Das Urteil in Den Haag zu Entschädigungen für NS-Verbrechen

Immunität geht vor Gerechtigkeit

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat entschieden, dass ausländische Gerichte keine Ansprüche auf Entschädigungen gegen andere Staaten durchsetzen können. Viele Verbrechen der Nazis bleiben damit weiter ungesühnt.

Die Bundesrepublik Deutschland erhob im Jahr 2008 Klage gegen Italien vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, nachdem italienische Gerichte Opfern von Naziverbrechen umfangreiche Entschädigungszahlungen zugesprochen hatten. Bei den Opfergruppen handelte es sich um italienische Zwangsarbeiter und Angehörige von Zivilisten, die bei SS-Massakern im italienischen Civitella und im griechischen Distomo ermordet worden waren. Der italienische Kassationsgerichtshof hatte neben Geldansprüchen auch die Pfändung einer Immobilie des deutschen Außenministeriums angeordnet, der Villa Vigoni am Comer See. Die Bundesregierung wurde in dem Verfahren von dem Völkerrechtler Christian Tomuschat vertreten, der als Gutachter bereits die Vorwürfe gegen Manager des argentinischen Tochterunternehmens von Mercedes Benz, an der Verschleppung und Ermordung argentinischer Regimegegner während der Militärjunta beteiligt gewesen zu sein, für unbegründet gehalten hatte.
Der IGH folgte in seinem Urteil der deutschen Ansicht. Die italienischen Gerichte hätten die Immunität Deutschlands untergraben und zudem die Klagen von Privatpersonen gegen Staaten erst gar nicht zulassen dürfen. Die Entscheidung hätte durchaus anders ausfallen können. In einer abweichenden Meinung hatte zunächst Richter Abdulqawi Yusuf (Somalia) dargelegt, dass das Völkerrecht bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen Ausnahmen von der Staaten­immu­nität zulassen müsse. Und Richter Cançado Trin­dade (Brasilien) kritisierte sein eigenes Gericht scharf dafür, eine internationale Rechtsordnung zu etablieren, die über die tatsächlich erlittenen Leiden der Menschen hinwegsehe.
Mit seinem Urteil vom Freitag voriger Woche reaktiviert der IGH das längst überkommene Westfälische System der absoluten Unabhängigkeit von Nationalstaaten, während viele Gerichte bereits ein emanzipatorisches Menschenrechtssystem befürworten. Die Reaktionen auf den Den Haager Richterspruch waren indessen euphorisch. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) freute sich über die nun gewonnene Rechtssicherheit und sagte, dass die Bundesregierung das Leid der Opfer stets voll anerkannt habe. Auch in der Frankfurter Rundschau und der Taz lobte man das Urteil und riet den Opfern, die Entschädigung auf dem politischen Weg zu erstreiten. Doch die Entschädigungszahlungen verweigerte Deutschland bisher immer. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sowohl mit Italien als auch mit Griechenland Vereinbarungen getroffen, bei denen Deutschland am Ende nur für einen Bruchteil der tatsächlich erlittenen Schäden aufkommen musste.
Nach dem Urteil ändert sich nichts an der Praxis, dass Regierungen über den Empfängerkreis und die Höhe von Entschädigungen beraten. Eine Kontrolle durch Gerichte hätte die Perspektive der Opfer einbezogen. Das Urteil gibt Anlass zur Sorge – auch im Hinblick auf zukünftige Kriegsverbrechen autoritärer und faschistischer Regime.