Die Verstaatlichung eines Ölkonzerns in Argentinien

Cristina hört nicht auf das Ölgenöle

Die Verstaatlichung des Erdölkonzerns YPF stößt in Argentinien auf große Zustimmung. Einigen Gewerkschaftern geht sie aber nicht weit genug.

Die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner befindet sich womöglich auf dem Höhepunkt ihrer politischen Karriere. Am Mittwoch vergangener Woche stimmten fast 90 Prozent der Mitglieder des argentinischen Senats für ein von der Regierung vorgelegtes Gesetz zur Enteignung von Aktienanteilen, die der spanische Erdölkonzern Repsol am ehemaligen argentinischen Staatsunternehmen Yacimientos Petrolíferos Fiscales (YPF) hält. Nur drei der 72 Mitglieder der Kammer, die die Provinzen repräsentiert, stim­mten gegen das Gesetz. Es gab vier Enthaltungen und zwei Senatoren waren abwesend, darunter der ehemalige Präsident Carlos Menem, der 1992 die Privatisierung der YPF in die Wege geleitet hatte. »Die Enteignung gibt dem Nationalstaat und den Erdöl fördernden Provinzen die Möglichkeit, über die Energiepolitik zu bestimmen. Diese Politik wird sich an der Notwendigkeit der Entwicklung unseres Landes unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Mehrheit seiner Einwohner orientieren«, hatte Eric Calcagno, der im Senat der Fraktion des Wahlbündnisses der Regierung Frente para la Victoria angehört, vor der Abstimmung in der Zeitschrift Veintitrés geschrieben.
Am 16. April hatte die Präsidentin die Maßnahme verkündet und damit internationale Aufmerksamkeit erregt. Repsol soll seinen Mehrheitsanteil von 51 Prozent dem argentinischen Staat überlassen. Gleich nachdem die Maßnahme verkündet worden war, zwang die Regierung mehrere Direktoren von Repsol-YPF per Dekret zum Rücktritt und setzte für die kommenden 30 Tage eine provisorische Geschäftsführung ein.

Eine wichtige Rolle bei der Verstaatlichung spielt der stellvertretende Wirtschaftsminister Axel Kicillof. Der Wirtschaftswissenschaftler, der ein Buch über John Maynard Keynes veröffentlicht hat und ein alter Freund des Sohnes der Präsidentin, Máximo Kirchner, ist, hat in letzter Zeit eine steile Karriere gemacht. Er gehört inzwischen zu den engsten Vertrauten der Präsidentin. Er war es auch, der vor der Abstimmung im Senat für das Gesetz warb. Zwei Stunden lang attackierte er unermüdlich die Konzernführung von Repsol im Besonderen und den »Fundamentalismus des freien Marktes« im Allgemeinen. Unter anderem ließ er verlautbaren, der argentinische Staat werde nicht annähernd den von Repsol verlangten Preis für die Aktien bezahlen: »Wir können sagen, dass der unverschämte Preis, von dem bislang die Rede ist, auf den Prüfstand gestellt werden wird. Wir verfügen nun über Informationen, die der Konzern bislang geheimgehalten hat.« Kicillof wies auch auf Umweltschäden hin, die durch den Austritt von Erdöl entstanden seien und die der Konzern zu verantworten habe. Er warf der Konzernleitung zudem vor, sie habe Erdöl zurückgehalten, um die Preise in die Höhe zu treiben. Damit sei dem Land ein doppelter Nachteil entstanden, denn es musste nicht nur zusätzliches Erdöl importieren, sondern dafür auch noch sehr hohe Preise zahlen, was die Energiepreise in die Höhe treibe.

