Über Funny van Dannen

Obdachlose Illusionen

Funny van Dannen und die Wehrlosigkeit des Glücks.

Die beliebte Kritik, die Kulturindustrie verkaufe Träume und präge noch dem flüchtigen Glück die Warenform auf, ist längst ebenso anachronistisch geworden wie das Träumen selbst. Kulturindustrie heute hat sich jede Höflichkeit abgewöhnt und bemüht sich nicht einmal mehr, ihrem Publikum die alltägliche Qual als Lust, die Hoffnungslosigkeit als Traum auch nur vorzugaukeln. Sogar die Illusionen, die sie früher fabrikmäßig produziert hat, werden von ihr abgewrackt wie nutzlose Altteile. Die erfolgreichsten Shows handeln nicht mehr davon, wie man sich mit etwas Talent und der Gunst des Zufalls seine Wünsche erfüllen kann, sondern lassen hämisch Verdummte aufeinander los, um mit intrigantem Vergnügen noch die harmlosesten Sehnsüchte ihrer Nebenmenschen in den Schmutz zu zerren. Die Kinder, welche die Werbung präsentiert, sind nicht niedlich, sondern hässlich, fratzenhafte Duplikate der infantilen Erwachsenen, die sie später einmal sein werden, und die Models verkörpern keinen wie auch immer falschen Schein von Schönheit, sondern beleidigen die Sinne mit der gleichen Dreistigkeit wie der Alltag das Leben. Das kleine Glück, die harmlose Zerstreuung, das dem täglichen Trott abgeluchste Vergnügen sind Erfahrungen einer verlorenen Zeit geworden, in der die Menschen Gesichter statt Profile hatten und statt Kontakte Freunde.
Wenn die Traumfabriken die von ihnen selbst erzeugten Illusionen abschreiben und alles Gold in die Scheiße zurückverwandeln, aus der es einst durch phantasierende Veredelung hervorgegangen ist, vermag der falsche Schein von gestern zum Residuum des Glücksversprechens zu werden. Diese merkwürdige Transmutation, die die vergessene Schnulze zum Statthalter der Wahrheit macht, während die professionell promotete Neue Musik zur zeit­gemäßen Lüge wird, evoziert der Song »Als Willy Brandt Bundeskanzler war«, eines der frühesten Lieder von Funny van Dannen: »Die Welt war jung und Deutschland ein Wort, / und Squash war noch gar kein Sport. / Da machte Urlaub noch richtig Spaß, / und im Fernsehen gab’s ›Wünsch dir was‹. / Da war das Klima noch ok, / und mein großer Bruder sparte für einen Opel GT.« Der Vorwurf der Spießigkeit, der inzwischen zur ideologiekritischen Routine gehört und dem gegenüber die Lieder Funny van Dannens so wehrlos sind wie die Wahrheit gegen den Vorwurf, sie sei nicht letztbegründet, zielt ins Leere und trifft doch ins Schwarze. Haltlos ist er, weil Spießigkeit, richtig verstanden, gerade die Unansprechbarkeit des Individuums meint, jene bis in die Triebstruktur hineinreichende Unfähigkeit, die Welt als jung wahrzunehmen, der Funny van Dannens Musik in jeder ihrer Gesten mit unbezwinglicher Sanftmut widersteht, um sich die Spontaneität, die niemand einfach hat, sondern stets aufs Neue dem Druck der falschen Unmittelbarkeit entwinden muss, nicht verkümmern zu lassen. Zutreffend ist er, weil er negativ benennt, was jene, die ihn im Mund führen, am allermeisten hassen: die Selbstzurücknahme, die konstitutionelle Unfähigkeit, sich »einzubringen«, sich zu »engagieren«, ständig Partei zu ergreifen, »Stereotype« zu »dekonstruieren«, »Denkmuster« zu »unterlaufen« oder sonstwie in der großen Zeichensalatschüssel der zeitgenössischen Kunst herumzurühren, um sich den Vorwurf zu ersparen, man habe nicht mitgekocht und wolle trotzdem kosten.
