Der kanadische Medienkünstler Brian Joseph Davis

Old School, New School, Frankfurt School

Lyrics von Adorno, Emma Bovary als computergeneriertes Phantombild: Der in New York lebende kanadische Medienkünstler Brian Joseph Davis arbeitet an der Grenze zwischen Massenkultur und Aufklärung.

Punk war ein Skandal, als er in den siebziger Jahren entstand. Von den lauten, rohen, bewusst auf jegliche Professionalität verzichtenden Liedern bis zur abgeranzten Kleidung seiner Protagonisten widersprach er sowohl dem Aktionismus der Studentenbewegung der Sechziger als auch dem bürgerlichen Normalzustand und einem wenngleich nicht euphorischen, so doch biedermeierlich-gutmütigen Optimismus, der die Erfüllung eines Erwachsenenlebens in Familie, Haus und Beruf sah. »Verursache so viel Chaos wie möglich und verhindere, dass sie dich lebend kriegen«, sagte Sid Vicious 1977 in einem Interview. Das Leben, das sich in den Songs jener Tage Ausdruck verschaffen wollte, war ohne Frage beschädigt, und die Ästhetik der Punks – Hundehalsbänder, zerrissene T-Shirts und Sicherheitsnadeln – brachte diese Deformation zu Ausdruck. In der 1951 erschienenen Schrift »Minima Moralia « vermerkte Theodor W. Adorno, »Aufgabe von Kunst heute« sei es, »Chaos in die Ordnung zu bringen«. Freilich meinte er damit eher Künstler wie Samuel Beckett und Arnold Schönberg. Dennoch lässt sich zwischen den »Reflexionen aus dem beschädigten Leben« und der frühen Punk-Bewegung eine Verbindung herstellen.
Greil Marcus schreibt in seinem Essay »Lipstick Traces«, jede der apodiktischen Überschriften in »Minima Moralia« gebe einen guten Titel für eine Punk-Platte her. Der kanadische Künstler und Autor Brian Joseph Davis hat diese Idee aufgegriffen und im Jahr 2004 eine EP mit vier Liedern veröffentlicht, in denen jeweils wenige Zeilen aus Adornos »Minima Moralia« im Stil des Riot-Grrrl-Punk der neunziger Jahre vertont worden sind. »Jedes Kunstwerk ist eine abgedungene Untat«, einer der Songs, ist gut anderthalb Minuten lang, es gibt genau ein Riff, der Text ist halb gesungen, halb gejault, und im Hintergrund kreischt eine weibliche Stimme. Das Siebdruckcover mit einem Bild Adornos am Klavier imitiert den Stil klassischer Punk-Platten: drei verschiedene Schriftarten, massive Lettern und der ironische Untertitel »old school, new school, frankfurt school«.
Davis gehört zu einer Generation von Künstlern, für die die universelle Verfügbarkeit des Materials im World Wide Web selbstverständlich ist. Sampling als Technik, die ihren Ursprung in der durch Massenproduktion vorangetriebenen Verbreitung von Schallplatten, später CDs und MP3 hat, gehört zu den wesentlichen Kennzeichen seiner Projekte. Um Kunstwerke im klassischen Sinn handelt es sich dabei nicht. So wie dem Wort »Projekt« immer eine gewisse Offenheit innewohnt, leben auch Davis’ Arbeiten von Spontaneität und Unabgeschlossenheit. Ihr Material ist die ungeheure Warensammlung der Popkultur und ihre spätmoderne Vermittlung durch den Computer und das Internet.
Dass sich in einem solchen Rahmen auch die Sentenzen Adornos verwenden lassen – und sei es auch in der Nische der Kunst –, ist längst kein Geheimnis mehr. Davis wird wohl bewusst gewesen sein, dass es zwischen seinem Musikprojekt »Minima Moralia« und den Intentionen Adornos durchaus einen Widerspruch geben könnte. Auf seiner Website bemerkt er über seine Adaption, es handele sich dabei um eine »schlechte Idee«. Die Funktionsmechanismen der Kulturindustrie, vor allem im Musik- und Literaturbetrieb, sind Davis vertraut. Das Projekt »Greatest Hits« (2006) etwa besteht aus sechs Liedern, in denen Davis jeweils alle Lieder eines »Greatest Hits«-Albums – u. a. von The Carpenters und Whitney Houston – übereinandergelegt hat. Das eigentümliche Genre des »Best of«-­Albums, das den Zuhörern verspricht, nur die musikalischen Perlen eines Künstlers zu präsentieren, auf dass sich bloß kein geheimes Lieblingslied jenseits der Singleauskopplung entdecken lässt, wird von Davis dabei nochmals zugespitzt und verdichtet. »In diesen geschäftigen und hektischen Zeiten«, so Davis lakonisch, »wer hat da schon Zeit für ein ganzes Album.