Massouda Jalal im Gespräch über ihre Erwartungen an die Bonner Konferenz und die Situation der afghanischen Frauen

»Keine Macht den Taliban!«

Dr. Massouda Jalal, ehemalige Ministerin für Frauenangelegenheiten in der afghanischen Regierung und Präsidentschaftskandidatin 2004, ist heute die Leiterin der Jalal-Foundation, einer der erfolgreichsten Frauenorganisationen Afghanistans. 2010 erhielt sie den Menschenrechtspreis der Organisation UN Watch. Im Oktober bereiste sie verschiedene europäische Städte. In ihren Vorträgen warnte sie vor den gefährlichen Konsequenzen, die die Afghanistan-Konferenz in Bonn für die gesellschaftliche Entwicklung des Landes bringen könnte.

Was erwarten Sie von der Afghanistan-Konferenz in Bonn?
Auf der ersten Bonner Konferenz ging es um die Schaffung einer Übergangsjustiz und die Übergabe der Macht an eine demokratisch legitimierte Regierung. Die Ideen der ersten Konferenz waren gut, aber in der Umsetzung ist zu viel Macht in die Hände von Extremisten und Militärs gegeben worden anstatt in die Hände von Demokraten. Auf der zweiten Bonner Konferenz sollten wir deshalb sehr klar sagen: Keine Macht den Taliban und anderen Extremisten! Einige Politiker in Deutschland fordern, zwischen sogenannten radikalen und moderaten Taliban zu unterscheiden und letzteren Angebote zu machen. Moderate Taliban gibt es nicht. Das sind Spielchen, um die westliche Öffentlichkeit zu täuschen. Wofür die Taliban stehen, ist für alle in Afghanistan vollkommen klar: keine Toleranz, keine Frauenrechte, keine zivile Gesellschaft, kein Pluralismus, keine bürgerlichen Werte, keine Repräsentanz der Bevölkerung. Kurz: Die Taliban stehen für die Diktatur. Die Idee von moderaten Taliban ist Wunschdenken, ebenso wie Sicherheit und Taliban nicht zusammenpassen.

Wessen Sicherheit könnten die Taliban garantieren?
Sie würden vielleicht die Sicherheit der iranischen Regierung stärken, oder die der pakistanischen, aber sicherlich nicht die der Menschen in Afghanistan. Wären die Taliban an der Macht beteiligt, wäre das ein Sieg des Extremismus. Wir müssen ganz deutlich machen, dass wir mit radikalen Islamisten nicht zusammenarbeiten werden. Es reicht! Diese Gruppen müssen ihre Waffen abgeben, das Vermögen ihrer Parteien sollte eingezogen werden. Alle Kriminellen gehören vor ein Gericht. Das ist der Weg. Wenn Präsident Karzai dazu nicht in der Lage ist, weil er Angst vor den Extremisten hat, bitte schön, er kann zurücktreten. Es gibt genug andere Leute, die den Job machen können. Wir sollten keine Zeit verlieren.

Was denken die Afghanen über die Nato-Truppen, die seit nunmehr zehn Jahren im Land sind?
Die Bevölkerung, jedenfalls die Zivilisten, die Frauen, sind im Allgemeinen sehr froh über die Änderungen, die das Engagement der Nato und der internationalen Gemeinschaft mit sich brachte. Die Bevölkerung profitiert davon. Die Leute wissen das und wollen deshalb auch, dass die internationale Gemeinschaft, auch die militärischen Truppen, in Afghanistan bleiben. Bis 2014, wenn die internationalen Truppen Afghanistan verlassen wollen, haben wir noch drei Jahre Zeit. Wir müssen es in dieser Zeit schaffen, die Warlords auszuschalten, die Taliban, den Drogenhandel und die Mafia. Es muss gelingen, in dieser Zeit die Macht an zivile Kräfte zu übergeben, an Frauen, Demokraten, Liberale. Dafür brauchen wir allerdings die Unterstützung von außen. Zwei Drittel der Deutschen befürworten einen Rückzug der Truppen aus Afghanistan. Wenn man in Afghanistan ein Referendum abhalten würde, wäre das Ergebnis: »Bitte bleibt in Afghanistan! Wir brauchen euch.« Die Probleme in Afghanistan sind noch nicht gelöst. Die kleinen Freiheiten, die die Menschen jetzt haben, möchten sie nicht wieder aufgeben. Würden die internationalen Truppen das Land verlassen, gäbe es aber Rückschritte.

