Die Personaldebatte in der Linkspartei

Mit Hang zum Vorhang

Erst im Sommer wählt die Linkspartei eine neue Parteiführung. Doch schon jetzt ist die Personaldebatte in vollem Gange.

Schon nach der Verabschiedung eines Grundsatzprogramms auf dem Erfurter Parteitag der Linkspartei im Oktober hatte sie sich abgezeichnet, rechtzeitig zum Jahreswechsel ist sie nun endgültig in Schwung gekommen: die Debatte über die künftige Parteiführung und damit die Auseinandersetzung um die Macht im Karl-Liebknecht-Haus, der Berliner Parteizentrale. War der Parteitag in Erfurt der Programmdebatte vorbehalten, soll es im Juni in Göttingen um das Führungspersonal gehen. Das ist gerade im Fall der Linkspartei besonders knifflig. Denn bei der Besetzung der Doppelspitze gibt es verschiedene Kriterien, die man in der Partei gerne erfüllt sehen möchte: Sie soll geschlechterquotiert sein, jeweils zur Hälfte aus Ost- und Westdeutschland stammen und die beiden großen Flügel – Reformer und Traditionslinke – repräsentieren. Allerdings ist lediglich die Geschlechterquotierung in der Parteisatzung verbindlich vorgeschrieben.

Seit Mai 2010 bilden Klaus Ernst und Gesine Lötzsch diese Doppelspitze. Ernst vertritt dabei, als ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär aus Bayern, den linken Flügel, der sich unter anderem aus der gewerkschaftlich orientierten Strömung der »Sozialistischen Linken«, aber auch den Trotzkisten und Antiimperialisten der »Antikapitalistischen Linken« zusammensetzt. Die Berlinerin Gesine Lötzsch hingegen war als ehemaliges SED-Mitglied eine der Führungspersonen der PDS, die durch die Vereinigung mit der WASG in der Linkspartei aufging. Dem Reformerflügel, der im Vergleich mit den Traditionslinken wesentlich offener für Regierungsbeteiligungen ist, gehört die 50jährige aber nicht wirklich an. Lötzsch repräsentiere vor allem sich selbst, hört man hinter vorgehaltener Hand häufiger in der Partei.
Beide, Lötzsch und Ernst, hatten vor dem Erfurter Parteitag immer wieder betont, die Bestimmung der Parteiführung stehe erst im Juni 2012 an, vor dem Programmparteitag wolle man sich zu dem Thema nicht äußern. Angesichts der unglücklichen Figur, die beide in den Kontroversen um Kommunismus und Antisemitismus, um Mauerbau und Kuba gemacht hatten, war jedoch allgemein erwartet worden, dass die beiden nicht wieder für den Parteivorsitz kandidieren würden. Doch Ende Oktober, nur wenige Tage nach dem Parteitag, erklärte Lötzsch öffentlich, auch über den Juni hinaus Vorsitzende bleiben zu wollen. Sie wolle damit »das Katz- und Mausspiel beenden«, sagte sie.

Doch damit ging das Katz- und Mausspiel erst richtig los. Zunächst drohte der Bundestagsfraktion ein Eklat, als die bekannteste Parteilinke, Sahra Wagenknecht, im November anstrebte, neben Gregor Gysi Co-Fraktionsvorsitzende zu werden. Gysi verhinderte das, indem er ein neues Amt konstruierte. So wurde am Ende Wagenknecht – gemeinsam mit Cornelia Möhring, die bis dahin frauenpolitische Sprecherin war – erste stellvertretende Vorsitzende der Fraktion. Schon damals warnte Raju Sharma, Bundesschatzmeister der Partei und ein Vertreter des Reformerflügels, in einem Brief an Gysi: »Dein Vorschlag wird die Situation allenfalls kurzfristig befrieden, vermutlich nicht einmal das.«
Wenige Tage später die nächste Volte: Oskar Lafontaine, der sich vor etwa zwei Jahren wegen einer Erkrankung von seinen Ämtern als Partei- und Fraktionsvorsitzender zurückgezogen hatte, bestätigte öffentlich das schon länger in der Presse kursierende Gerücht, er sei privat mit Wagenknecht liiert. Diese Verbindung Lafontaines zu der zuletzt in der Partei aufstrebenden Wagenknecht ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen fungierte Lafontaine nach seinem offiziellen Rückzug als graue Eminenz der Partei, zum anderen gilt er inzwischen als wieder genesen und will möglicherweise als Spitzenfunktionär zurückkehren. Auch wenn über das Problem in der Linkspartei ungern geredet wird: Bei Spekulationen über die Ambitionen des Politikerpaares muss immer bedacht werden, dass unter einem Parteivorsitzenden Lafontaine und einer Fraktionsvorsitzenden Wagenknecht die Linkspartei zu einem Familienunternehmen zu werden droht. Einstweilen bestreiten beide, Ambitionen auf das eine oder andere Amt zu hegen.