« Ähnlich funktioniert die Arbeit »The Consumed Guide« aus dem Jahr 2011. Aus 13 090 Plattenbesprechungen des selbsternannten »Doyen der amerikanischen Rockkritiker«, Robert Christgau, konstruierte Davis eine kaum verständliche, aber immer noch die Autorität prätentiöser Wortgebilde ausstrahlende Kakophonie. Das Buch ist gleichsam die »Minima Moralia« in umgekehrter Form: kurze, aphoristische Textfragmente voller Worthülsen, gerade mal so lang wie ein Facebook-Kommentar. Die Musikkritik und ihre Tendenz zur Überhöhung eigener Geschmacksvorlieben wird von Davis der Beliebigkeit überführt. Die Auseinandersetzung mit der Popkultur versteht er durchaus als Reaktion auf Adornos Kritik der Kulturindustrie. Donna Summers, so Davis, sei ebenso wichtig wie Arnold Schönberg. Das geht zwar an Adornos Denken vorbei, kommt ihm aber dem Gehalt nach in manchen von Davis’ Arbeiten mehr entgegen, als auf den ersten Blick deutlich wird.
Für Brian Joseph Davis als Schriftsteller und Journalist ist neben der Popkultur vor allem die Literatur selbst ein zentrales Thema. Jüngst wurden Kurzgeschichten seines Buches »Ronald Reagan, my Father« in einer Anthologie mit dem Titel »Against Expression« veröffentlicht. Kennzeichen dieser jungen literarischen Strömung des »conceptual writing«, die sich mit der Textsammlung ihren eigenen Kanon schaffen wollte, ist eine deutliche Skepsis gegenüber der Sprache als Ausdrucksmittel. Sprache gelte ihr nicht als Medium von Erfahrung, sondern als klangliches und bildliches Material, so Herausgeber Kenneth Goldsmith. Wichtig ist allein das Konzept, das die Sprache strukturiert, so als würde man beispielsweise alle Worte aneinanderreihen, die ein Mensch in einer Woche gesprochen hat.
Doch diese Einordnung wird Davis nur teilweise gerecht. Sie vernachlässigt vor allem das Moment der Enttäuschung über den Bruch zwischen Sprache und Ausdruck, das vor allem in Davis jüngstem, breit rezipiertem Projekt »The Composites« eine Rolle spielt. Mit Hilfe einer Software, die von Sicherheitsbehörden eingesetzt wird, um Phantombilder zu entstellen, hat Davis ein paar der berühmtesten Personenbeschreibungen des literarischen Kanons im wahrsten Sinne des Wortes ins Bild gesetzt. Das Projekt wurde im Februar 2012 auf einer Tumblr-Seite begonnen und umfasst inzwischen 27 Phantombilder mit dem entsprechenden Zitat darunter. So zum Beispiel beschreibt Gustave Flaubert seine Emma Bovary: »Sie war völlig blass, weiß wie Leinwand; die Haut ihrer Nase bildete nach den Flügeln zu Fältchen, und ihre Augen blickten wie ins Leere.« Wie verschieden im Detail die Vorstellung in der Phantasie jedes Einzelnen bei der Lektüre auch sein mag, mit dem graustufigen Bild des finster dreinblickenden, weder eindeutig männlichen noch weiblichen Wesens auf dem Bild hat es wohl wenig zu tun. Es ist wohl nicht zuletzt das Wissen um den Einsatz der Software zur Verbrechensverfolgung, das die Assoziation weckt, jeder dieser Menschen könnte eine Tankstelle ausgeraubt haben. Die Übersetzung des Gedankenbildes, das gleichzeitig unscharf und prägnant ist und sich nur selten im »Genauso habe ich es mir vorgestellt« zu realisieren scheint, gelingt augenscheinlich nicht. Nicht nur gleichen sich die meisten Bilder und man sieht ihnen deutlich an, dass sie – wie der Titel sagt – zusammengesetzt sind, offensichtlich sind die von der Software generierten Gesichter auch unfähig zu ­lächeln. Die Tristesse der einzelnen Bilder und die Enttäuschung über ihre Unangemessenheit verteidigt implizit die Sprache als Ausdruck im Moment ihres Scheiterns. »Scheitern«, so Davis, »und damit Enttäuschung liegt verschlüsselt in der Geste.«