Die Arbeit der Untersuchungssausschüsse zum NSU

Ausschuss statt Aufklärung

Die Untersuchungsausschüsse, die das Versagen der Behörden im Fall des »Nationalsozialistischen Untergrunds« aufklären sollen, haben ihre Arbeit aufgenommen. An der falschen Annahme, die Rechts­terroristen operierten außerhalb der demokratischen Gesellschaft, werden sie nicht rütteln.
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Als sich Beate Zschäpe, das letzte lebende Mitglied der Terrorzelle »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU), im November 2011 stellen wollte, wurde sie von der Polizei ignoriert, obwohl bundesweit nach ihr gefahndet wurde. Dieser Vorfall steht exemplarisch für die zahlreichen Fehler in den Ermittlungen zu dem untergetauchten Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, das zwischen 2000 und 2007 mutmaßlich zehn Menschen ermordete. Mehrfach entkam die Gruppe, die bereits in den neunziger Jahren ins Visier des Verfassungsschutzes geraten war, wegen mangelnder Kommunikation zwischen den Behörden, rassistischer Ermittlungsstrategien oder grober Fehleinschätzungen. Die Bundesanwaltschaft wird voraussichtlich im Herbst Anklage gegen Zschäpe erheben, der dann folgende Prozess dürfte Erkenntnisse über die Vorgänge liefern.
Um Schaden von Deutschlands Ansehen abzuwenden, sahen sich die politisch Verantwortlichen jedoch zu schnellerem Handeln genötigt. Zur Klärung der Fehler und Versäumnisse wurden deshalb auf Bundes- und Landesebene Untersuchungsausschüsse eingerichtet. Anfang März nahm der Untersuchungsausschuss des Bundestags seine Arbeit auf, der seinem Vorsitzenden, dem SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy, zufolge analysieren soll, wo genau die Behörden versagt haben und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Der Ausschuss, der mit der »Bund-Länder-Regierungskommission« bei der Aufarbeitung der Morde zusammenarbeitet, müsse die Aufmerksamkeit für den Rechtsextremismus schärfen und das »Signal an die Gesamtbevölkerung« senden, dass man sicherstelle, dass »Menschen jeder Herkunft ohne Angst sicher in Deutschland leben können«.

In der ersten Sitzung schilderte die Ombudsfrau Barbara John zunächst die Situation der Opfer und ihrer Familien, die vor allem unter den Folgen falscher Verdächtigungen gelitten hätten. Kritik übte sie am Korpsgeist der Polizei, der dazu beigetragen habe, dass Missstände nicht an die Öffentlichkeit gelangt seien. Die Polizeiausbildung müsse stärker davon ausgehen, dass auch Deutschland ein Einwanderungsland sei, Gewalt gegen Migranten solle grundsätzlich immer auf fremdenfeindliche Motive untersucht werden. Außerdem forderte die ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte die Einrichtung einer Beschwerdestelle, bei der man sich im Fall eines Fehlverhaltens von Sicherheitsbehörden melden kann.
Als nächstes sollen nun Experten zu den Themen »Sicherheitsarchitektur der BRD« und »Rechtsextremismus« angehört werden. Die Nervosität bei den Ermittlungsbehörden dürfte nach Ostern steigen. Dann sollen die eigentliche Beweisaufnahme und die Befragung von Zeugen beginnen. Der Ausschuss möchte zunächst Beamte der bayerischen »Soko Bosporus« vorladen, die während der Ermittlungen in den fünf bayerischen Mordfällen auf rechtsextreme Taten hinweisenden Indizien nicht nachgingen, weil sie sich auf »Ausländer- und Drogenkriminalität« konzentrierten. Auch sollen Profiler der Polizei befragt werden, die vergeblich auf rechtsextreme Motive hingewiesen hatten, außerdem Vertreter der bayerischen Sicherheitsbehörden und die Leiter des Bundeskriminalamts, des Bundesverfassungsschutzes und des Militärischen Abschirmdienstes. Momentan fehlen der Kommission jedoch noch wichtige Akten. Nachdem sie vier Wochen lang keine einzige erhalten hatte, liegen bisher lediglich die aus Sachsen angeforderten vor.
Auch die Landesregierung in Thüringen beeilte sich damit, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. Da die NSU-Mitglieder allesamt aus der Naziszene in Jena kamen, war die Landespolitik zutiefst besorgt um das Ansehen des »grünen Herzens Deutschlands«. Der Ausschuss soll sich vor allem mit der Bildung der Zelle und ihrem Abtauchen in den Untergrund in den neunziger Jahren befassen. Dringlich wurde die Untersuchung auch, nachdem bekannt geworden war, dass die Nazis den Thüringer Behörden mehrmals knapp entwischt waren. So fand die Polizei 1998 bei einer Durchsuchung Sprengstoff in einer von Zschäpe angemieteten Garage, vor der für zwei Tage später geplanten Verhaftung tauchte das Trio jedoch unter. In weiteren Fällen verhinderten zu spät ausgewertete Erkenntnisse und der Quellenschutz eine Festnahme der Untergetauchten.
Der Ausschuss müsse nun klären, so der grüne Thüringer Landtagsabgeordnete Dirk Adams, ob beispielsweise Geheimhaltung die Ermittlungen behindert habe und »ob dies nicht sogar grundsätzlich so ist«. Forderungen nach einer Abschaffung des Verfassungsschutzes widersprach er indes. Es sei zu vermuten, die Staatsanwaltschaft habe das Trio unterschätzt. Presseberichte vom Dezember lassen anderes vermuten. Nach Angaben der Bild am Sonntag sagten Mitglieder des sächsischen Verfassungsschutzes vor der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Thüringer Landtags aus, der Geheimdienst habe den Nazis 2 000 DM für gefälschte Pässe zukommen lassen, aber die Meldeämter nicht informiert. Angesichts solcher Widersprüche verwundern die Aussagen von Dorothea Marx (SPD), der Vorsitzenden des thüringischen Ausschusses, nicht. Sie möchte in einem Jahr einen Zwischenbericht vorlegen, dessen Ergebnis jedoch auch sein könne, »dass wir kein Ergebnis haben«.
Während sich der Erfurter und der Berliner Ausschuss bereits trafen und zumindest wortreich erklärten, »an einem Strang zu ziehen« (Edathy) bzw. »Arm in Arm vorzugehen« (Marx), sowie sich gegenseitiges Besuchsrecht und Protokolleinsicht einräumten, gestaltete sich die Einrichtung eines Ausschusses in Sachsen schwieriger – und das, obwohl das Nazitrio die längste Zeit im Untergrund in der konspirativen Zwickauer Wohnung verbrachte und zehn Banküberfälle in der Region beging. Erst nach einer erhitzten Debatte beschloss der Landtag Anfang März, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, nachdem die regierende CDU dies immer wieder abgelehnt und die Klärung wichtiger Fragen verzögert hatte. Weil die Union auch am Tag des Beschlusses aus Gründen der »zeitlichen Koordination« keinen geeigneten Kandidaten benennen konnte, wird das Gremium seine Tätigkeit erst Mitte April aufnehmen.

