Beide gehören ins Dschungelcamp

Alle mal Klappe halten!

Böser Wulff, armer Diekmann? Von wegen: Beide sollten demnächst zwangsweise ins Dschungelcamp eingewiesen werden.

Vielleicht wäre alles erträglicher, wenn diese Leute es schaffen würden, wenigstens einmal einen Tag lang die Klappe zu halten. Tun sie aber nicht. Und nicht nur das: Zusätzlich zum Unvermögen, andere einfach mal in Ruhe zu lassen, demonstrieren sie auch noch einen gnadenlosen Sinn für ausgesprochen mieses Timing.
Nehmen wir Montag, den 9. Januar 2012. Einen wundervoll ruhigen Morgen lang sah alles danach aus, als könne dies der Beginn einer Woche ganz ohne Diekmann, Wulff und vor allem ohne ihre komplett durchhysterisierten Kombattanten werden. Es gab ja auch genug tolle andere Themen: Den nachgerade sensationellen Kurssturz des Euro auf ein wenigstens seit etwa sechseinhalb Wochen nicht mehr dagewesenes Rekordtief zum Beispiel, dazu atemberaubend antibiotikaresistente Keime in Billighähnchen sowie Doris Schröder-Köpf, die plötzlich lieber irgendetwas mit Politik als immer bloß mit ihrem Gerd Schnitzel machen möchte. Und, selbstverständlich, den bevorstehenden Start der neuen Staffel von »Ich bin ein Star, holt mich hier raus«.
Und dann war Wulff plötzlich doch wieder ganz oben in den Schlagzeilen. Sein Anwalt hatte nämlich aus unerfindlichen Gründen plötzlich verbreiten lassen, dass der Herr Bundespräsident nun eigentlich doch nichts mehr gegen die Veröffentlichung seiner ohnehin sattsam bekannten Schimpfkanonade habe. Und schwupps, war es vorbei mit dem Traum vom unbelästigten Zeitungslesen.

Aberaberaber, ist man denn als mündiger und/oder kritischer Bürger nicht dazu verpflichtet, im Fall Christian Wulff versus Kai Diekmann ganz klar Stellung zu beziehen und dann seinen Kandidaten vehement von morgens bis abends in Foren und Leserkommentarspalten und selbstverständlich auch bei Facebook und Twitter zu unterstützen? Von wegen. Auch wenn notorische Meinungshaber sich das nicht vorstellen können: Es gibt sie, diese Fälle, in denen alle Beteiligten so dermaßen lästig sind, dass man die ganze Bande am besten ignoriert und mit der dadurch gewonnenen Lebenszeit irgendetwas Schönes anfängt.
Dennoch: Es sind viele Situationen vorstellbar, die angenehmer sind, als nichtsahnend das Handy anzumachen und statt irgendwelcher netter Mitteilungen über anstehende Partys, Schlussverkäufe oder Einladungen ins Kino die Nachricht eines äußerst ungehaltenen Bundespräsidenten auf der Mailbox vorzufinden, der dazu so aufgeregt ist, dass man den ganzen Mist gleich zweimal abhören muss, um zu verstehen, worum es überhaupt geht. Und sicher ist es auch ein bisschen anstrengend, sich selbst dauernd daran zu erinnern, dass man den Bullshit auf keinen Fall löschen darf, weil man ihn ja vielleicht noch brauchen könnte. Sich anschließend ständig neue Schlagzeilen über den Bundespräsidenten ausdenken zu müssen, obwohl alle Wortspiele mit dem Namen Wulff schon seit langer Zeit aufgebraucht sind, ist bestimmt auch nur so mittelspannend. Und dann erst dieser schreckliche Absturz, vom Chefredakteur des mindestens bösesten Blattes der Welt zum Führungsoffizier einer der letzten großen Bastionen der Pressefreiheit, als die die eigene Zeitung plötzlich von Leuten verteidigt wird, die man im Grunde noch nie ausstehen konnte, was vielleicht ja nur halb so wild wäre, wenn sie nicht plötzlich dauernd mit einem telefonieren wollten. Was nun echt schlecht ist, denn da ist schließlich noch die Sache mit dem Anruf, der keinesfalls gelöscht werden darf, aber wie schnell hat man gerade bei diesen modernen Smartphones mit den klumpigen Patsche­fingern daneben getatscht und statt des solidarischen Anrufs von Spiegel, FAZ und Süddeutscher Zeitung die Mitteilung von Wulff gelöscht. Ja, er kann einem schon leidtun, der Diekmann – wenn man es denn wirklich gern möchte.

Falls man nicht will, kann man sich stattdessen vorstellen, wie alle Beteiligten im nächsten Jahr ins Dschungelcamp zwangseingewiesen werden und dort mit lustigen Hüten auf dem Kopf ausgesuchte Teile der australischen Fauna aufessen müssen, um ein Fläschchen Cola und ein halbes Bakterienhähnchen fürs Team zu erspielen. Wer die schönste Unterhaltungsshow des deutschen Fernsehens doof, profan und menschenverachtend findet, kann sich so lange überlegen, wer neuer Bundespräsident werden könnte. Da wäre zum Beispiel Joachim Gauck, der Sarrazin schätzt und mutig findet und überhaupt – ah, doch lieber »Ich bin ein Star, holt mich hier raus« gucken? Geht gleich los. Wäre nett, wenn dann endlich alle diese Leute die Klappe halten und nicht weiter stören würden.