Der Aufstand in Syrien und die Linke

Damaskuserlebnis für Antiimperialisten

Mit Assad oder gegen ihn, das ist hier die Frage. Angesichts der Gewalt in Syrien herrschen bei Linken Ratlosigkeit und Schweigen. Vor allem bei den Antiimperialisten brechen nicht mehr zu kittende Widersprüche auf.
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Als Syriens Staatspräsident Bashar al-Assad im Juli 2001 der rot-grünen Bundesregierung in Berlin einen Besuch abstattete, war die Empörung groß – allerdings nur bei der jüdischen Gemeinde. Beate Klarsfeld rief zu einer Demonstration auf, der Zentralrat der Juden schaltete dazu zwei große Anzeigen in der Welt und der Welt am Sonntag. Am Ende fanden sich gerade mal 200 Demons­tranten an der Baustelle des Holocaustmahnmals ein, großteils antideutsche Linke, Bahamas-Anhänger und Antifas. Sie waren die Gegner der syrischen Diktatur in Deutschland – und nur sie.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hingegen wies jede Kritik an dem pompösen Staatsempfang für den Despoten zurück und bekräftigte, Deutschland wolle seine »partnerschaftlichen Beziehung« zu Syrien weiter ausbauen. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Jürgen Möllemann begrüßte den Besuch Assads geradezu euphorisch, dieser gefährde den Friedensprozess in Nahost weniger als Israels Ministerpräsident Ariel Sharon. Was Bundespräsident Johannes Rau Assad im Schloss Bellevue sagte, ist leider nicht überliefert, denn darüber wurde Stillschweigen vereinbart.

Dagegen weiß man, was Assad Papst Johannes Paul II. sagte, als dieser ebenfalls 2001 Damaskus besuchte. Die Juden hätten »Jesus verraten« und versucht, »den Propheten Mohammed zu töten«. Schon zuvor hatte Assad wissen lassen, die »isra­elische Öffentlichkeit« sei »wie die Nazis«, das Staatsgebiet Israels sei »arabisches Eigentum«. Und Assads Verteidigungsminister ergänzte, wenn »jeder Araber einen Juden tötet, gäbe es gar keine mehr«. Syrien hat nicht nur deutschen Nazi-Schergen wie Alois Brunner – Adolf Eichmanns rechter Hand – Unterschlupf gewährt, ebenso wie später dem antisemitischen Terroristen Carlos und bis zuletzt dem Hamas-Führer Khaled Meshal, sondern auch maßgeblich die antiisraelische Terrororganisation Hiz­bollah unterstützt. All das waren für einige Juden und Antideutsche die Gründe, 2001 gegen Assads Besuch in Berlin zu demonstrieren.
Weder diese Tatsachen noch jene, dass die CIA über Jahre hinweg in Syrien Terrorverdächtige foltern ließ, störte jedoch den Bundesnachrichtendienst bei seiner intensiven Zusammenarbeit mit den syrischen Geheimdienstkollegen. Es hinderte die Bundesregierung nicht daran, allein 2011 166 Asylbewerber nach Syrien abzuschieben. Und all das kümmerte den deutschen Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nicht, als er im Mai 2010 bei Assad zu Besuch war und ihn umgarnte: »Wer den Friedensprozess im Nahen Osten unterstützten will, der muss auch das Gespräch mit Syrien suchen.« Auch der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg forderte 2009, die ohnehin guten Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Syrien zu intensivieren. Im Herbst 2011, als Assad bereits seit Monaten brutal gegen die Opposition in Syrien vorging, und am selben Tag, an dem die EU das Guthaben der syrischen Handelsbank einfror und weitere Sanktionen beschloss, unterzeichnete Siemens einen Vertrag über 305 Millionen Euro mit Syrien zum Ausbau eines Elektrizitätswerks.

