Der französische Front National im Wahlkampf

Upgrade für die Rechte

Die programmatische Neuausrichtung des Front National führt dazu, dass die extreme Rechte Frankreichs in der politischen Diskussion ernster genommen wird.

Es waren ungewohnte Töne, die die Vorsitzende des Front National (FN) vorvergangene Woche in Lille auf dem zweitägigen »Präsidentschaftskonvent« ihrer Partei anschlug, als sie den »Euro-Faschismus« scharf attackierte. Allerdings meinte Marine Le Pen damit nicht – wie man zunächst annehmen könnte – das internationale Bündnis rechtsextremer Kräfte in Europa. Dieses ist ihr durchaus wichtig, wie Le Pens Besuch beim Burschenschafterball des »Wiener Kooperationsrings« Ende Januar zeigte, zu dem sie der Vorsitzende der rechtsextremen FPÖ, Heinz-Christian Strache, eingeladen hatte. Vielmehr meinte sie damit die supranationalen Institutionen der EU, als deren Opfer sie Griechenland ausmachte und denen schon bald auch Frankreich unterworfen werde. Den Vorwurf des Faschismus, den Le Pen sich häufig selbst anhören muss, drehte sie also einfach um.
Doch Le Pen, die im Bemühen, der Partei ein moderates Image zu geben, zuletzt gar den Na­tionalsozialismus als »Gräuel« bezeichnet hat, hatte wohl nicht mit ihrem Vater gerechnet. Denn der ehemalige Vorsitzende des FN trat ebenfalls auf dem Konvent auf und rezitierte in seiner Ansprache einige Verse des antisemitischen Schriftstellers Robert Brasillach, der im Februar 1945 als Nazikollaborateur standrechtlich erschossen worden war. Damit setzte sich Jean-Marie Le Pen nicht zum ersten Mal von der Strategie seiner Tochter ab, die Partei zu »entdiabolisieren«. Von diesem Vorgehen hält er nicht viel, da es die Partei profillos und austauschbar machen würde.
Schon eher in der Tradition ihres Vaters stand Marine Le Pen, als sie während ihres Auftritts eine vermeintlich antikapitalistische Rhetorik bemühte. Einer ähnlich sozialdemagogischen Ideologie hatte sich bereits ihr Vorgänger Anfang der neunziger Jahre, nach dem Ende des Kalten Kriegs, bedient, im Glauben, nach dem »Tod des Marx­ismus« sei der FN nunmehr die einzige »Fundamentalopposition«. So diffamierte Marine Le Pen den linken Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon, der ein Bündnis aus französischen Kommunisten und einer Linksabspaltung der Sozialdemokratie vertritt, sinngemäß als Arbeiterverräter. Von ihm solle man nicht erwarten, dass er »die Arbeiterschaft und die französische Industrie retten« werde. Vielmehr sei es »absolut voraussehbar«, dass er im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen dazu aufrufen werde, für den sozialdemokratischen Kandidaten François Hollande zu stimmen. Danach, so Le Pen, werde er »als Minister in einer Linksregierung enden«, die schließlich »auf die Arbeiter schießen lässt«, wenn diese sich weigerten, »ein Schicksal wie die griechischen Arbeiter zu akzeptieren«.

Vergangenes Wochenende trat Le Pen dann in der beschaulichen Provinzstadt Châteauroux auf, wo der FN eine Großkundgebung abhielt. Ihre Rede dort klang ganz anders als die in Lille, das historisch als »rote« Arbeiterstadt gilt. »Ich liebe das ländliche und das dörfliche Frankreich«, sagte sie nun. Und weiter: »Die französische Seele ist zutiefst bäuerlich. Unsere Landschaften sind Räume einer unerhörten Reichhaltigkeit, wo Frankreich mit dem Besten, was seine Kultur zu bieten hat, fortlebt.« Neben der Beschwörung des länd­lichen Raums formulierte Le Pen einige konkrete Vorschläge, die durchaus auch von politischen Kräften der Mitte geteilt werden. So erteilte sie dem Abbau bei »nicht rentablen« öffentlichen Dienstleistungen eine Absage und sprach sich gegen die Schließung von Postämtern und Schulen aus. Le Pen war sichtlich bemüht, die eher traditionsorientierte und konservative Wählerschaft zu erreichen. Entsprechend malte sie den Zuhörern eine vermeintliche Idylle aus, die durch Zuwanderung, Kriminalität und durch einen allgemeinen Niedergang Frankreichs bedroht sei.

Diese Wandlungsfähigkeit im Auftreten, je nach Zusammensetzung des Publikums, ist bei der extremen Rechten grundsätzlich nichts Neues. Es gibt keine besondere inhaltliche oder programmatische Kohärenz – bis auf ein unwandelbares Element, nämlich den Anspruch, die »Eigenen« gegen die Fremden und die Nation gegen ihre Feinde zu verteidigen. So lässt sich die Propaganda relativ leicht an die konkreten Bedürfnisse des jeweiligen Publikums anpassen. In diesem Jahr ­jedoch betont der FN durchaus einen programmatischen Kern. Denn Le Pen spricht in ihrem Präsidentschaftswahlkampf insbesondere wirtschafts- und sozialpolitische Themen an, zumeist unter dem Gesichtspunkt einer »Abwanderung der französischen Industrie ins Ausland«, die es abzuwehren gelte.
Teilweise hatte der FN eine solche Programmatik bereits in den neunziger Jahren unter Marine Le Pens Vater erprobt. Allerdings war die damalige rechtsextreme »Globalisierungskritik« noch wesentlich stärker mit verschwörungstheoretischen und offen antisemitischen Inhalten durchsetzt. Marine Le Pen verzichtet dagegen in ihrer Argumentation auf diese braunen Spitzen. Zugleich vermengt sie die Inhalte der extremen Rechten mit einer größeren Anzahl von Versatzstücken aus Texten linker oder keynesianischer Autoren.

Zwar muss Le Pen derzeit noch um ihre Zulassung zur Wahl kämpfen. Dennoch wird die extreme Rechte mit ihren Argumenten auf wirtschaft­lichem Gebiet inzwischen so ernst genommen, dass bürgerliche Politiker und Wirtschaftsprofessoren sich dazu veranlasst sehen, die mangelnde Seriosität der Vorschläge Le Pens zu belegen. Diese verspricht etwa eine Erhöhung aller niedrigen Löhne um 200 Euro im Monat, die sie durch die »Beendigung der Einwanderung« und die Rückkehr von Arbeitsmigranten in ihre Herkunftsländer, durch die Abkehr vom Euro und durch Sondersteuern auf alle Importprodukte finan­zieren möchte. Letzteres, so verspricht Le Pen zugleich, soll »ohne Preissteigerungen« für die französischen Konsumenten vonstatten gehen. Insbesondere daran äußern bürgerliche Wirtschaftswissenschaftler harsche Kritik und versuchen akribisch nachzuweisen, dass eine solche Rechnung nicht aufgehe. Das wiederum macht sich Le Pen zunutze, indem sie umso mehr betont, dass sie allein »die Kandidatin gegen das System und die Eliten« sei.