Debatte nach rassistischen Morden in Italien

In ihrem Wahn nicht allein

Die Reaktionen auf den Angriff auf eine Roma-Siedlung in Turin und den Mord an zwei Senegalesen in Florenz Ende vergangenen Jahres zeigen, dass der Rassismus der italienischen Gesellschaft meist nicht als das eigentliche Problem gesehen wird.

Für Italiens Integrationsminister Andrea Riccardi gab es angesichts der abgebrannten Überreste einer Turiner Roma-Siedlung nichts zu beschönigen: »Hier kommt ein Antiziganismus zum Vorschein, der in einer xenophoben, intoleranten und gewalttätigen Mentalität wurzelt.« Die Bewohnerinnen und Bewohner der nördlichen Peripherie Valletta hatten Mitte Dezember unter dem Motto »Wir säubern die Continassa« zu einer Demonstration aufgerufen, nachdem eine 16jährige Italienerin behauptet hatte, sie sei von zwei jungen Roma aus der angrenzenden Siedlung vergewaltigt worden. Mehrere Hundert Anwohnerinnen und Anwohner folgten dem Hetzaufruf, auch die Provinzvorsitzende der Demokratischen Partei. Obwohl der Bruder des vermeintlichen Opfers am Rande der Veranstaltung zugeben musste, dass es sich um eine Notlüge seiner Schwester gehandelt hatte, die den Eltern eine Affäre verheimlichen wollte, beruhigte sich der Mob nicht mehr. Dutzende Teilnehmer bewaffneten sich mit Stangen und steckten die Siedlung in Brand. Aus Angst vor dem Mob waren die Roma-Familien bereits Stunden zuvor aus ihren improvisierten Behausungen geflüchtet.
Nur drei Tage nach dem Turiner Pogrom erschoss in Florenz der überregional bekannte Journalist und Autor Gianluca Casseri auf dem Markt der Piazza Dalmazia zwei Straßenhändler, Samb Modou und Diop Mor, die vor über zehn Jahren aus dem Senegal nach Italien gekommen waren. Ihr Kollege Moustapha Dieng überlebte den Mordanschlag schwer verletzt. Danach zog Casseri weiter auf den zentral gelegenen Markt von San Lorenzo und verletzte dort zwei weitere Senegalesen, ehe er sich schließlich, von der Polizei umstellt, selbst tötete.

In den Medien wurde rasch das Bild eines verschrobenen Einzelgängers verbreitet. Doch Casseri war bestens in Italiens vielschichtige rechte Bewegung eingebunden: Er war der Herausgeber einer in der Szene beliebten Fantasy-Zeitschrift, publizierte negationistisch-antisemitische Pamphlete und beteiligte sich in der Toskana an Hausbesetzungen der Bewegung Casa Pound. Diesen selbsternannten »Faschisten des 3. Jahrtausends« kommt die »Wahnsinnstat« ihres »Sympathisanten« eher ungelegen, bemühen sie sich doch um ein Image als Wohlfahrtsorganisation, die sich vor allem gegen Mietwucher engagiert. Eilig ließ Casa Pound deshalb alle Hinweise auf Casseris Aktivitäten von ihrer Webseite löschen. Dafür wurde der Täter in anderen rechten Internetforen als »Held« gefeiert. Auf »stormfront.org« wurde Casseri zum Opfer »dreckiger, krimineller Negerbanden« stilisiert. Die Facebook-Seite »Gianluca Casseri ist für uns gestorben« gefiel binnen weniger Stunden über 6 200 Nutzern. Aber auch in den Kommentaren liberaler Tageszeitungen wurde ihm »Respekt« gezollt.
Die Reaktionen machen deutlich, dass Casseri kein isolierter Amokläufer war. Er schrieb regelmäßig für Zeitschriften und Blogs der sogenannten kulturellen Rechten und hatte Freunde unter den rechtspopulistischen Intellektuellen, die seit Jahren die mediale Aufwertung des Faschismus und die Banalisierung seiner Verbrechen betreiben. Denn mehr noch als die neofaschistischen Splitterparteien schürten Silvio Berlusconis Rechtskoalitionen den Hass auf die »clandestini«, die Illegalisierten. Unter Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord wurden die Zwangsregistrierung von Roma-Kindern, der Straftatbestand der »illegalen Einwanderung« und die massenhafte »Rückführung« abgewiesener Flüchtlinge eingeführt.
Dass Riccardi die überlebenden Senegalesen im Krankenhaus besuchte und den Roma in Turin eine Unterkunft versprach, war für den Lega-Abgeordneten Davide Cavalotto ein Affront: Der Minister solle sich besser mit den italienischen Familien treffen, deren Häuser von Zigeunerbanden ausgeraubt würden. Schon Ende November hatte Riccardi sein neues Amt als Minister für internationale Kooperation und Integration mit einer großen symbolischen Geste angetreten. Er besuchte in der süditalienischen Kleinstadt Villa Literno das Grab von Jerry Masslo. Der Südafrikaner war 1989 überfallen und getötet worden. Der Mord schreckte die Öffentlichkeit auf, das Parlament verabschiedete damals das »Gesetz Martelli«, mit dem erstmals Flüchtlingen aus aller Welt das Recht auf politisches Asyl zugestanden wurde. In der Gedenkrede für Masslo forderte Riccardi: »Wir brauchen eine Kultur der Integration, eine Versöhnung zwischen Italienern und Migranten. Schluss mit den Hasspredigten!«

