Freiheit auf Entzug

Allein in Deutschland wird etwa 70 000 Menschen gerade die Freiheit entzogen – durch die »freiheitlich-demokratische Grundordnung«. Und vielen von ihnen über Jahre und Jahrzehnte.

»Freiheit – was ist das?« Auf diese Frage wird eine bayerische Bürgerstochter eine ganz andere Antwort geben als ein amerikanisches Hollywoodsternchen, ein iranischer Imam oder ein chinesischer Landarbeiter. Allen Antworten gemein sein werden oft vage Aussagen über innere und äußere, über negative und positive Freiheit. Wir dagegen können unsere Freiheit genauestens definieren – wissenschaftlich genau –, bis auf die Nachkommastelle: Unsere Freiheit ist das TE, das »Terminende«. Der Tag unserer Entlassung. Der Morgen, an dem wir aus der Un-Freiheit in die Freiheit entlassen werden und dann wieder zu denen gehören, die nur vage Aussagen über ihre Freiheit machen können. Solange aber – solange wird uns die Freiheit entzogen; entzogen durch einen Staat, der sich einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht nur verpflichtet fühlt, sondern der ihr diese Grundordnung verfassungsrechtlich schuldet. Eine Krux? Vielleicht – was aber ist zu tun mit Menschen, die sich an die Regeln der Grundordnung nicht nur nicht gehalten, sondern sie missachtet und gebrochen haben?
Wer ist wirklich frei – und wie frei kann der Einzelne in der Gesellschaft sein – ohne anzuecken, auszubrechen, zu stören? Wir waren wohl zu frei – frei, uns zu nehmen, was uns nicht gehörte, frei zu verletzen, was von uns nicht beschädigt werden durfte. Waren wir wirklich zu frei? Hätte man uns damals die Frage nach unserer Freiheit gestellt, hätte man sicher viel von und über Unfreiheit erfahren – über Nöte und Zwänge, Sackgassen und Irrwege, Verzweiflung und Leid. Denen also, deren innere Freiheit zumindest beschädigt war, wird nun die äußere Freiheit entzogen. Bis zum TE. Und so warten sie aufs TE; warten darauf, wieder frei zu sein. Am Entlassungsmorgen die Sachen zu packen und mit dem geschnürten Bündel hinaus in die freie Welt zu ziehen. Als freie Menschen.
Freier Mensch? Oder als Mensch, der zwar in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung lebt, dessen Freiheit aber mindestens auch durch diese Grundordnung beschnitten wird: beschnitten durch Regeln und Vorschriften, durch Gesetze und »Normalitätsdefinitionen«, denen der Einzelne folgen muss, will er nicht mindestens seine Mitgliedschaft gefährden und als Abweichler gelten. Und noch weniger frei durch eigene, innere Zwänge, Bedürfnisse, Neigungen, Angewohnheiten und Schwächen.
Könnte das aber umgekehrt nicht auch bedeuten – beziehungsweise die Möglichkeit bieten –, in äußerer Unfreiheit »innerlich« frei zu sein? Zeugen davon nicht sogar die großen schöpferischen Leistungen in Unfreiheit lebender Künstler und Literaten? Beginnt vielleicht auch nicht erst mit der Entlassung, der Rückkehr in die Freiheit, die Unfreiheit – weil die Fremdbestimmtheit im Gefängnis nicht selten ein Laisser faire ist, von dem ein werktätiger Familienvater nur träumen kann?
Aber auch wenn Freiheitserleben subjektiv ist – die äußere Unfreiheit im Gefängnis steht uns tagein, tagaus deutlich vor Augen und bindet nicht nur unsere Hände, sondern unser ganzes Leben: Unfrei sind wir bei allem, was wir tun; stets und ständig bevormundet und eingeschränkt. Und in dieser Unfreiheit sollen wir auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden? Spätestens hier zeigt sich die ganze Absurdität des modernen Freiheitsentzuges (fußend auf einem kontrollorientierten Präventionsstrafrecht und -vollzug), der allenfalls die vorübergehende Unschädlichmachung von Straftätern leisten kann – die Befreiung der Gesellschaft von dem »Schädling« –, auf lange Sicht aber die Freiheit der Gesellschaft beeinträchtigt.
Befreien wir uns also von den Fesseln aus Angst, Unwissenheit und Rache und reißen die Mauern der Unfreiheit nieder – macht kaputt, was Euch kaputt macht. Statt 70 000 Menschen die Freiheit teilweise über Jahrzehnte zu entziehen, existiert schon lange eine wirksamere und bessere Methode, um die Freiheit der Menschen zu gewährleisten – nämlich: Freiheit. Und das bedeutet: Unfreiheiten zumindest zu reduzieren und allen Menschen zu helfen, in Freiheit zu leben.

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