Streit über die Kandidaten vor der Präsidentschaftswahl in Ägypten

Die Generäle lassen wählen

Die ägyptische Wahlkommission hat die endgültige Liste der zugelassenen Präsidentschaftskandidaten bekanntgegeben. Nach dem Ausschluss populärer Bewerber gelten nun zwei »gemäßigte« Islamisten und zwei ehemalige Vertreter des alten Regimes als Favoriten.

Ägypten war früher ein verschlafenes Land, wenig passierte, und wenn, dann nicht besonders schnell. Seit der Revolution hat sich das geändert. Im vergangenen Jahr stürzten die Ägypter in 18 Tagen einen Diktator. Jetzt wird wohl ein neuer Rekord aufgestellt. Bis zum 23. Mai müssen zwei der Präsidentschaftskandidaten nahezu aus dem Stegreif einen Wahlkampf organisieren. Es sind die beiden aussichtsreichsten Kandidaten – potentiell. Jedenfalls wenn man aus den bisherigen Umfragen Schlüsse auf politische Vorlieben der Bevölkerung ziehen kann.
Der Muslimbruder Mohammed Mursi war bis vor kurzem als Präsidentschaftskandidat nicht vorgesehen. Ob Ahmed Shafik, der letzte Ministerpräsident unter Mubarak, kandidieren darf, war unklar. Populär sind beide nicht, aber sie treten an die Stelle zweier Favoriten, die von der Kandidatur ausgeschlossen wurden.
Am Donnerstag vergangener Woche gab die Wahlkommission die endgültige Liste der Kandidaten bekannt. Unter den 13 zugelassenen Bewerbern ist keine Frau, der einzigen Kandidatin Bothaina Kamel war es nicht gelungen, die erforderliche Zahl an Unterschriften vorzulegen. Zuvor hatte die Kommission drei Kandidaten ausgeschlossen, die bisher in den Meinungsumfragen führten: Den ehemaligen Geheimdienstchef Omar Souleyman, den Muslimbruder Khairat al-Shater und den Salafisten Hazem Salah Abu Ismail.

Souleyman hatte nicht genügend Unterschriften gesammelt. Khairat al-Shater saß noch im März 2011 im Gefängnis, das Wahlgesetz verbietet die Kandidatur von Vorbestraften. Abu Ismails Kandidatur verstieß gegen das Wahlgesetz, weil seine verstorbene Mutter einen US-amerikanischen Pass hatte. Auch Ahmed Shafik sollte nicht antreten dürfen, hohe Funktionäre des Mubarak-Regimes waren ausgeschlossen. Doch nun hat die Wahlkommission seinen Einspruch akzeptiert.
Der Geheimdienstler Souleyman hatte seine Kandidatur erst kurz vor Ablauf der Frist bekanntgegeben. Umso erstaunlicher war es, dass er in Umfragen den höchsten Zuspruch erhielt. Einer Erhebung des al-Ahram-Zentrums für politische und strategische Studien zufolge wollten ihn ein Drittel der Befragten wählen. Souleyman steht als Geheimdienstchef für die dunkelste Seite der Diktatur. Die Umfrage lässt darauf schließen, dass viele Ägypter genug von der Revolution haben und sich wieder einen starken Mann wünschen.

