Die Auflösung Preußens vor 65 Jahren

Deutschland als Katastrophe

Vor 65 Jahren wurde Preußen von den ­Alliierten aufgelöst.

Der 25. Februar ist ein Datum, das im Kalender der deutschen Jahres- und Gedenktage kaum Beachtung findet. Es hätte jedoch Aufmerksamkeit verdient. An diesem Tag trat im Jahr 1947 das vom Alliierten Kontrollrat erlassene »Kontrollratsgesetz Nr. 46« in Kraft, das die Auflösung des Staates Preußen anordnete. Es handelte sich um die letzte politisch bedeutsame Entscheidung des Kontrollrats, der als gemeinsames Regierungsorgan der vier Siegermächte im besetzten Deutschland am beginnenden Kalten Krieg zerbrach.
Sofern sich Geschichtswissenschaft und Publizistik heutzutage doch einmal mit diesem Datum beschäftigen, wird zumeist festgestellt, dass es sich bei dem Kontrollratsgesetz bestenfalls um einen Irrtum der Alliierten, wenn nicht gar um ­einen Ausfluss antideutscher, antipreußischer Vorurteile – vor allem bei Briten und Franzosen – gehandelt habe. Denn in Wirklichkeit sei Preußen im 18. Jahrhundert nicht viel kriegerischer als seine Nachbarn gewesen, sondern vielmehr ein Hort der Aufklärung und Toleranz. Und während der Weimarer Republik sei gerade der Freistaat Preußen mit seiner sozialdemokratisch geführten Polizei Garant von Demokratie und Stabilität gewesen.

Diese Interpretation verkennt aber den Grundgedanken des Kontrollratsgesetzes, das mit den Worten beginnt: »Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört. Geleitet von dem Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit der Völker und erfüllt von dem Wunsche, die weitere Wiederherstellung des politischen Lebens in Deutschland auf demokratischer Grundlage zu sichern, erlässt der Kontrollrat das folgende Gesetz«. Und dieses erklärte den Staat Preußen, seine Zentralregierung wie auch alle nachgeordneten Behörden für aufgelöst.
Der Beschluss des Rates war unverkennbar geprägt von den politischen Grundsätzen, die die Alliierten mit dem Potsdamer Abkommen im August 1945 für die Besetzung Deutschlands vereinbart hatten: Denazifizierung, Demilitarisierung, Demokratisierung und Dezentralisierung. Er beruhte auf einer Analyse des Nationalsozialismus, die diesen als Konsequenz der preußischen Geschichte, als ins Extreme gesteigerte Fortführung des preußisch-deutschen Militarismus und Despotismus verstand.

Diese Ansicht wurde nicht nur von den Alliierten vertreten, auch deutsche Antifaschisten unterschiedlicher politischer Herkunft hingen ihr an. So stand etwa noch die Defa-Verfilmung von Heinrich Manns Roman »Der Untertan« von 1951 ganz im Zeichen dieser Sichtweise. Dass dieses Verständnis des Nationalsozialismus in den vierziger Jahren derart konsensfähig war, dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass sich die Nazis selbst als Vollender der preußischen Geschichte dargestellt hatten. Auch die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und den wilhelminischen Militarismus war noch nicht ganz verblasst.
Dem Kontrollratsgesetz lag die Annahme eines deutschen Sonderwegs zugrunde, die den Nationalsozialismus nicht als »deutsche Katastrophe«, sondern als Resultat der »Katastrophe Deutschland« ansah. Heutzutage werden Erklärungsansätze, die von einem Sonderweg ausgehen, gerne für obsolet erklärt, beruhend auf dem Missverständnis, damit würde retrospektiv eine Zwangsläufigkeit der deutschen Geschichte behauptet, die auf Auschwitz habe zulaufen müssen.
Zweifellos jedoch musste die preußische Geschichte angesichts der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts als Vorgeschichte des Nationalsozialismus erscheinen. Denn in Preußen, wo sich kein selbstbewusstes Bürgertum herausbildete, das den Feudalismus überwand, und wo die kapitalistische Modernisierung staatlich, von oben durchgesetzt wurde, bildete sich die spezifische »deutsche Ideologie« heraus. Selbst wenn mittlerweile klar sein dürfte, dass sich solche ideologischen Konstanten nicht durch Gesetze weg­dekretieren lassen: Die Auflösung Preußens vor 65 Jahren als Versuch, das Fortwirken dieser Ideologie zu unterbinden, ist der Erinnerung wert.