Mit solchem Zwang zur Avanciertheit, der den auf »Innovationen« versessenen Kunstmarkt nahezu restlos im Griff hat, hatten Funny van Dannens Lieder noch nie etwas zu tun. Aber auch der linksvirile Authentizitätskrampf der schon lange vor dem Mauerfall ästhetisch gesamtdeutschen Liedermacherbagage ist ihnen fremd, obwohl sie, begleitet fast immer nur durch Gitarre und Mundharmonika, ohne das Moment das Handgemachten, Vorläufigen, Ungelenken und manchmal Albernen nicht zu denken sind. Ihren genuinen Impuls jedoch empfangen sie aus einer ganz anderen Sphäre, auf die Funny van Dannen selbst immer wieder hingewiesen hat, indem er Adamo, Nana Mouskouri oder Ricky Shane als wichtige Anregungen genannt hat: Sie ließen sich, wäre das Wort nicht bis ins Innerste korrumpiert, als die einzig wahren Schlager in deutscher Sprache bezeichnen, angesiedelt irgendwo zwischen französischem Yéyé-Pop, Hildegard Knef und Friedrich Hollaender. Eben weil sie Gesten, Klänge und Affekte aufnehmen, die dem Moderepertoire von vorgestern angehören, scheinen sie, wie alle authentische Kunst, aus der Zeit gefallen zu sein. Absichtslos und herzergreifend rufen sie Gefühle, Gedanken und Wünsche in Erinnerung, die man als sentimental, illusorisch oder kindisch an sich und anderen zu verachten gelernt hat und für die sich die routiniert Erkalteten, zu denen alle werden müssen, um zu überleben, schämen wie für jede unabweisbare Erkenntnis: »Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert, / ich hab dich gesehen, mein Freund. / Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert, / ich war auch da, und du hast geweint.«
Im ebenso grundlosen wie unbeirrten Vertrauen, in jedem Einzelnen möge, wie verschüttet und fragmentarisch auch immer, die Erinnerung an ein Glück schlummern, das alle kennen, obwohl es nie Wirklichkeit war, verteidigen Funny van Dannens Lieder die abgelegten Illusionen, die sich keiner mehr macht und die seither obdachlos durch alle Träume geistern: »Ich geh mir nur noch schnell ein Päckchen Zigaretten ziehen, / sagt er, aber sie weiß Bescheid. / Sie geht ans Fenster und schaut ihm nach, / es schneit, es schneit, es schneit. / Sie gießt sich was zu Trinken ein, weil sie alles verschwommen sieht. / Und dann summt sie in Gedanken ein unrealistisches Lied.« Die Zeit dieser Musik sind die kurzen, halb traurigen, halb schönen Stunden zwischen Pflicht und Freizeit, die selbstvergessen verbummelten Tage, ihr Ursprung ist die Erinnerung an einen Nichtort zwischen Kindheit und Jugend, als man noch ganz viel vorhatte, ohne genau zu wissen, was. Darum erscheint sie denen, die schon damals die Erwachsenen spielten, zu denen sie nie geworden sind, als naiv, albern, kitschig oder ganz einfach als harmlos: »Sie spielten nur bei Vollmond, ich glaube nicht, dass Ihr sie kennt. / Es gab sie nur zwei Jahre, die Bloody-Sunshine-Band. / Es gab keinen Bassisten, und die Orgel war kaputt. / Der Drummer hatte Besen mit Griffen aus Perlmutt. / Sie spielten in der Disco in der stillgelegten Fabrik / und für die coolen Jungs war das Mädchenmusik.«
