Die Eskalation in Syrien

Gekommen um zu gehen

Die Beobachtermission der Arabischen Liga in Syrien ist zwar eine Farce, dennoch setzt sie das Regime Bashar al-Assads unter Druck.

Einen, wenn auch eher randständigen, Mitspieler des syrischen Dramas konnte die Beobachtermission der Arabischen Liga gleich nach Beginn ihres Einsatzes erfreuen. Das russische Außenministerium begrüßte »mit Befriedigung den realen Beginn der Aktivitäten der Arabischen Liga in Syrien« und fügte hinzu, die Situation in Homs, dem Zentrum des Widerstands gegen das Regime Ba­shar al-Assads, habe sich beruhigt, neuerliche Auseinandersetzungen seien nicht gemeldet worden. Die syrische Opposition zählte zum Zeitpunkt dieser Äußerung bereits rund 130 Tote seit der Ankunft der arabischen Beobachter. Die Stellungnahme des russischen Außenministeriums war so realitätsfern wie durchschaubar, schließlich ist das absehbare Ende der Herrschaft Assads ein schwerer Schlag für die Strategen im Kreml. Immerhin konnten sie sich auf den Vorsitzenden der arabischen Beobachtermission berufen, den Sudanesen Mohammed Ahmed Mustafa al-Dabi, der nach jenem ersten kurzen Besuch in Homs tatsächlich davon sprach, er habe dort zwar einige Gegenden gesehen, die schlimm aussahen, aber die Situation habe sich »beruhigt«.

Die Äußerung al-Dabis schien eine Befürchtung zu bestätigen, die sofort nach seiner Nominierung aufgekommen war: dass man mit dem sudanesischen General als Oberhaupt einer Beobachter­gruppe, die kontrollieren soll, ob friedliche Demonstrierende von der syrischen Regierung massakriert werden, den Bock zum Gärtner gemacht habe. Al-Dabi war Leiter diverser Geheimdienste und mutmaßlich Hauptverantwortlicher für die Organisation der Janjawid-Milizen im sudanesischen Darfur, den ausführenden Organen eines Völkermordes, für den al-Dabis Arbeitgeber, der sudanesische Präsident Omar al-Bashir, vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl gesucht wird. Al-Dabi hätte daher eher ebenso auf eine Fahndungsliste gehört als an die Spitze einer diplomatischen Mission der Arabischen Liga. Von seiner beruflichen Erfahrung und Mentalität her dürfte er seinen Gesprächspartnern auf Seiten des Assad-Regimes ebenbürtig entgegentreten können.
Was tatsächlich mit der Mission der arabischen Beobachter in Syrien erreicht werden soll, lässt sich aber nicht allein aus diesem Umstand ableiten. Zumal der Sudanese seinen Posten als leitender arabischer Beobachter wohl Katar zu verdanken hat, wo er jahrelang als Botschafter gelebt hatte, bis er zuletzt unter dem Patronat Katars an Verhandlungen zwischen der sudanesischen Regierung und Rebellengruppen in Darfur beteiligt gewesen war. Falls er ein Vertreter der Golfstaaten ist, wird es kaum seine Aufgabe sein, das Regime Assads zu entlasten, was propagandistisch und politisch sowieso nicht mehr funktionieren würde. Vielleicht soll al-Dabi, worauf die freudige Zustimmung Russlands hinweisen könnte, bloß dabei helfen, den endgültigen Bruch der Arabischen Liga mit Assad und dessen finale Verdammung vorzubereiten. Denn dass der sudanesische General ein Agent des Westens, des Imperialismus oder des reinen demokratischen Gedankens sei, lässt sich nicht behaupten. Dafür steht er aber einer mission impossible vor. Die reale Zielvorgabe der mittlerweile 70 arabischen Beobachter kann im Grunde nichts anderes als ihr offizielles Scheitern sein. Alle reden noch einmal um den heißen Brei herum, dann ist dasselbe Ergebnis da wie vor der Entsendung der Beobachtermission. Und das Regime in Syrien kann gar nicht anders, als auf die Demonstrierenden zu schießen, die dennoch nicht weniger werden.

