Razzien gegen Migranten aus Tadschikistan in Russland

Zurück zur Sippenhaftung

Weil ein tadschikisches Gericht einen ­russischen Piloten verurteilt hat, geht die russische Regierung mit Razzien und Abschiebungen gegen Migranten aus ­Tadschikistan vor.

Nach dem Schuldspruch eines New Yorker Gerichts gegen den russischen Waffenhändler Viktor But Anfang November gab es keine Massenausweisungen US-amerikanischer Staatsbürger aus Russland. Anders im Fall eines wenige Tage später von einem Gericht in Tadschikistan verurteilten russischen Piloten. Wladimir Sadownitschij und sein estnischer Kollege legten im März auf dem Weg von Afghanistan nach Russland eine Zwischenlandung in Tadschikistan ein, was ihnen nun Haftstrafen von jeweils acht Jahren und sechs Monaten wegen Schmuggelei eines Flugzeugmotors, illegaler Grenzüberschreitung und Verstoßes gegen die Flugregeln einbrachte.
Die Reaktion aus Moskau ließ nicht lange auf sich warten. Am 10. November setzte eine Welle von Razzien gegen tadschikische Migranten ein. Innerhalb von zwei Tagen wurden allein in Moskau etwa 300 Tadschiken in Abschiebehaft genommen, so jedenfalls die Angaben unterschiedlicher offizieller Quellen. Vertreter der tadschikischen Diaspora sprechen von viel höheren Zahlen. In der »Sammelstelle Nr. 1«, dem einzigen Moskauer Abschiebegefängnis, weiß indes niemand genau, wie viele Menschen dort festgehalten werden. Die Tageszeitung Kommersant berichtete, dass sich dort längst niemand mehr die Mühe mache, alle Neuzugänge zu zählen.

Das ist bezeichnend für die fast durchweg negative Einstellung gegenüber Migranten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken. Es sind nicht einzelne Migranten, die durch Vergehen oder unangepasstes Verhalten auffallen, sie stören als Masse und sollen Russland am besten, auf welchem Weg auch immer, verlassen. Die Erfüllung dieses Wunsches stellt die Regierung nun in Aussicht.
Bei einem Treffen mit dem Präsidenten Dmitrij Medwedjew berichtete Konstantin Romodanowskij, der Leiter der russischen Migrationsbehörde FMS, dass tadschikische Arbeitsmigranten angeblich die meisten Rechtsverstöße begingen, obwohl dafür keinerlei objektives Datenmaterial vorliegt. Wenige Stunden nach Beendigung des Gesprächs hatte die Polizei bereits die ersten Tadschiken festgenommen. Es dauerte mehrere Tage, bis sich der Präsident in der Öffentlichkeit zu den erfolgten und geplanten Abschiebungen äußerte. Reiner Zufall sei es, dass die Maßnahmen gegen tadschikische Einwanderer ausgerechnet jetzt stattfinden.
Das erscheint freilich wenig glaubwürdig, denn die Regierung will die Freilassung des russischen Piloten erreichen, und das ökonomisch von Russland abhängige Tadschikistan wird sich eine Verschärfung des Konflikts kaum lange leisten können. In Russland halten sich nach Angaben der FMS etwa eine Million tadschikische Staatsbürger auf, davon etwa zehn Prozent ohne ordnungsgemäße Anmeldung oder Arbeitsgenehmigung. Tadschikische Migranten haben im Jahr 2010 über 2,2 Milliarden US-Dollar an ihre Angehörigen überwiesen und trugen so knapp 40 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt Tadschikistans bei.
Dass längst nicht alle Arbeitsmigranten über die nötigen legalen Aufenthaltspapiere verfügen, liegt nicht zuletzt an einer unrealistischen Quotenregelung, aber auch an Unternehmern, die von illegalisierten Arbeitern mehr profitieren als von legal Beschäftigten – und am korrupten Apparat der Migrationsbehörde. Dubiose Firmen verlangen in der Regel zwischen 350 und 400 Euro für eine Aufenthaltsgenehmigung. Wer den offiziellen Weg gehen will, scheitert oft schon daran, an den Sicherheitsleuten vorbei zu den zuständigen Mitarbeitern vorzudringen. Die Föderation der Migranten in Russland beklagt außerdem, dass seit Beginn der Razzien keine Arbeitsgenehmigungen mehr für Tadschiken ausgestellt würden.
Russlands oberster Amtsarzt Gennadij Onisch­tschenko stuft Tadschiken gar als Gesundheitsrisiko ein und würde sie am liebsten überhaupt nicht mehr einreisen lassen. Pikant ist ferner, dass die Polizei auf denunziatorische Dienste der rechtsextremen Organisation Swetlaja Rus zurückgegriffen hatte, was zu mindestens 40 Festnahmen geführt hat.