Eine Justizbehörde für deutsche Soldaten im Auslandseinsatz

Aus der Schusslinie

Das Bundesjustizministerium plant eine zentrale Sondergerichtsbarkeit für deutsche Soldaten im Auslandseinsatz. Kritiker befürchten, dass diese damit besser vor Verurteilungen geschützt werden sollen.

»Militärjustiz kommt nach Kempten«, titelte Ende Januar die Augsburger Allgemeine. Die Zeitung berichtete über den unlängst vom Bundesjustizministerium vorgelegten »Entwurf eines Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr«. Der Referentenentwurf sieht vor, im bayerischen Kempten eine zentrale Justizbehörde einzurichten, die für die Verfolgung der von deutschen Soldaten bei Einsätzen im Ausland begangenen Straftaten zuständig ist. Über die hierfür notwendigen Änderungen der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes beraten derzeit die Landesjustizverwaltungen. Sollten sie ihre Zustimmung geben, könnte der Gesetzentwurf noch im April in den Bundestag eingebracht werden.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger begründete die Wahl Kemptens als Ort einer zentralen Militärgerichtsbarkeit gegenüber der Presse damit, dass die Stadt im Allgäu »schon heute die bayerische Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Auslandseinsätze« beheimatet. »Die spezialisierten Ermittler kennen sich in den militärischen Abläufen aus und bringen die notwendige Erfahrung für Ermittlungen im Ausland mit«, so die FDP-Politikerin. Ganz ähnlich argumentieren auch die Autoren des »Referentenentwurfs«. Ihnen zufolge ist die angestrebte »Zuständigkeitskonzentration« den »besonderen Kenntnissen« der Allgäuer Richter und Staatsanwälte geschuldet. Denn diese seien sowohl mit den »rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen der besonderen Auslandsverwendung« als auch mit den »konkreten militärischen Abläufen und Strukturen« vertraut, heißt es.
Mit der Beauftragung der Kemptener Justiz verbindet sich offenbar die Absicht, die eines Verbrechens beschuldigten Bundeswehrangehörigen besonders kameradschaftlich zu behandeln – zumindest legt dies der Referentenentwurf nahe. Es müsse gewährleistet sein, dass die »dienstrechtlichen Besonderheiten im Rahmen einer möglichen Rechtfertigung der Tat« bei der Urteilsfindung eine zentrale Rolle spielen, ist dort zu lesen. Zudem wird den an Straftaten in Kriegsgebieten beteiligten Soldaten »Rechtssicherheit« in Aussicht gestellt. Um die »psychischen Belastungen«, denen sie »auf Grund ständiger Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt« seien, nicht zu »verstärken«, dürften sie eine »zügige Erledigung der sie betreffenden Strafverfahren« erwarten, heißt es.
Sowohl bei den Unionsparteien als auch bei den oppositionellen Sozialdemokraten stößt der Gesetzentwurf aus dem Justizministerium auf Zustimmung. So sagte CDU-Militärexperte Ernst-Reinhard Beck der Augsburger Allgemeinen, er verbinde mit der Neuregelung die Hoffnung auf »eine signifikante Verbesserung in der Frage, wie Soldaten behandelt werden«. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, begrüßte in der Mitteldeutschen Zeitung die Einrichtung einer Zentralbehörde für Militärstrafsachen: »Die langen Verfahrenszeiten und die überhaupt nicht vorhandene Kompetenz für die Sondersituation im Einsatz sind schon ein Grund für eine besondere Expertise.«