Angesichts des weitverbreiteten Unmuts in der Partei über die Art und Weise, wie Ernst und Lötzsch vor zwei Jahren zur Doppelspitze bestimmt wurden – nämlich durch eine Hinterzimmerentscheidung der Parteigranden, die vom Parteitag nur noch abgenickt werden durfte –, hatte Gysi in Aussicht gestellt, dass der nächsten Vorstandswahl ein Mitgliederentscheid vorausgehen könne. Auch Ernst, der sich bislang noch nicht zu einer erneuten Kandidatur geäußert hat, unterstützte diesen Vorschlag.
Ende November mischte sich dann auch noch Dietmar Bartsch ein. Der langjährige Parteifunktionär sprach sich nicht nur für einen Mitgliederentscheid aus, sondern erklärte seine Bereitschaft zur Kandidatur für den Parteivorsitz. Der 53jährige aus Mecklenburg-Vorpommern ist der wohl bekannteste Vertreter des Reformerflügels. 2010 verlor er nach einem Streit mit Lafontaine seinen Posten als Bundesgeschäftsführer. Sollte es tatsächlich zu einem Mitgliederentscheid kommen, hätte Bartsch beste Erfolgschancen, verfügen doch die ostdeutschen, reformorientierten Landesverbände über eine klare Mitgliedermehrheit. Entsprechend kritisch wird ein Basisvotum beim linken Parteiflügel gesehen. Inzwischen haben vier Landesverbände – Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein – einen Mitgliederentscheid beantragt. Das notwendige Quorum dürfte damit erreicht sein.
Für neuen Streit sorgte vergangene Woche der Bundestagsabgeordnete Wolfgang NeškoviĆ. Er kam zu dem Schluss, dass eine Urwahl oder auch nur eine Befragung der Mitglieder sowohl gegen das Parteiengesetz als auch gegen die Parteisatzung verstoße und damit unzulässig sei. Pikant dabei ist, dass Nešković zwar Fraktions-, aber kein Parteimitglied ist. Erst im Herbst hatte er unter dubiosen Umständen sein Amt als Fraktionsjustiziar abgegeben. Zudem ist der frühere Bundesrichter zwar ein renommierter Jurist, aber kein Parteienrechtler. Halina Wawzyniak, früher ebenfalls Fraktionsjustiziarin und Angehörige des Reformerflügels, widersprach Nešković sogleich. Offiziell bestellt hatte Neškovićs Gutachten ohnehin niemand. Vielmehr soll der Düsseldorfer Parteienrechtler Martin Morlok die Rechtslage untersuchen, Ergebnisse sind noch nicht bekannt.

Schon machen Mutmaßungen die Runde, Neš­kovićs Gutachten könnte Teil eines Versuchs von Lafontaine sein, einen Mitgliederentscheid zu verhindern. Auch Gysi ist inzwischen von der Basisbefragung abgerückt. Beiden schwebt offenbar eine Lösung wie vor zwei Jahren vor: »Gewisse Kreise« sollten sich im Januar auf ein Personaltableau verständigen, ließ Gysi wissen – eine erneute Kungelei hinter zugezogenen Vorhängen also. Möglicherweise würde Lafontaine dabei sogar Bartsch als Vorsitzenden in Kauf nehmen, wenn diesem nicht nur eine westdeutsche Frau aus der Parteilinken als Co-Vorsitzende zur Seite gestellt würde, sondern als Wachhund auch gleich noch Lafontaines Adlatus Ulrich Maurer im Amt des Bundesgeschäftsführers. Am 12. Januar soll der geschäftsführende Parteivorstand entscheiden, wie es weitergeht – der Ausgang ist offen.