Dies war ganz im Sinne des Verkehrsministers Peter Ramsauer (CSU), der vor genau einem Jahr, als im Maghreb die arabische Revolte tobte, nach Damaskus reiste und eine »verstärkte Zusammenarbeit« mit Assads Syrien forderte. Menschenrechte müssten angesichts der wirtschaftlichen Interessen hintanstehen, denn, so Ramsauer, »unsere Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten sind nicht einfach eins zu eins auf Länder anderer Weltregionen übertragbar«. 2008 hatte er auch schon in Teheran die Mullahs getröstet: »In der Wirtschaftsgeschichte ist es nur ganz selten gelungen, mit Sanktionen ein Land in die Knie zu zwingen – und das wird auch bei Ihrem Land so sein.«
Die Interessen von Ramsauer und Siemens treffen sich dabei originellerweise mit den Forderungen der linken Friedensbewegung in Deutschland. In einem Aufruf forderten etwa 3 000 Unterzeichner: »Kriegsvorbereitungen stoppen! Embargos beenden! Solidarität mit den Völkern Irans und Syriens!« In dem abstrusen Text wird der Aufstand gegen Assad als amerikanisch-israelische Verschwörung dargestellt und gegen jede Realität behauptet, die Nato plane eine militärische Intervention. Auch einige namhafte Bundestagsabgeordnete der Partei »Die Linke« hatten diesen verschwörungstheoretischen Aufruf unterschrieben, was wiederum den BAK Shalom der Partei veranlasste, mit einem Papier zu reagieren: »Gegen linke Solidarität mit den Schlächtern von Syrien und Iran!«
Die angesichts der arabischen Revolutionen und spätestens seit dem Aufstand gegen Muammar al-Gaddafi ohnehin mehr als ratlos wirkende antiimperialistische Linke scheint sich inzwischen selbst zu zerlegen. Während auf der einen Seite die Tageszeitungen Neues Deutschland (ND) und, noch drastischer, Junge Welt mit ihrer gemeinsamen, in Damaskus ansässigen »Korrespondentin« Karin Leukefeld Solidarität mit Assads Regime zelebrieren und zu reinen Propaganda­organen der syrischen Regierung verkommen sind, haben sich in der trotzkistischen und aus den K-Gruppen kommenden Linken die Ansichten zumindest ein wenig geändert. Die Monatszeitung Analyse & Kritik (AK) hatte noch im Falle Libyens vor allem gegen den »Libyen-Krieg« (gemeint war die militärische Unterstützung der Rebellen durch die Nato) agitiert und somit zumindest indirekt den Status quo der Herrschaft Gaddafis verteidigt. Nun erklärt sie: »Die europäische Linke steht in der Pflicht, sie (die syrische Opposition, d. Red.) zu unterstützen – auch wenn die Lage aus der Entfernung schwer einschätzbar sein mag.« Die Titelschlagzeile der aktuellen Ausgabe lautet »Syrien: Wie geht Solidarität?« Dass die AK-Redaktion zwar keine Antworten hat, aber immerhin Fragen, ist ein enormer Fortschritt gegenüber dem geschlossenen antiimperialistischen Weltbild alter Tage.
Widersprüche tun sich auch im radikalsten Teil der antiimperialistischen Szene auf. Ausgerechnet die aus der antizionistischen Sekte Linksruck stammende Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Christiane Buchholz, führt eine Auseinandersetzung mit dem Junge Welt-Kommentator Werner Pirker. Der hatte ihr vorgeworfen, zwar gegen eine militärische Intervention in Syrien zu sein, gleichzeitig aber den »Volksaufstand« gegen das Regime zu unterstützen. Damit betreibe sie in Wirklichkeit »nichts anderes als linken Flankenschutz für den westlichen Interventionismus«. Der Jungen Welt zufolge ist der Aufstand gegen Assad nämlich »nicht die Fortsetzung des arabischen Frühlings, sondern seine Eindämmung«. Dass Buchholz zwar angeblich die syrische Op­position »unterstützt«, tatsächlich aber Unterstützung wie ein Wirtschaftsembargo gegen Assads System ablehnt, ist also nicht das, was Pirker kritisiert, sondern im Gegenteil, dass Buchholz sich überhaupt auf der Seite der Aufständischen verortet, statt sich uneingeschränkt zum ba’ath­is­tischen Sozialismus (siehe Seite 4) zu bekennen.