Für Assad bedeuten die Beobachter jedoch nicht wirklich eine Schonfrist, ihre Anwesenheit erhöht den Druck auf das Regime, während sich die Oppositionsgruppen innerhalb und außerhalb Syriens konsolidieren, bzw. mehr durch sanften Druck und regelmäßige Zuwendungen zwischen der Türkei, Ägypten und den Golfstaaten konsolidiert werden. So unterschrieben die derzeit prominentesten Gruppen, der eher aus dem Exil agierende Syrische Nationalrat und das in Syrien selbst aktive Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel in Kairo Vereinbarungen für eine Übergangszeit nach Assad. Ob diese praktisch wirksam wird, muss sich erst zeigen, symbolisch ist die Kooperation wichtig, schließlich zeichnet sich die syrische Opposition bisher nicht gerade durch Kohärenz aus. Assads letzte große Niederlage war, dass er trotz allen Taktierens und Herauszögerns schließlich gar nicht anders konnte, als der arabischen Beobachtermission doch noch zuzustimmen. Er steckt in einem Dilemma. Die innerarabischen Sanktionen werden nur aufgehoben, wenn er sich an Bedingungen wie den Rückzug seiner Truppen aus den Städten hält, was er aber gar nicht kann, ohne die eigentliche Grundlage seiner Herrschaft aufzugeben.
Die Anwesenheit der arabischen Beobachter stärkt gleichzeitig die Demonstrierenden. Dafür sorgt alleine das über das Internet verbreitete Bildmaterial. Es zeigt erregte Demonstranten, die auf die hilflos wirkenden Beobachter in ihren neongelben Warnwesten einreden. Zwar wird umgehend wieder auf die Demonstrierenden geschossen, sobald die Beobachter in ihrem Geländewagen davonfahren. Dennoch bringt die Anwesenheit der Beobachter, wie am Freitag vor Silvester, dennoch Abertausende mehr auf die Straßen. Der Propagandakrieg rund um die Mission war für das Regime von Anfang an verloren, und es wird nur noch schlimmer. Ein Bombenanschlag auf ein Geheimdienstzentrum mitten in Damaskus mit 44 Toten kurz vor der Ankunft der Beobachter scheint zeitlich etwas zu passend. Auch wenn die Täterschaft noch ungeklärt ist, weder al-Qaida noch die Muslimbrüder stehen, wie es das Regime gerne hätte, auf der Verdächtigenliste sofort ganz oben, sondern das Regime selbst.

Die Äußerungen al-Dabis über eine angebliche Beruhigung der Lage konnten den hässlichen Überlebenskampf einer Diktatur nicht verschleiern. So zeigte ein Videoclip einen der Beobachter in einer heftigen Diskussion mit umstehenden Demonstrierenden im südsyrischen De­raa, wobei der Beobachter mit Gesten unterstrich, er selbst habe die Heckenschützen des Regimes auf den Dächern gesehen und man werde von der Regierung fordern, diese umgehend zurückzuziehen. Darauf angesprochen, korrigierte sein Vorgesetzter al-Dabi später auf BBC, der Beobachter habe nur hypothetisch davon gesprochen, was zu tun sei, falls er Heckenschützen sehe, er habe aber gar keine gesehen. Allerdings sprach dann zwei Tage später selbst der Vorsitzende der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, in seinen ersten öffentlichen Äußerungen seit der Entsendung der Beobachter davon, dass es in den syrischen Städten weiterhin Schüsse gebe und Heckenschützen im Einsatz seien. Ob der sudanesische General auch hier beschwichtigen wird, ist sehr fraglich. Der erste Bericht der Beobachtergruppe soll noch innerhalb der ersten Januarwoche erscheinen. Wie nebulös auch immer die Einschätzungen der Beobachter dort wiedergegeben werden sollten, ein erstes deutliches Anzeichen für die erfolgreiche Abwicklung der Mission hat das »Arabische Parlament«, ein Beratungsgremium innerhalb der Arabischen Liga, bereits am ersten Januar gegeben: Die Gewalt in Syrien gehe weiter, gab man zu Protokoll, und die Anwesenheit der Beobachter gebe dem syrischen Regime Deckung für eine Fortführung seiner unmenschlichen Taten vor den Augen und Ohren der Ara­bischen Liga. Mal sehen, ob die Mission nicht schon vor Ende Januar erfüllt ist.