Der wichtigste Einwand gegen den Ausschuss wurde zum Politikum: Da die NPD im Landtag vertreten ist, wäre sie auch mit einem Abgeordneten am NSU-Ausschuss beteiligt, womit dieser zu einem »NPD-Informationsausschuss« gerate, wie Günther Schneider (CDU) befürchtet. Auch auf Bundesebene sieht man die Kommissionen gefährdet. Clemens Binninger, der Obmann für die Arbeit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Ausschuss, sagte, die NPD erhalte »einen tiefen Einblick in das Wissen der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden über die Rechtsradikalen«. Dies behindere »alle weiteren Ermittlungen auf Bundes- und Landesebene und schadet der Sache mehr als es nützt«. So könnten Zeugen nur eingeschränkt aussagen oder Informationen durch das Schwärzen von Akten verloren gehen. Edathy hält deshalb gar »eine Zusammenarbeit zwischen unserem Ausschuss im Bundestag und dem Ausschuss in Sachsen« für schwierig.
Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im sächsischen Landtag, André Hahn, wies hingegen darauf hin, dass die NPD bereits seit Jahren am Rechts- und Verfassungsausschuss beteiligt sei und deshalb keinen weiteren Nutzen aus der Mitarbeit im NSU-Ausschuss ziehen könne. Die SPD-Obfrau im Bundesausschuss, Eva Högl, merkte an, dass eine Beteiligung der NPD nicht dazu führen dürfe, »dass man auf die parlamentarische Aufklärung verzichtet«. Zwar mögen die Einwände der sächsischen CDU zum Teil vorgeschoben sein, um eine Aufdeckung der eklatanten Versäumnisse der Behörden hinauszuzögern. Doch die NPD fühlt sich sichtlich wohl in ihrer Rolle. So erhofft sich der sächsische NPD-Abgeordnete Jürgen Gansel »Informationen, die ein Verbotsverfahren in unserem Sinne entschärfen«. Und auch Holger Apfel begrüßte die Einrichtung des Ausschusses. Man wolle nun »den Blockparteien und Sicherheitsbehörden kräftig einheizen«.

Nicht nur die Posse um die NPD-Beteiligung bestätigt letztlich die Dringlichkeit einer eingehenden Analyse jenes »Klimas des Leugnens und ­Ignorierens, das den Freistaat zu einem dankbaren Ruhe- und Rückzugsraum für die Mörder der NSU gemacht hat«, wie es der sächsische Landtagsabgeordnete Miro Jennerjahn (Grüne) formulierte. Auch Martina Renner von der Thüringer »Linken« forderte, man dürfe die Untersuchungen nicht auf die Naziszene beschränken, sondern müsse auch das gesellschaftliche Umfeld und die politischen Akteure beachten. Jedoch ist zu erwarten, dass sich die Ausschüsse nicht näher mit den grundsätzlichen gesellschaftlichen Verhältnissen auseinandersetzen werden. Dass sich beispielsweise das ignorante Verhalten der Polizei gegenüber den Hinterbliebenen der Opfer des NSU nicht selten aus Ressentiments speist, die vor allem in der ostdeutschen Provinz von der örtlichen Jugendclique bis zum Polizeichef verbreitet sind, passt nicht so recht in die Erzählung von den außerhalb der demokratischen Gesellschaft stehenden Rechtsterroristen, die lediglich zu nachlässig bekämpft wurden.