Diesen Wunsch könnte nun Ahmed Shafik erfüllen. Anders als Souleyman wird Shafik nicht mit dem Repressionsapparat des alten Regimes identifiziert, und er hat einige Erfolge in seiner politischen Karriere unter Hosni Mubarak vorzuweisen. Als Minister für zivile Luftfahrt machte er aus Egypt Air eine profitable Fluglinie und baute den Kairoer Flughafen aus. Nach einer neunjährigen Amtszeit als Minister und einer einmonatigen als Ministerpräsident bringt er politische Erfahrung mit – eine Qualität, die die derzeitig politisch Verantwortlichen vermissen lassen.
Doch vielen Wählern sagt der Name Ahmed Shafik wenig. Das dürfte sich in den nächsten drei Wochen kaum ändern. Damit hätte Amr Moussa, der ehemalige Präsident der Arabischen Liga, weiterhin gute Chancen. Dass auch er ein Vertreter der alten Oligarchie ist, könnte inzwischen sogar für ihn sprechen.
Bilder von schlafenden Parlamentsabgeordneten und Zänkereien zwischen Muslimbrüdern und salafistischen Abgeordneten haben das Ansehen der gewählten Vertreter beschädigt. Zudem herrscht politischer Stillstand. Das ist nicht die Schuld der Muslimbruderschaft, der stärksten Partei im Parlament. Die Militärregierung weigerte sich bisher, ein neues Kabinett entsprechend den Stimmenverhältnissen aufzustellen. Die Generäle wollen weiterregieren. Somit kann das Parlament nur Oppositionsarbeit machen.
Doch viele ehemalige Wähler der Muslimbrüder sind enttäuscht von den Islamisten. Der al-Ahram-Umfrage zufolge wollen 45 Prozent von ihnen diesmal etwas anderes wählen. Dennoch könnten die Muslimbrüder die stärkste Partei bleiben, zumal die konkurrierenden Salafisten keinen Kandidaten mehr haben.
Doch der Ersatz für Khairat al-Shater ist schwach. Mohammed Mursi ist zwar Vorsitzender der von der Muslimbruderschaft gegründeten Partei für Freiheit und Gerechtigkeit. Doch nicht umsonst hatten die Brüder zunächst den lautstärkeren Shater aufgestellt. Mursi gilt als gemäßigt und als ein Mann der leisen Töne. Damit unterscheidet er sich politisch kaum von Moneim Aboul Fotouh, einem weiteren islamistischen Kandidaten. Fotouh war vor einem Jahr aus der Muslimbruderschaft ausgeschlossen worden, weil er für das Präsidentenamt kandidieren wollte. Damals lehnte die Bruderschaft jegliche Bewerbung ab. Sie wolle die politischen Institutionen nicht zu stark dominieren, so ihre Begründung.
Dass sie sich erst spät anders entschied, trägt nicht zu ihrer Glaubwürdigkeit bei, überdies ist Fotouh bei einem Teil ihrer Anhänger sehr populär. Nach seinem Ausschluss gründete sich eine Unterstützerpartei, die allerdings bei den Wahlen keine Sitze im Parlament erringen konnte. Er kann offenbar mit der Unterstützung der Salafisten rechnen. Sie gaben am Sonntag bekannt, dass sich bei drei Abstimmungen die Mehrheit der Führungsmitglieder und der Abgeordneten der Partei des Lichts sowie der Prediger der Bewegung für Fotouh entschieden hätten. Fotouh sei bekannter und beliebter, daher habe er größere Chancen, so die offizielle Begründung. Doch dürfte auch die Konkurrenz zur Muslimbruderschaft eine Rolle gespielt haben. Die Salafisten haben haben bei den Parlamentswahlen 20 Prozent der Stimmen errungen, ihre Empfehlung könnte die Wahl entscheiden.
Allerdings sind viele Wähler weit weniger parteigebunden, als es der klare Sieg der Islamisten im Herbst vermuten lässt. Viele wählten eine islamistische Partei, weil sie das für religiös angemessen hielten. Tatsächlich hatte es entsprechende Fatwas, von Geistlichen erstellte religiöse Rechtsgutachten, gegeben. Die Salafisten sollen sogar die Stimmen einiger Christen errungen haben. Sie rieten Gläubigen, ihre Partei des Lichts zu wählen, da sie an die »Frau des Lichts« – die Jungfrau Maria – glaubten.
Zweifelhaft ist, ob solche Appelle an das religiöse Gewissen ein halbes Jahr später noch Wirkung haben, nachdem klar geworden ist, dass es um die Herstellung politischer Handlungsfähigkeit geht. Für viele Ägypter steht auch in Frage, ob unter diesen Bedingungen überhaupt gewählt werden sollte. Die Entscheidungen der Wahlkommission riefen Massenproteste hervor.

Die Militärregierung steht immer stärker unter Druck. Offensichtlich versucht sie nun durch antiisraelische Maßnahmen Popularität zu gewinnen. Am vorvergangenen Sonntag stellte die ägyptische Firma EGAS die Gaslieferungen nach Israel ein. Es hieß, die israelische Abnehmerfirma habe seit drei Monaten nicht gezahlt. Das israelische Außenministerium bestreitet das. Doch die israelische Regierung reagierte erstaunlich moderat: Es handele sich um eine Meinungsverschiedenheit zwischen Unternehmen, die sicher gelöst werde.
Dabei könnte der Streit politischer nicht sein. Israel bezieht 40 Prozent seines Erdgases aus Ägypten. Schon wegen der Anschläge auf Pipelines mussten die Israelis in den vergangenen Monaten eine Preissteigerung um neun Prozent hinnehmen. In Ägypten gelten die Gasverträge mit Israel als Symbol für das korrupte Regime. Es heißt, Israel zahle einen Schleuderpreis, bereichert hätten sich an den Verträgen Getreue Mubaraks.
Doch mit einem Wahlboykott wäre womöglich den Interessen des Obersten Militärrats (SCAF) gedient. Jüngst forderte der Rat, noch vor der Wahl am 23. Mai müsse die neue Verfassung fertiggestellt werden. Das wäre ein weiterer Geschwindigkeitsrekord, doch dürfte es schlicht unmöglich sein, den Termin einzuhalten. Denn noch besteht die Verfassungsgebende Versammlung nicht. Ein Gericht erklärte das von den Muslimbrüdern zusammengesetzte Gremium für unrechtmäßig, weil es die Bevölkerung nicht hinreichend repräsentiere. Es scheint, als wolle das Militär seine Macht nicht so schnell abgeben.