Die Sozialabgabe für Kinderlose

Prämien für Usko und Mariam

Dem Vorschlag einer Abgabe für Kinderlose fehlt nicht nur der Weitblick, angesichts der Abschiebung von Kindern und Jugendlichen ist er auch zynisch.

Der Vorschlag flackerte nur kurz in den Medien auf. Doch manche – etwa Bayerns Familienministerin Christine Haderthauer (CSU) – befürworteten die Idee des CDU-Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz. Vergangene Woche hatte der Sprecher der »Jungen Gruppe von Unionsabgeordneten« angeregt, alle Menschen ab 25 Jahren ohne Nachwuchs mit einem Prozent des Einkommens zur Kasse zu bitten. Bedingt wird dieser Ansatz bereits in der Pflegeversicherung angewendet, in der Kinderlose einen um 0,25 Prozentpunkte höheren Beitrag zahlen.
Die Sozialsysteme funktionierten nicht, wenn es zu wenige Kinder gebe, behauptet Wanderwitz. Das stimmt wohl angesichts der Defizite des bestehenden Systems, aber hier dürfte etwas mehr Weitsicht angesichts der veränderten Lebensformen nicht zu viel verlangt sein. Die Abschaffung des zweigleisigen Systems der privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen, kluge steuerfinanzierte Sozialmodelle oder ein bedingungs­loses Grundeinkommen sind nur ein paar mögliche Optionen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, Familienministerin Kristina Schröder (CDU) und die SPD haben den Vorschlag von Wanderwitz abgelehnt. Doch nicht nur der Idee einer Abgabe für Kinderlose fehlt jeglicher Weitblick, auch die geäußerten Alternativen von Merkel und anderen – etwa bessere Anreize für potentielle Eltern – werden kaum mehr Männer und Frauen dazu zu bringen, nun doch noch ein Kind großzuziehen. Das ist Sozialpolitik auf dem Niveau eines Karnickel-Zuchtvereins. Beiden Ansätzen – egal ob Abstrafung der Kinderlosen oder Belohnung der Kinderreichen – ist zudem gemein, dass sie in zynischer Weise die deutsche Politik der Migrationsabschottung ignorieren und offenbar nicht alle Kinder einbeziehen, die in Deutschland leben. Im Diskurs um das »kinderarme Deutschland« werden konsequent all diejenigen ausgeblendet, die nicht als »deutsch« gelten. Das Problem der Sozialsysteme wird vor dem Hintergrund einer rassistischen Schablone diskutiert. Unerheblich scheint dabei die Tatsache, dass vielerorts die meisten Kinder längst keine Wurzeldeutschen mehr sind.
Deutschland erteilte in den vergangenen Jahren immer weniger Personen eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis. Vergaben deutsche Behörden 2009 noch knapp 120 000 Aufenthaltstitel für neu eingereiste Menschen, reduzierte sich die Zahl im vergangenen Jahr auf 73 000. Die anderen Eingereisten fristen ihr Dasein in prekären Situationen: als Asylsuchende oder als langjährig Geduldete ohne Aussicht auf eine Arbeits- und Ausbildungserlaubnis. Eltern mit Duldung bekommen übrigens in der Regel kein Kindergeld. 2010 hat Deutschland 22 380 Menschen abgeschoben oder abgewiesen, darunter Kinder und Jugendliche. Auch die Härtefallkommissionen kennen oft kein Erbarmen, selbst wenn die Schule oder die Chefin sich öffentlich um ein Bleiberecht bemüht.
Die Beispiele sind zahllos wie bekannt. Mit ihnen sollte nicht einer Sanierung deutscher Sozialsysteme durch Migranten das Wort geredet werden, um sie als »Humankapital« einmal mehr zu instrumentalisieren. Und dennoch: Wie wäre es einmal mit Bleibeprämien für Mariam, Burhan, Usko, Dilara und ihre Eltern?