsgemäß geht es auch dort um die Verhüllung von Frauen, Züchtigungsstrafen und ähnliche Dinge. Auf der Titelseite der Ausgabe sieht man eine Zeichnung eines angeblichen Mohammed, der die Zeitung mit den Worten ankündigt: »Wenn Ihr Euch nicht totlacht, gibt es 100 Peitschenhiebe!«

Totlachen mochten sich die meisten muslimischen Verbände nicht, sie kritisierten das Karikieren des islamischen Propheten. Die größeren Organisationen verurteilten jedoch allesamt eindeutig und nachdrücklich den Brandanschlag. Auch die Muslimbruderschaft in Kairo meldete sich zu Wort und verlangte eine Entschuldigung von der Zeitung dafür, die »muslimische Welt beleidigt« zu haben.
Anders als einzelne muslimische und antirassistische Strömungen in Frankreich behaupten, hat Charlie Hebdo sicherlich keine rassistischen Motive. Es handelt um eine linke Zeitung, die gegenüber religiösen Gefühlen auch der Katholiken als stärkster Religionsgemeinschaft in Frankreich aus Sicht der Gläubigen mindestens ebenso respektlos auftritt wie gegenüber jenen der Mus­lime. Nichtsdestotrotz erhielt die Zeitung Unterstützung von Politikern mit durchaus rassistischen Absichten. Etwa von Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National, die von einem »Anschlag auf den französischen Laizismus« sprach.
Auch der rechtskonservative Innenminister Claude Guéant – gegen den eine Strafanzeige wegen rassistischer Auslassungen anhängig ist, weil er »die komorische Community in Marseille« wörtlich als »Ursache von viel Kriminalität« bezeichnet hat – gehört dazu. Er stattete der verwüsteten Reaktion einen symbolischen »Solidaritätsbesuch« ab. Doch Charlie Hebdo wehrte sich gegen die Vereinnahmungsversuche. Am Freitag erschien eine vierseitige Karikaturenbeilage des Satireblatts in der linksliberalen Tageszeitung Libé­ration. Darin wird die plötzliche Gefühlsaufwallung von Claude Guéant für die Presse- und Meinungsfreiheit sarkastisch hinterfragt, indem darauf hingewiesen wird, dass es Guéant war, der 2010 mehrfach Journalisten illegal abhören ließ, um »lecke Stellen« in der Regierung aufzuspüren. Nicht alle Umarmungsversuche sind also willkommen.

In Teilen der antirassistischen Bewegung gibt es dennoch deutliche Vorbehalte gegenüber Charlie Hebdo. Daraus resultierte ein am 5. November im Internet veröffentlichter Text mit dem Titel »Für die Verteidigung der Meinungsfreiheit, gegen eine Unterstützung von Charlie Hebdo«. Die insgesamt 20 Unterzeichner verurteilen die Brandstiftung, sprechen sich aber inhaltlich ganz klar gegen Solidarität mit der Zeitung aus. Ihnen zufolge ist Charlie Hebdo keine Plattform der Meinungsfreiheit, sondern für »eine weiße Elite, die die Muslime zu Toleranz ermahnt«. Die Unterzeichner fordern, statt Charlie Hebdo sollten die Medien lieber den Angehörigen von Ion Salegean das Wort erteilen. Der rumänische Rom kam Ende Oktober bei einem, mutmaßlich vorsätzlich gelegten, nächtlichen Brand in einem besetzten Gebäude in Paris ums Leben.
Ein Teil der 20 Unterzeichner zählt zum »Parti des indigènes de la République« (»Partei der Eingeborenen der Republik«). Diese ursprünglich antirassistische Organisation gleitet seit Jahren immer mehr in einen ethnisierenden Differentialismus und Kommunitarismus ab. Aber auch Autoren aus der antirassistischen Szene wie Saïd Bouamama haben unterschrieben. Ebenso der linke Journalist Olivier Cyran, der bis 1999 Redakteur bei Charlie Hebdo war. Er verließ die Zeitung damals mit einer linken Minderheit, die gegen den Kosovo-Krieg und seine publizistische Unterstützung opponierte.
Bis auf weiteres wird Charlie Hebdo nun in den Räumen der Libération produziert. Eine neue Ausgabe ist bereits auf dem Markt. Das Titelblatt zeigt einen männlichen Muslim und einen männlichen Charlie-Hebdo-Zeichner, die sich leidenschaftlich küssen. Dazu steht die Schlagzeile: »Die Liebe ist stärker als der Hass.«