Vorsichtige Bedenken meldete dagegen die grüne Bundestagsfraktion an. In einem Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung äußerte deren sicherheitspolitischer Sprecher, Omid Nouripour, seine Sorge um die »Unabhängigkeit der Rechtsprechung«. Eine zentrale Militärgerichtsbarkeit ziehe »schnell den Verdacht auf sich, zuerst im Sinne der Bundeswehr und erst danach zur Durchsetzung des Rechts zu arbeiten«, erklärte das Mitglied des Verteidigungsausschusses. Es dürfe keinesfalls »der Eindruck entstehen, dass um einer schnellen Bearbeitung Willen die Sorgfalt zu kurz kommt«, so Nouripour.
Weit schärfere Kritik kommt hingegen von der »Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz«. In einem offenen Brief an alle Bundestagsfraktionen erinnert deren Vorsitzender Ludwig Baumann an die 20 000 während des Zweiten Weltkriegs hingerichteten Deserteure und Kriegsdienstverweigerer: »Die Wiedereinführung einer Sondergerichtsbarkeit für Militärangehörige wäre angesichts der Verbrechen, die in der NS-Zeit von der Wehrmachtjustiz begangen worden sind, (…) ein Beispiel für mangelndes Lernen des Gesetzgebers aus der Geschichte.«
Als besonders lernfähig hat sich dieser in der Vergangenheit tatsächlich nicht erwiesen, wie aus der jüngst von Joachim Perels und Wolfram Wette herausgegebenen Aufsatzsammlung »Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer« hervorgeht. Der vormalige Richter am Oberlandesgericht, Helmut Kramer, schreibt hier, dass »sich bald nach Gründung der Bundeswehr Juristen im Bundesjustiz- und Bundesverteidigungsministerium in aller Heimlichkeit an die Planung einer eigenständigen Militärjustiz« gemacht hätten. Bis 1975 entstanden Kramer zufolge mehrere entsprechende Gesetzentwürfe. Diese sahen nicht nur einen drastisch verkürzten Rechtsweg für Deserteure vor, sondern auch die Aufstellung von »Sondereinheiten« aus straffällig gewordenen Soldaten – vergleichbar den »Bewährungskompanien« der NS-Wehrmacht. Die als Militärrichter nominierten Juristen übten Kramer zufolge noch Mitte der achtziger Jahre in »simulierten Gerichtsverhandlungen« ihre künftige Tätigkeit ein: »Neben Schreibkräften hatten sie auch Bücherkisten mit juristischen Kommentaren und Lexika in Polnisch, Russisch und Tschechisch dabei, dazu Roben (mit dem ›Tätigkeitsabzeichen‹ einer vom Schwert gekreuzten Waage), unter denen der Kampfanzug getragen wurde.«

Seither hat die Bundeswehr einen tiefgreifenden Wandel durchlaufen. Aus der Wehrpflichtigenarmee des Kalten Krieges wurde eine von Berufssoldaten dominierte, global operierende Interventionstruppe. Die derzeit erneut projektierte Militärjustiz wird sich denn auch weniger mit Deserteuren und »Wehrkraftzersetzern« befassen müssen als mit den Verursachern sogenannter Kollateral­schäden. Dieser Tätertyp war in aller Munde, als die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP im Oktober 2009 in ihrem Koalitionsvertrag die Einrichtung einer »zentralen Zuständigkeit der Justiz« bei Bundeswehrstrafsachen im Ausland vereinbarten. Einen Monat zuvor hatte Oberst Georg Klein einen Bombenangriff nahe dem afghanischen Kunduz befohlen, bei dem 142 Menschen, darunter viele an Kampfhandlungen völlig unbeteiligte Zivilisten, getötet worden waren.
Daher sieht Kramer die Gefahr, dass die im Referentenentwurf des Justizministeriums in Aussicht gestellte Rechtssicherheit für Soldaten im Kriegseinsatz von Seiten der Bundeswehr als »Freibrief« für Massaker an Zivilisten gewertet werden könnte. Dies wiederum entspreche, so Kramer, einer »wichtigen, völkerrechtlich auch während des Zweiten Weltkriegs unbestrittenen Funktion einer Militärjustiz«, die darin bestehe, »militärische Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung okkupierter Länder zu legitimieren«.
Bis in Deutschland wieder eine eigenständige »Wehrstrafgerichtsbarkeit« existiert, übernimmt offenbar die geltende Rechtsprechung diese Funktion. Erst unlängst urteilte der von Deutschland angerufene Internationale Gerichtshof im niederländischen Den Haag, dass zivile Opfer von Kriegsverbrechen vor den Gerichten ihrer Heimatstaaten keine Entschädigungszahlungen erwirken können (Jungle World 07/12). Von der Entscheidung betroffen sind die Angehörigen derjenigen, die während des Zweiten Weltkriegs in Griechenland und Italien von deutschen Truppen ermordet wurden.