Die Regierung profitiert von der populären Maßnahme auch innenpolitisch. Zuvor war sie wegen ihrer Energiepolitik kritisiert worden. Neben den hohen Energiepreisen waren dafür die regelmäßigen Stromausfälle wegen der Überlastung des Netzes verantwortlich. Auch die hohe Inflationsrate, die die wirtschaftliche Lage vieler Argentinierinnen und Argentinier weiter verschlechtert, beschädigte das Ansehen der Regierung. Zudem sah sie sich Anfang April noch mit einem Korruptionsskandal konfrontiert, in den der stellvertretende Präsident Amado Boudou verstrickt ist. Der Moment schien also günstig, um sich erneut mit der Regierung eines europäischen Landes anzulegen.
Zuletzt gab es Anfang dieses Jahres Spannungen zwischen Argentinien und Großbritannien wegen des Konfliktes um die Falkland-Inseln (Jungle World 13/2012). Nun ist auch die spanische Regierung nicht gut auf Kirchner zu sprechen. Auch die Europäische Union und die US-amerikanische Regierung äußerten hinsichtlich der Enteignung von Repsol deutliche Kritik. Sowohl die USA als auch die EU hatten ohnehin geplant, die Einfuhrzölle für argentinische Produkte zu erhöhen. Argentinien gilt international schon seit längerem als »Schmuddelkind«, weil es sich nach der Wirtschaftskrise 2001 von der Linie der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds distanzierte. Seitdem orientiert sich die Außenpolitik des Landes stärker an seinen Nachbarn in Südamerika. Europa ist derzeit ökonomisch wenig attraktiv, während Brasilien, mit dem Argentinien im gemeinsamen Binnenmarkt Mercosur verbunden ist, an wirtschaftlicher Bedeutung gewinnt. Daher gibt sich die argentinische Regierung angesichts von Warnungen und Drohungen vor einer wirtschaftlichen Isolierung des Landes gelassen.

Auf Zustimmung trifft die teilweise Verstaatlichung von YPF beim zweitgrößten Gewerkschaftsdachverband Argentiniens, der Central de Trabajadores de la Argentina (CTA). Der Verband gründete sich in den neunziger Jahren als Gegengewicht zur marktradikalen Politik der damaligen Regierung unter Menem. Die Privatisierung der YPF 1992 wurde auch durch den damaligen Gouverneur der an Erdöl reichen Provinz Santa Cruz vorangetrieben: Es handelt sich um Néstor Kirchner, den 2010 verstorbenen Ehemann und Vorgänger Cristina Kirchners. Die CTA, der nicht nur Gewerkschaften, sondern auch soziale Organisationen angehören, hat in den vergangenen 20 Jahren eine gewichtige Rolle in den sozialen Bewegungen Argentiniens gespielt. 2010 kam es allerdings zur Spaltung, als der damals amtierende Generalsekretär Hugo Yasky die Organisation auf die Linie des »Kirchnerismo« verpflichten wollte und damit scheiterte. Er wurde in einer Abstimmung durch Pablo Micheli ersetzt, der sich dafür einsetzte, dass die CTA ihren parteiunabhängigen und föderalistischen Prinzipien treu bleibt. Die Kirchneristen erkannten die Wahl nicht an und das Arbeitsministerium entschied, Yasky bleibe im Amt, bis der Konflikt geklärt sei. Seitdem ist die CTA gespalten.
Beide Teile begrüßen selbstredend die Enteignung. Dafür ist diese Gewerkschaft schließlich 20 Jahre lang eingetreten. Während die kirchnertreue CTA sich aber darauf beschränkt, die Regierung zu loben und die Verstaatlichung zu feiern, mischen sich in die Stellungnahmen des für Unabhängigkeit plädierenden Teils der CTA kritische Töne. »Es ist nun notwendig, die Vertreter der Lohnabhängigen und der Konsumenten in die Leitung des Konzerns aufzunehmen«, fordert zum Beispiel José Rigane, Generalsekretär der Gewerkschaft der Energiearbeiter. Viele fordern eine weitergehende Vergesellschaftung der YPF. Rund 25 Prozent der YPF-Aktien befinden sich in den Händen der Familie Eskenazi, die den Kirchners nahestand. Als diese 2008 ihren YPF-Aktienanteil erwarb, wurde eine Vereinbarung getroffen, die vorsieht, dass die Eskenazis ihre Aktien mit den Dividenden bezahlen können, die selbige abwerfen. In seiner Sendung »Periodismo para todos« machte der investigative Journalist Jorge Lanata den Vorschlag, mit diesem beeindruckenden Geschäftsmodell könne er doch bei Coca-Cola einsteigen. Daraus wird wohl nichts. Lanata ist als unabhängiger Journalist im Hause Kirchner nicht gerne gesehen.