Ferienwohnungen in Berlin

Party in der Nachbarschaft

In Berlin gibt es immer mehr Ferienwohnungen, die als Ersatz für Hotels dienen. Nachbarn fühlen sich gestört, und die ­Situation auf dem Wohnungsmarkt wird weiter verschärft.

In Berlin wandeln immer mehr Eigentümer den ihnen gehördenden Wohnraum in Ferienwohnungen um. In der Stadt wurden auf diese Weise Tausende Wohnungen dem Markt entzogen, obwohl die Mieten ohnehin seit Jahren steigen. Zu diesem Ergebnis kommt eine kürzlich vorgestellte Studie der Berliner Mietergemeinschaft, in der das Phänomen untersucht wird. Neben einer Auswertung zahlreicher Internetportale hat der Mieterverein dabei auch eine Umfrage über Ferienwohnungen in der Nachbarschaft durchgeführt. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse im Mieter­echo. »Zweckentfremdung wird für Mieter zur immer größeren Belastung«, schrieb das Magazin in der entsprechenden Schwerpunktausgabe. Die Vorteile für die Vermieter liegen auf der Hand: Für eine tages- oder wochenweise Vermietung können sie, bei geschickter Vermarktung, sehr viel mehr Miete einstreichen als bei Dauermietern. Auch bei Touristen sind die Ferienwohnungen beliebt, sind diese doch meist erheblich günstiger als Hotelzimmer.

Gegen Touristen hat Daniel Dagan im Grunde nichts: »Das sind liebe Leute, aber sie kommen nicht, um traurig zu sein – sie feiern schöne Partys.« Der 67jährige Israeli ist Vorsitzender der »Bürgerinitiative Wilhelmstraße«. Hier, mitten im Zentrum Berlins, gibt es große Wohnblöcke, die in der DDR Ende der achtziger Jahre gebaut wurden. Auch wenn es Plattenbauten sind: Es handelt sich um hochwertige, längst sanierte Häuser. Wegen der zentralen Lage sind sie sehr beliebt. Doch viele Mieter sind inzwischen genervt: vom Lärm, vom Müll und von der ständig wechselnden Nachbarschaft, die die Umwandlung von normalen Wohnungen in Ferienwohnungen mit sich bringt. Schätzungen zufolge sind inzwischen fast ein Drittel der insgesamt über 900 Wohnungen in dem Gebäudekomplex in Ferienwohnungen umgewandelt worden. Dagans Bürgerinitiative wehrt sich gegen diese Entwicklung.
Der Fernsehjournalist findet den Begriff »Ferienwohnung« irreführend, mit dem die Firma »DieApart GmbH« ihre Unterkünfte an der Wilhelmstraße bezeichnet. Er sieht in dem Ganzen eher ein schlecht geführtes Hotel. »Die Leute gehen ein und aus mit großen Koffern, die Putzkolonnen kommen, es gibt keinen Concierge, die Leute finden ihre Wohnungen nicht, sie klingeln ständig bei den Anwohnern, sie wissen nicht, wo der Müllraum ist, ständig sind die Aufzüge belegt«, schildert er die Situation. »Faktisch ist es ein Hotel – ohne Rezeption oder die nötigen Brandschutzvorrichtungen.« So manche Dauermieter, sagt Dagan, hätten inzwischen resigniert und seien weggezogen.
Dagan will, dass man sich wehrt. Denn wenn die Mieter wegzögen, gäbe es noch mehr Ferienwohnungen. Frühere Schätzungen des Hotel- und Gaststättenverbandes gingen bereits von mehr als 10 000 umgewandelten Wohnungen aus. Inzwischen schätzt der Interessenverband, dem die Billigkonkurrenz missfallen dürfte, die Zahl auf bis zu 15 000. Die Mietergemeinschaft gibt 12 000 Wohnungen an. Daran gemessen dürfte – bei durchschnittlich etwa vier Betten pro Ferienwohnung im Vergleich zu 112 000 Hotelbetten – fast jedes dritte Touristenbett in einer Ferienwohnung stehen.

