Dann fließt das Geld ohn’ ­Unterlass

In jüngster Zeit kommt es immer wieder vor, dass US-Zeitungen ihre Leser über Skurrilitäten im fernen Europa aufklären müssen. Kaum haben die Amerikaner erfahren, was es mit schwäbischen Hausfrauen und Schuldensündern auf sich hat, stehen sie vor einem neuen Rätsel. Hedgefonds, die griechische Staatsanleihen gekauft haben, wollen gegen den von ihnen verlangten Verzicht auf einen Teil des Nominalwerts klagen. Und zwar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der nicht geschmälerte Profit als Menschenrecht? Auf so eine Idee würde nicht einmal Mitt Romney kommen. Doch »in Europa sind Eigentumsrechte Menschenrechte«, erläutert die New York Times. Ohne die ideologische Überhöhung sind profitsichernde Regeln allerdings mittlerweile Bestandteil des internationalen Rechts, so kann man eine Regierung, die etwa aus ökologischen Gründen ein Großprojekt nicht genehmigt, wegen »Vereitelung von Gewinnchancen« verklagen.
Von Freihandel zu sprechen, ist daher ebenso irreführend, wie den Mangel an Regulierung zu beklagen. Es gibt immer mehr Regulierungen, nur schränken sie die Kapitalisten nicht in ihrer Geschäftstätigkeit ein. Sie gelten nur, wenn ein Geschäft schiefgeht oder der Profit zu dürftig erscheint. Film- und Musikindustrie verdienen nicht genug Geld? Schnell muss ein Gesetz her, das ein härteres Vorgehen gegen illegale Downloads im Internet ermöglicht. Die deutschen Verleger sind unfähig, ein Geschäftsmodell für das Internet zu entwickeln? Dann braucht man ein »Leistungsschutzrecht für Presseverlage«. Doch noch immer kann es vorkommen, dass eine neue Regel den Wünschen der Unternehmer nicht entspricht. So erdreistete sich der EU-Kommissar Algirdas Šemeta, einen Plan vorzustellen, dem zufolge Produkte in Zukunft das Siegel »Made in Germany« nur noch tragen dürfen, wenn mindestens 45 Prozent des Wertanteils aus Deutschland stammen. 45 Prozent? Sollten es nicht mindestens 50,1 Prozent sein? Bislang galt auch ein in China hergestelltes Auto als »Made in Germany«, wenn in Deutschland »die letzte wesentliche, wirtschaftlich gerechtfertigte Be- und Verarbeitung« erfolgte. So soll es auch bleiben, forderte Hans Heinrich Driftmann, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Denn sonst »werden viele Produkte nicht mehr als deutsch gelten«, und das »wäre ein immenser Schaden für die deutsche Wirtschaft«. Das Siegel »Made in Germany« hat keine Bedeutung mehr, weil in anderen Ländern produzierte Waren nicht schlechter sind, aber der Staat soll nun auch noch für die Täuschung der Kunden zuständig sein. »Made by underpaid laborers exploited by a German company« wäre allerdings auch weniger werbewirksam. Immerhin hat Driftmann sich noch nicht bei Amnesty International beschwert.