Dass Teile der antiimperialistischen Linken anfangen umzudenken und schließlich vielleicht die reaktionärsten Positionen aufgeben, ist begrüßenswert. Ob das die überfällige Trennung von jenen einschließt, die die von Assad geförderten Terrorgruppen Hamas und Hizbollah als Teil einer antiimperialistischen und antikolonialen Linken verklären (Jungle World 31/2010), wird sich zeigen. Wirklich spannend wird es mit der Neuorientierung aber erst, wenn es an ihren geistigen Maximo Lider Hugo Chávez geht. Dass der seinem »Bruder« Assad die Treue hält (siehe Seite 5), ebenso wie dem iranischen Holocaustleugner und Präsidenten Mahmoud Ahmedinejad, hat bisher kaum zu linken Selbstzweifeln geführt, jedenfalls ist davon im AK nichts zu ­lesen.
Auch von konkreten Solidaritätsaktionen hat man, abgesehen von der Kampagne »Adopt a Revolution« (siehe Interview Seite 5), nichts gehört. Auf Demonstrationen hierzulande sind Exilsyrer zumeist unter sich, auch wurde bisher keine »Syrien-Soli-Flottille« zu Wasser gelassen. Die Linkspartei setzt in ihren Erklärungen vor allem auf eine »friedliche Lösung«, auf »Verhandlungen«. In einem »Eckpunkte-Papier« behauptet der Arbeitskreis Internationale Politik der Bundestagsfraktion, »solidarisch mit den Kräften des demokratischen Wandels in Syrien« zu sein. Zu­allererst müsse aber die Gewalt aufhören, als deren Ausgangspunkt man immerhin Assads Regime identifiziert hat, dann müsse verhandelt werden. Das ist heuchlerisch und zynisch zugleich. Denn Verhandlungen mit Assad sind selbstverständlich das Gegenteil seines Sturzes. Gerade den aber will die syrische Opposition. Was als Solidaritätserklärung mit dem syrischen Aufstand verkauft wird, ist also tatsächlich eine Unterstützung des Regimes.
Es ist daher gut, dass diese perfide Doppel­moral öffentlich angeprangert wurde, und warum nicht auch im Bundestag, den die Linkspartei schließlich gerne als Podium nutzt. Dort fand am 19. Januar eine Aktuelle Stunde zum Thema »Solidarität von Linken-Abgeordneten mit dem syrischen Präsidenten Assad« statt. Doch nicht der Zentralrat der Juden oder antideutsche Kommunisten hatten die Sitzung einberufen, sondern CDU und FDP. So fiel es der Linkspartei nicht schwer, vor allem auf deren eigene verlogene Doppelmoral und deren frühere Kollaboration mit Assad hinzuweisen und darauf, dass, die »Linke« schon im vorigen Jahr einen Stopp der Abschiebungen nach Syrien gefordert hatte, und es CDU und FDP gewesen waren, die dies abgelehnt hatten.
Verwirrung angesichts der arabischen Aufstände herrscht aber nicht nur bei den Antiimps. Ob die Bahamas heute noch einmal wie 2001 zu ­einer Demonstration gegen Assad aufrufen würde, ist fraglich. Autor Sören Pünjer schwadronierte im letzten Heft verschwörungstheoretisch über die Unruhen in Syrien: »Die Beweise für die jüngsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit« seien lediglich »Quellen vom Hörensagen aus den Foren von Islamisten, oder Zeugenaussagen von Opfern, die gestern noch als irreguläre Soldaten reguläre angeschossen haben«. In Syrien werde ein »von jihadistischen Terrorbanden angezettelter aktueller Bürgerkrieg gegen Alaviten, Christen und Laizisten« in ein »neues Kapitel des arabischen Freiheitskampfes« umgelogen. Werner Pirker lässt grüßen.