Riccardi gehört zum vatikantreuen Flügel der neuen Regierung. Er ist der Begründer der katholischen Glaubensgemeinschaft Sant’Egidio, die sich gemäß ihrem Selbstverständnis weltweit für Frieden und Verständigung zwischen den Religionen und Völkern engagiert. Man nimmt ihm ab, dass er sich für eine Verbesserung der Situation von Migranten und Roma in Italien einsetzen will. Doch auch in der Rolle des Ministers bleibt seine angestrebte »Aussöhnung« religiös begründet, ihre Verwirklichung ist gekoppelt an eine Rückbesinnung der Gesellschaft auf die Grundwerte einer christlichen Gemeinschaft.
Andererseits fällt auf, dass auch die italienische Linke, sofern sie sich überhaupt um eine Reflexion der rassistischen Angriffe bemüht, deren Ursachen im Zerfall traditioneller Gemeinschaften sucht. Der Turiner Soziologe Marco Revelli erklärt »die unheilvollen Leidenschaften« des Mobs mit dem Verfall der ehemaligen Arbeiterviertel infolge der zunehmenden Deindustrialisierung und wohlfahrtsstaatlichen Deregulierung. Auch der Städteplaner Paolo Berdini beklagt die »Einsamkeit des Bürgers«. Durch Privatisierungen und Einsparungen würde der öffentliche Raum zerstört und damit jedes »soziale Netz«. Im Zentrum linker Reflexionen stehen somit die italienischen Täter, die zu Opfern einer sozioökonomischen Krise verklärt werden.
Zu den Demonstrationen, auf denen organisiert in Florenz und spontan auch in anderen italienischen Städten Solidarität mit den Opfern der rassistischen Angriffe bekundet wurde, kamen auffallend wenige Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der vermeintlich liberalen Bürgerschaft. Entsprechend empört wiesen Migrantenorganisationen Versuche der Beschwichtigung zurück. Der Florentiner Bürgermeister Matteo Renzi von der Demokratischen Partei hatte auf der Gedenkfeier gesagt, rassistisch sei nicht seine Stadt, sondern nur die »wahnsinnige Tat eines Einzelnen«, für die keine Gruppe kollektiv bestraft werden dürfe. Damit hatte er eine der Hauptforderungen der Migrantinnen und Migranten, die Räumung der von Casa Pound besetzten Häuser, umgehend zurückgewiesen. Roma-Organisationen forderten von Renzi »ein Wort der Selbstkritik«, schließlich sei es seine Stadtverwaltung, die die migrantischen Straßenhändler täglichen Schikanen aussetze, sie systematisch aus dem Stadtzentrum vertreibe, Sinti und Roma ausweise und ihre Siedlungen abreißen lasse, ohne Ersatzunterkünfte zur Verfügung zu stellen. Auch Pape Diaw, ein Sprecher der senegalesischen Community in Florenz, forderte auf der Trauerfeier konkrete Maßnahmen: die Entkriminalisierung von Flüchtlingen und ein neues Einbürgerungsgesetz. Riccardi mag sich für diese Forderungen einsetzen, doch angesichts des rassistischen Grundkonsenses der italienischen Gesellschaft wird er wohl nicht einmal unter den Katholikinnen und Katholiken eine Mehrheit für sie finden.