Wohnung, Ferienwohnung oder Hotel? Was Uneingeweihten wie Wortklauberei vorkommen mag, wo es sich doch um ein und dasselbe Objekt handelt, hat bedeutende juristische Implikationen. Der Mietrechtsanwalt Roger Blum erläutert diese in einem Beitrag für das Mieterecho. Demnach kamen Berliner Gerichte in der Frage, ob die Vermietung an täglich oder wöchentlich wechselnde Feriengäste eine »Wohnnutzung« oder eine »Beschränkungen unterliegende gewerbliche Nutzung« darstellt, zu der Auffassung, dass bei der Vermietung an einen »ständig wechselnden Personenkreis« eine »gewerbliche pensions- oder hotelartige Nutzung« anzunehmen sei, die über die »Nutzung zu Wohnzwecken« hinausgehe. Doch der Bundesgerichtshof (BGH) revidierte Anfang 2010 diese Entscheidung: Ein Wohnungseigentümer habe grundsätzlich das Recht, mit seinem Eigentum nach Belieben zu verfahren, könne dieses also auch an Feriengäste vermieten. Allerdings betrachtet das Karlsruher Gericht einen pensions- oder hotelähnlichen Betrieb nach wie vor als unzulässig.
Wenn mehrere Wohnungen in einem Haus als Ferienwohnungen vermietet werden und damit eine bestimmte Anzahl von Gästebetten überschritten wird, so der BGH, gilt das Gebäude als Beherbergungsstätte und unterliegt damit bestimmten bauordnungsrechtlichen Auflagen. Diese recht vage Bestimmung wurde in Berlin im Juni 2010, unter anderem auf Druck von Bürgerinitiativen, Mietervereinen und des Hotel- und Gaststättenverbands, durch eine neue Betriebsverordnung des Senats präzisiert. Gebäude mit mehr als zwölf Gästebetten pro Aufgang brauchen demnach eine Genehmigung und müssen die strengen Normen eines Hotels, etwa zum Brandschutz, erfüllen. Doch Dagan beklagt: »Die Verordnung wird vom Bezirksamt nicht umgesetzt.«

Erst vor wenigen Wochen drohte der Baustadtrat des Bezirks Mitte, Ephraim Gothe (SPD), dem Eigentümer des Wohnkomplexes an der Wilhelmstraße, der Bär-Grundstücksgesellschaft, erstmals ein Zwangsgeld wegen Nichteinhaltung der Verordnung an. Wie die Situation gelöst wird, ist noch ungewiss. Vermutlich wird es zu langwierigen Gerichtsprozessen kommen. Überhaupt scheinen der Senat und die Bezirke, die sich lange Zeit gegenseitig die Verantwortung zuschoben, keinen klaren Ansatz zu haben, um dem Problem zu begegnen. So sagte kürzlich Franz Schulz, der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg: »Wir müssten lückenlos und gerichtsfest nachweisen, dass die Wohnungen gewerblich genutzt werden. Das können die Bauaufsichtsämter personell nicht leisten.« Der Meinung des Grünen-Politikers nach »braucht Berlin endlich ein gesetzliches Zweckentfremdungsverbot, das die gewerbsmäßige Umwidmung von Wohnraum untersagt«. Das setze aber voraus, dass der Senat eine Wohnungsnotlage feststelle – was die amtierende Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) bislang ablehnt.
Die Trägheit bei der Bekämpfung negativer Folgen der Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen dürfte vor allem politische Gründe haben. Anscheinend hat der Tourismus, der einwichtiger Wirtschaftsfaktor ist, Priorität gegenüber dem Schutz von Mietern. Und schließlich seien, das hatte Berlins Regierender Bürgermeister Anfang 2011 bei einer Podiumsdiskussion bemerkenswert ­offen gesagt, steigende Mieten ein gutes Zeichen für die wirtschaftliche Entwicklung. Man werde sich »daran gewöhnen müssen, dass Berlin in vielen Bereichen teurer wird«, sagte Klaus Wowereit (SPD) damals.
Dagan ist sich deshalb sicher, dass nur »öffentlicher Druck« etwas bewirken könne – angesichts des unmissverständlichformulierten wohnungspolitischen Kurses des Senats. Und auch die Unternehmen, die Ferienwohnungen vermieten, fühlen sich offenbar nicht bedrängt. Die Firma »DieApart GmbH« macht aus ihren Geschäftspraktiken zumindest kein Geheimnis. Bei einem Besuch in ihrem »Informationsbüro« in der Behrenstraße etwa antwortete eine freundliche Mitarbeiterin auf die Frage, ob man auch sofort ein Zimmer an der Wilhelmstraße mieten könne: »Natürlich, wir sind ja praktisch ein Hotel.«