Eine Biographie über Jan Delay

Für Dosenpfand und Molotowcocktails

Jan Delay unterscheidet sich manchmal kaum von seinem großen Vorbild Udo Lindenberg: Äußert er sich politisch, wird es wirr.

an Delay sagt immer deutlich, wenn ihm etwas nicht passt. »Dieser Tage ist eine Biographie von mir erschienen, mit der ich nichts zu tun habe! Ich habe nicht mit dem Typen gesprochen, der hat sich das einfach alles billig zusammengegooglet. Das sind alles Texte und Zitate aus bestehenden Interviews. Wir hatten ihn auch gebeten, es zu unterlassen, weil ich irgendwann meine Biographie selber schreiben will. War ihm egal. Also bitte nicht kaufen und nicht schenken. Das ist wirklich Ramsch!!« schreibt Delay auf seiner Homepage.
Das Buch von Michael Fuchs-Gamböck und Thorsten Schatz ist tatsächlich kein stilistisches Meisterwerk. Die beiden Musikjournalisten sind bekannt dafür, Lobeshymnen auf irgendwelche Stars zu schreiben und diese dann als Biographie zu vermarkten. Ihr Output kann sich sehen lassen: Sie haben über den Grafen von Unheilig geschrieben, über La Fee, Lady Gaga, Jimi Blue Ochsenknecht und über Stefan Raabs Lena.
Lesen lässt sich das kaum, es ist ein Krampf: »Und damit öffnet sich der Vorhang, und auf die Bühne tritt: Jan Delay«, heißt es am Ende des einleitenden Kapitels »Zwischen Protest und Popstar«. Das ist alles schön cheesy – passend für Elfjährige, die im Kinderzimmer ihre Stars anhimmeln. Justin Bieber haben Schatz und Fuchs-Gamböck auch bereits im Repertoire, verkauft wird das Buch über den Jungstar als »die ganze Geschichte«. Delay hat es also geschafft, im Bravo-Pop anzukommen.
Bei soviel Produktivität kommt es vor, dass ein knapp zweiseitiges Interview mit Jan Delay im Magazin 11 Freunde auf sechs Buchseiten ausgewalzt wird, mit dem Fazit: Jan mag Werder Bremen, nicht St. Pauli oder den HSV, wollte mal Volkswirtschaftslehre studieren, um seine linken Eltern zu schocken und viel Geld zu verdienen. Letzteres hat dann ja auch geklappt. Was der als Jan Phillip Eißfeldt geborene Musiker anfasst, wird zu Gold. Selbst wenn das offensichtlich gar nicht seine Absicht gewesen ist.
Als die deutsche Nationalmannschaft das argentinische Team bei der WM 2006 bezwang, herrschte in einer Freiburger Studentendisco, in der größtenteils angehende Juristen, BWLer und Burschenschaftler Bierpincher in sich hineinschütten, kurz nach Spielende Volksfeststimmung: Verschwitzte Menschen, denen die schwarz-rot-goldene Schminke auf dem Gesicht zerlief, tanzten in ihren Flip-Flops völlig besoffen über einen versifften, klebrigen Boden. Sie grölten: »Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt.« Es ist ein Song aus dem Reggae-Album von Jan Delay »Searching for the Jan Soul Rebels«. Das war bitter: Offensichtlich ist das Lied völlig falsch verstanden worden.
Wer ihn schon mal live auf der Bühne gesehen hat, weiß: Jan Delay ist ein Timing-Gott. Er hat ein Gespür dafür, das Richtige im richtigen Augenblick zu tun. Er wusste, wann die Zeit für den Boom-Bap-Rap, den er und das von ihm mitgegründete Label Eimsbush produzierten, vorbei war. Die Insolvenz von Eimsbush war dann der nachträgliche Beweis. Nach dem etwas schmierigen Nena-Cover »Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann« beschäftigte er sich 2001 mit Reggae. Das war kein allzu großer Schritt, da die beiden Genres eng miteinander verwandt sind, und es war eine profitable Entscheidung. Auf dem Album »Searching for the Jan Soul Rebels« konnte er politische Texte versammeln, ohne auf den äußerst erfolgreichen Reggae-Sound verzichten zu müssen. »Viele sagen: ›Das sind deine Fans, deine Finanziers!‹, aber mir ist diese Meinung latte!«