Funny van Dannens bezwingendste Lieder entspringen dem Impuls, dem Glück, das schon seinerzeit nur als Schimpfname im Munde derer existierte, die es verachteten, seine Wahrheit abzugewinnen und den Glauben nicht aufzugeben, dass in den als ephemer, wertlos, dilettantisch und albern verfemten Dingen und ­Affekten, im Nippes und Tinnef, im Abhub der Gefühlswelt allein aufbewahrt ist, was von der ernüchterten Sachlichkeit verhöhnt und vom hohlen Pathos erniedrigt wird. Selbst noch manche der späteren Alben, die oft nicht nur im guten Sinn nebensächlich erscheinen, enthalten solche Lieder von ergreifender Belanglosigkeit, die im emphatischen Sinne harmlos, nämlich ohne jede Harm sind. »Herzen fliegen dir zu« aus dem Album »Herzscheiße« etwa ist, vergleichbar fast nur mit der radikalen Trivialität der Lieder Heinrich Heines, die authentische Nachkonstruktion einer Schnulze, die nie komponiert wurde und es doch hätte werden müssen, weil die Wahrheit, um die es darin geht, in einer schalen Wirklichkeit notwendig die Gestalt des Kitsches annehmen muss: »Die Sonne scheint für jeden, das Riesenrad dreht sich. / Mal oben und mal unten, und einen Kuss für dich. / Die Lose werden gezogen, die Nieten fliegen im Wind, / und alle können es sehen, wie glücklich wir heute sind. / Herzen fliegen dir zu, und sie fühlen wie du, / Liebe ohne Tabu, Herzen fliegen dir zu. / (…) Und alles ist wie damals, als wir uns noch gar nicht kannten, / als deine Augen noch Sterne waren, die funkelten wie Diamanten.«
Das profane Glück, das darin besteht, dass das Wechselspiel zwischen oben und unten die Lust steigert, statt die Angst zu verewigen, und dass die Nieten wie Blätter im Wind fliegen, weil es keine Verlierer mehr gibt, kann nur erscheinen als Erinnerung an eine Zeit vor der Zeit, als alles noch bevorstand und daher alles möglich schien. Gerade als Schnulzenphrase gewinnt die Liebe ohne Tabu, weil sie nicht kämpferisch beschworen wird, sondern einem zufliegt wie jedes Glück, die Unbedingtheit zurück, die der sexualpolitische Appell ihr längst geraubt hat. Statthalter dieser Zeit ist das triviale Lied, das zugleich das wehrloseste ist, weil es der wohlorientierten Idiotie, die für zeitgenössisch gilt, ein Leichtes ist, es als triviales zu erledigen. Dadurch allerdings droht es seiner eigenen Logik nach irgendwann so trivial zu werden, wie die Borniertheit es schimpft. Funny van Dannens letzten Alben, insbesondere dem fast unerträglich lustig daherkommenden »Trotzdem danke«, war diese Tendenz nicht fremd, aber selbst bei ihnen erschien es mitunter, als wäre all das Misslungene nur dafür da, dass das Gelingende aus ihm erstrahlen kann. Auf »Trotzdem danke« strahlte so ein Lied wie »Angenommen ich wäre die Gesellschaft«, von ergreifendem Ernst wie fast alle Liebeslieder von Funny van Dannen, auf dem neuesten, »Fischsuppe«, sind es das ungeheuerliche »Ins Heim«, eine Art spätes Echo auf das ebenfalls groß­artige Lied »Anita war ein Junge«, aber auch scheinbar alberne Kleinigkeiten wie das Spaghetti-Lied »Mikado« oder »Fang den Pudding«, die angemessen beiläufige Allegorien für ein Glück finden, das in der Alltagserfahrung der Menschen kaum noch einen Ort hat, um sich zur Erfahrung zu kristallisieren. Wahrscheinlich ist es die objektive Unwahrscheinlichkeit solchen Gelingens, die es möglich macht, Funny van Dannen noch das Misslingen zu verzeihen.

Funny van Dannen: Fischsuppe. JKP/Warner