Wie kann der Westen die Frauen in Afghanistan unterstützen?
Was wir brauchen, ist vor allem politische Unterstützung. Es ist wichtig, dass Frauen in der Regierung auf den höchsten Ebenen vertreten sind. In Afghanistan gibt es eine sehr starke Einmischung von außen, von allen möglichen Seiten. Die iranische Regierung nimmt in Afghanistan unter anderem über religiöse, schiitische Gruppen Einfluss, die sie finanziell und politisch unterstützt. Auf diese Weise hat der Iran Einfluss auf die Medien und sogar Universitäten in Afghanistan. Für Organisationen, die sich für Demokratie, Frauenrechte und Liberalismus einsetzen, ist es deshalb enorm wichtig, dass wir von demokratischer Seite, also von den USA, Europa und Kanada, Unterstützung erhalten. Nur wenn es einen gewissen Druck auf die Regierung gibt, wird es für den Präsidenten unmöglich sein, uns zu ignorieren. Die Extremisten trainieren ihre Leute in Extremismus. Wir wollen die Leute in Demokratie und Liberalismus unterrichten. Aber ich bin optimistisch: Auch wenn wir nur wenig Einfluss in der Regierung haben, können wir sehr erfolgreich sein.

Wie viel Unterstützung haben Sie in Afghanistan?
Wir sind immer wieder positiv überrascht. Vor zwei Monaten haben wir in einer Provinz zu einer Veranstaltung 500 Menschen eingeladen, es kamen 4 000. Daran sehen wir, wie groß das Interesse an unserer Arbeit ist. Es kommen auch viele Männer. Für viele ist es das erste Mal, mit Frauen und Männern in einem öffentlichen Raum zusammenzusitzen und liberale Ideen zu diskutieren. Männer klatschen den Frauen Beifall, daran sehen wir den Zuspruch für unseren Weg.
 

Was tut Ihre Organisation konkret für die afghanischen Frauen?
Die Jalal-Foundation ist eine Organisation zur Förderung und Stärkung der Frauen in Afghanistan. Wir unterstützen Frauen auf allen Ebenen: ökonomisch, in der Bildung und in der politischen Partizipation. Außerdem engagieren wir uns gegen frauenfeindliche Gewalt. Wir organisieren Kampagnen für Frauenrechte und Frauenförderung. Wir bauen Mädchenschulen in den Gebieten, in denen es bisher keinen Zugang zu Bildung für Mädchen gibt. Wir ermutigen Mädchen zu einer guten Ausbildung, wir unterstützen sie beim Zugang zum Studium und dabei, Stipendien zu bekommen. Wir geben aber auch ganz praktische Hilfe wie Computer- und Englischkurse. Wir haben ein übergreifendes Frauennetzwerk geschaffen, das auch zu internationalen Frauenorganisationen Kontakte hat. Unsere nächsten Projekte sind ein Fernsehsender und eine Universität für Frauen.

Sie waren von 2004 bis 2006 Ministerin im Kabinett von Karzai. Haben Sie in dieser Funktion etwas erreichen können?
Die Arbeit mit dem Kabinett und Karzai war sehr schwierig, trotzdem sind in dieser Zeit einige Grundlagen für Frauenrechte gelegt worden: Die Gesetze zur Abschaffung der Gewalt gegen Frauen, ein Zehn-Jahres-Aktionsplan für berufliche Frauenförderung. Wir haben 1 200 Frauenräte eingerichtet und Dienststellen für Frauenangelegenheiten in allen afghanischen Provinzen. Mit dem Einsatz für Frauenrechte stand ich aber oft ganz alleine im Kabinett. In einer Kabinettssitzung wollte Kar­zai die 25-Prozent-Quote für weibliche Abgeordnete in den Provinzräten abschaffen, mit der Begründung, es sei unmöglich, für alle Plätze geeignete Kandidatinnen zu finden. Ich habe mich als einziges Kabinettsmitglied dagegen gesperrt und schließlich zugesagt, mich darum zu kümmern, die Kandidatinnen zu finden. Ich habe auch dafür plädiert, die Sitze zur Not gar nicht zu vergeben. Das ist immer noch besser, als gegen die Verfassung zu verstoßen. Die leeren Sitze würden uns an unsere gesetzliche Aufgabe erinnern.

Glauben Sie, dass es trotz aller Schwierigkeiten möglich sein wird, in den nächsten Jahren die Situation der Frauen zu verbessern?
Bis wir transparente, demokratische Verhältnisse haben, brauchen wir die Unterstützung von außen. Aber ich bin überzeugt: Wenn man sich ein Ziel setzt, wird es auch Fortschritte geben. Gerade bei dieser Arbeit, in der Unterstützung und Ausbildung von Frauen, kann man so viel erreichen.