Das ebenfalls auf dem Reggae-Konzeptalbum erschienene Stück »Söhne Stammheims« ist eines seiner besten. »Endlich haben sie keine Angst mehr/verkaufen fröhlich ihre Panzer/ ­jeden Tag sieben Kinder abschieben/und dann zum Essen mit dem Kanzler«, singt er. Es geht um das Ende der RAF und den Frieden mit den ausbeuterischen Verhältnissen. Der Text sollte ursprünglich härter sein, doch Jan Delay gab nach, um die Produktion des Albums nicht zu gefährden. Wenn der »Flash« bedroht ist, lenkt er ein. Seitdem wirft er »Discokugeln« statt Molotowcocktails.
Jan Delay ist als Bühnenfigur mittlerweile so etwas wie die Schanze unter den Vierteln: Je stärker er versucht, sich mit urbaner Coolness abzugrenzen, umso heftiger wird er von Partyproleten aus der Provinz geliebt. Delay bastelte mit manischer Perfektion an seinem Image als deutscher Frank Sinatra. Der jüngste Höhepunkt dieser Entwicklung war der gemeinsame Auftritt mit Udo Lindenberg bei der Echo-Verleihung. Der Song »Reeperbahn« ist eine Hymne an die »geile Meile«, die ein alter Mann wie Lindenberg auch glaubwürdig vortragen kann. Aber bei Delay wird es unweigerlich peinlich. Das ist dann doch mehr Hans Albers als Frank Sinatra. Selbst meine Mutter singt seine Texte mit, wenn sie im Radio gespielt werden – und das als Jennifer-Rush-Fan. Delay ist sozusagen gentrifiziert.
Das darf man nicht falsch verstehen. Wenn er im Radio gespielt wird, ist das angenehmer als der Unsinn, der sonst so läuft. Aber es ist alles so sauber geworden bei ihm: Es wirkt James-Last-mäßig, wenn Delay auf Riesenbühnen mit hübschen Sängerinnen im Cocktailkleid und seiner Band Disko No. 1 im Hintergrund den Entertainer gibt. Dass er in seinen musikalischen Anfängen bei den Beginnern mit einer Hardcore-Band durch Deutschland tourte, kann man sich kaum mehr vorstellen. Der Sound und die Raps waren damals weit unter dem Niveau, das Delay heute liefert. Dennoch dürfte es dem Musiker gefallen, dass die beiden Autoren des »Ramsch«-Buchs versuchen, den »Styler Number One« politisch zu deuten. Jan Delay lässt schließlich gerne den »Polit-Onkel« raushängen, wie er selbst sagt. Schulz und Fuchs-Gamböck schreiben aus einem Interview ab, in dem sich der Musiker über brennende Autos äußert. »Das brennende Auto ist eine super Aktion«, sagt Delay, aber Menschen dürften nicht zu Schaden kommen, Tiere seien ihm egal. Hauptsache, es hat Style – so wie Jürgen Trittin. Denn: »Mit dem Dosenpfand – das war großartiger Style.« Delay feiert einerseits den Konsum, wie seine Lieder über Nike-Sportschuhe beweisen. Andererseits ist Kapitalismus aber auch irgendwie schlecht. Sehr viel konkreter wird er nicht, denn irgendwie ist eben »alles vergiftet«. Da kann es schnell unübersichtlich werden. Vielleicht hilft dann seine Autobiographie, die Widersprüche unter einen Hut zu bringen.

Michael Fuchs-Gamböck/Thorsten Schatz: Jan Delay. Die Biographie. Heyne, München 2011, 225 Seiten, 8,99 Euro