Das Buch »Der Kampf um globale soziale Rechte«

In schlechter Verfassung

Zwei Bremer Rechtswissenschaftler untersuchen den »Kampf um globale soziale Rechte«.

Finanzmarktkrise, Ernährungskrise, Umweltkrise, Migrationskrise: Die Probleme der Weltgesellschaft sind dramatisch.« So leiten Andreas Fischer-Lescano und Kolja Möller ihre soeben im Wagenbach-Verlag erschienene Schrift »Der Kampf um globale soziale Rechte« ein. Fischer-Lescano ist geschäftsführender Direktor des Zentrums für Europäische Rechtspolitik an der Universität Bremen und Rechtswissenschaftler. Sein Co-Autor ist studierter Politologe und forscht in Bremen ebenfalls zur Rechtstheorie. Mit dem 93 Seiten umfassenden Band versuchen die beiden Autoren eine theoretische Fundierung der gegenwärtigen sozialen Kämpfe in der Welt. Den Hintergrund der Proteste so unterschiedlicher Gruppen wie der »Occupy«-Bewegung, der spanischen Jugend der Puerta del Sol, brasilianischer Landloser, französischer Bauern und deutscher Studierender skizzieren die Verfasser so: »Während der Euro-Rettungsschirm auf etwa eine Billion Euro gehebelt wird, bringt niemand die 13 Milliarden Dollar auf, die (…) gebraucht werden, um den Welthunger zu stillen.« Etwa 1,3 Milliarden Menschen lebten weltweit in Armut. Besonders prekär sei die Situation der Flüchtlinge: 40 Millionen Menschen seien im Jahr 2010 aufgrund der Folgen der Urbanisierung, Nahrungsmittel- und Trinwasserknappheit sowie Rohstoffmangel auf der Flucht gewesen. »Im Extremfall ist nicht einmal das nackte Überleben gesichert.« Die soziale Frage sei längst eine globale soziale Frage.
»Die Nationalstaaten« hielten dafür »nicht mehr die adäquaten Problemlösungen bereit«. Einen »aktiven Beitrag« zu »diesen Misständen« habe auch das Rechtssystem geleistet. Das »globale Recht habe »die Krisensituationen ermöglicht und befördert«. Das Problem bestehe darin, so die Autoren in ihrer Einleitung, dass die »Global Player der Weltökonomie« längst das transnationale Recht prägten. Deswegen gelte es, an der »Wurzel des Problems« anzusetzen, um »das Versprechen sozialer Gerechtigkeit auf der globalen Ebene zu erneuern«. Zu diesem Zweck wollen sie in vier Kapiteln jene Fragestellungen aufnehmen, »die die globalen sozialen Bewegungen auf die Agenda gesetzt haben«. Nachdem sie die zentralen Merkmale der globalen Krisensituation herausgearbeitet haben, setzen sie sich mit Kritikern des Rechts als positivem Bezugspunkt auseinander. Im dritten Abschnitt skizzieren sie die derzeitige Situation bezüglich der globalen sozialen Rechte, um zu fragen, wie der »neoliberalen Globalisierung« begegnet werden könne.
Fischer-Lescano und Möller postulieren: »Der emanzipatorische Leitbegriff der globalen sozialen Rechte setzt nicht auf institutionelle Großentwürfe.« Die Forderung nach einem Weltstaat werde den sozialen Konflikten nicht gerecht. Es gelte vielmehr, »an den Konflikten selbst anzusetzen«. Man solle »mit einer alternativen Rechtspolitik in die Kämpfe um das globale Recht« eingreifen. Exemplarisch verdeutlicht das so beschriebene (forschungs-)politische Programm ein zentrales Dilemma des Buches. Es gemahnt zuweilen an Paul Watzlawicks Diktum »Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.« Dass die beiden Autoren an einem rechtswissenschaftlichen Forschungsinstitut arbeiten, lässt sich wahrlich nicht übersehen. Insofern ist auch der Titel des Buches, »Der Kampf um globale soziale Rechte«, richtig gewählt.
Es wäre den Autoren nicht einmal vorzuwerfen, sich bei ihrer Analyse auf rechtliche bzw. rechtspolitische Aspekte zu konzentrieren. Schließlich hätte es seine Berechtigung, Ursachen und Funktionsweise der immer größer werdenden Zahl internationaler Abkommen, transationaler Gerichtshöfe und Regelwerke nachzuspüren. Doch egal, ob man die beschriebenen Konflikte begrifflich als »globale soziale Frage« oder, altmodischer, als Klassenkämpfe, Armutsaufstände oder Ähnliches fasst, für Fischer-Lescano und Möller sind sowohl die Probleme als auch deren mögliche Lösungen vor allem im Recht, in seiner globalisierten Ausprägung wie auch in seiner von den Autoren kritisierten mangelnden sozialen Fassung, zu suchen.
Seltsam wirkt die demonstrative Berufung auf Marx und Adorno. Schon im Untertitel ihres Buches zitieren die Autoren einen Halbsatz aus Adornos »Minima Moralia«: »Zart wäre das Gröbste«. Das vollständige Zitat ist dann der Einleitung als Motto vorangestellt: »Zart wäre einzig das Gröbste: dass keiner mehr hungern soll.« Dieser Satz steht allerdings in einem anderen Kontext. In dem Abschnitt »Sur l’eau«, in dem er vorkommt, setzte Adorno sich kritisch mit den »positiven Entwürfen des Sozialismus« auseinander, denen er den zitierten Satz entgegensetzt. Fischer-Lescano und Möller hingegen stehen nicht im Verdacht, auf einen wie auch immer gearteten Sozialismus hinauszuwollen. Fast noch absurder ist, wie Adornos Auseinandersetzung mit der realen Wahnhaftigkeit des Nationalsozialismus in einem anderen Abschnitt der »Minima Moralia« im »Kampf um globale soziale Rechte« wieder auftaucht. Adorno schreibt: »Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.« Bei Fischer-Lescano und Möller wird daraus die Beschreibung der »fast unlösbare(n) Aufgabe« ihres – na, was wohl? – »rechtspolitischen Projektes«.
Ähnlich abwegig ist es, dass die Autoren das Marxsche Wort vom »Verein freier Menschen« als Ziel gesellschaftlicher Emanzipation aus dem »Kapital« anführen. Denn die Autoren sehnen letztlich ein bürgerliches Recht im Weltmaßstab herbei, das Menschenrechte, verstanden vor allem als soziale Rechte, schützt, ohne deren kapitalistische Basis grundsätzlich in Frage zu stellen. Das bedeutet letztlich bloß eine Modernisierung linkssozialdemokratischer Ideen von Staat und Kapital. Eine Kritik der politischen Ökonomie des 21. Jahrhunderts liefern sie nicht. Dennoch: Fischer-Lescano und Möller gehen weiter als etwa die Mehrheit der »Occupy«-Bewegung. Sie versuchen sich an einer theoretischen Bearbeitung ihres Gegenstandes und ermöglichen so zumindest die Auseinandersetzung auf einem gewissen Abstraktionsniveau. Anders formuliert: Ihre Erkenntnisse kranken zwar an den üblichen Fehlern linkssozialdemokratischer Analyse, aber sie haben wenigstens theoretische Befunde, die diese Bezeichnung überhaupt verdienen. Viel mehr kann man heutzutage von einer dem akademischen Betrieb entstammenden Schrift wohl kaum erwarten.

Andreas Fischer-Lescano und Kolja Möller: Der Kampf um globale soziale Rechte. Zart wäre das Gröbste. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2012, 14,90 Euro