Die Deutsche Islamkonferenz

Niemand spricht von Murat

Die dritte Deutsche Islamkonferenz der Bundesregierung beschäftigt sich lieber mit politischen Rollenspielen als mit der Lebenswirklichkeit der deutschen Muslime.

Vor der Deutschen Islamkonferenz (DIK) gab es in der vergangenen Woche Populistisches von Volker Kauder einerseits (»Der Islam gehört nicht zu Deutschland!«), andererseits politisch korrekte Stellungsnahmen diverser Islamverbände zu hören, die aber nur eine Minderheit der Muslime in Deutschland vertreten. Und so scheint es, als entwickle sich die Veranstaltung immer mehr zu der Tagung einer Parallelgesellschaft, die zwar hehre Ziele formuliert, aber die wirkliche Diskussion und die Verwirklichung ihrer Ziele scheut.
Das Motto der diesjährigen DIK hatte das Innenministerium in postmodernem Kirchentagsjargon formuliert: »Geschlechtergerechtigkeit als gemeinsamen Wert leben«. Gesprochen werden sollte diesmal Zwangsehen, Ehrenmorde und die Verteilung des Korans in deutschen Fußgängerzonen durch Salafisten. Dass der Salafismus nicht sonderlich verbreitet ist, störte kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen offenbar nicht, schließlich macht sich das Thema gut in der üblichen Presseerklärung für die »Tagesschau«.

Dass man sich der innerfamiliären Gewalt, vor allem gegen Mädchen, aber erst in der dritten Konferenz annahm, offenbart, wie wenig fast alle Teilnehmer gewillt sind, sich mit der Lebenswirklichkeit der Muslime zu beschäftigen. Und so geriet die stolze Bilanz des Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich (CSU) eher zu einem Eingeständnis: Erstmals sei es gelungen, eine »gemeinsame Erklärung aller Teilnehmer« zum Thema »häusliche Gewalt« zu verabschieden. Außerdem sei der DIK der »erste Teil einer Handreichung zu Rollenbildern und rollenbezogenen Fragestellungen vorgestellt worden«. Statt eine ­Debatte über die tatsächlichen Geschlechterrollen in muslimischen Familien zu führen, scheint man dazu übergegangen zu sein, den Dissens der Teilnehmer mit geschäftigen Projekten zu überspielen: »Zur Vorbereitung wurde im vergangenen Jahr die Projektgruppe ›Rollenbilder in muslimischen Milieus‹ eingerichtet. Ziel war es dabei, die bewusste Auseinandersetzung mit Rollenbildern unter Muslimen zu fördern.« Von der angekündigten, Arbeit der DIK zur »Integration in den Arbeitsmarkt« sollte man deshalb keine allzu guten Ergebnisse erwarten.
Dass sich die DIK, von Angela Merkel auch gerne als »Integrationskonferenz« angepriesen, nur in Allgemeinplätzen und akademischer Realitätsblindheit verliert, offenbart ihr grundsätzliches Problem: Die kollektive »Integration der Muslime in Deutschland« ist ihr Ziel. Ihr persönliches Fortkommen erkämpfen sich diejenigen Muslime, die nicht in starren Familienstrukturen verharren wollen, aber auf ganz individuelle Art und ohne einen verordneten, sozialpädagogischen Paternalismus von verschiedenster Seite. Die politische wie öffentliche Debatte aber rekurriert fast einzig auf die religiösen Verbandskollektive, wie etwa die aktuelle DIK-Studie »Islamisches Gemeindeleben«. Muslimisches Leben in Deutschland zeigt sich aber genauso in Oriental-Pop-Diskotheken mit Bierausschank, in schicken Cafés mit Raucher-Lounges und auf der Halbseite der türkischsprachigen Tageszeitung Hürriyet, auf der »Sauna-Clubs« aus ganz Deutschland werben.

Diese Heterogenität scheint sowohl das muslimischen Verbandswesen als auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft nicht wahrnehmen zu wollen. Zu ihr gehören auch muslimische Homosexuelle, deren Situation die DIK bisher ganz ausklammerte, im Gegensatz zum Türkischen Bund Berlin-Brandenburg, der die Kampagne »Kai ist schwul, Murat auch« unterstützte. Völlig zu Recht forderte deshalb die erstmalige Teilnehmerin der DIK und Gründerin der säkularen »Initiative progressiver Frauen«, die Rechtsanwältin Gönül Halat-Mec, »den Blick fürs Normale« zu schärfen. Und sie verwies auf einen Grundsatz, der längst nicht so selbstverständlich ist, wie er es sein sollte: »Religion ist Privatsache.«