»Blockupy« hat Frankfurt lahmgelegt

Hier blockiert die Polizei

Den Anhängern von »Blockupy« wurde zwar der Zugang zum Frankfurter Bankenviertel verwehrt und das Protestieren größtenteils untersagt. Die Stadt wurde dennoch lahmgelegt.

Etwa 40 Menschen kommen aus einem Hinterhof, Protestschilder werden verteilt, ein Banner wird entfaltet. Dann eilen die Demonstranten los, nutzen die fünf Minuten, in denen keine Polizisten in der Nähe sind, und besetzen den Platz vor der Deutschen Bank. Unverzüglich verbreitet sich die Nachricht von der Besetzung und die Anzahl der Demonstranten erhöht sich auf etwa 150.
Die Parolen auf den Schildern und dem Banner richten sich in erster Linie gegen die Spekulation der Deutschen Bank mit Nahrungsmitteln, aber auch gegen die Staatsgewalt, die bisher alles daran gesetzt hat, den Protest zu unterbinden. So besetzen die Demonstranten auch nicht den Platz vor der Zentrale der Deutschen Bank im Frankfurter Bankenviertel, das völlig abgeriegelt ist, sondern vor einer Filiale des Konzerns im Stadtteil Sachsenhausen. Auch diese Versammlung wird nach etwa einer Stunde gewaltsam von der Polizei geräumt. »In dem Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei ist das schon ein großer Erfolg«, sagt eine Teilnehmerin.

Denn wer dieser Tage nach Frankfurt gereist ist, um gegen die Krisenpolitik der »Troika« aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission zu demonstrieren, hat es nicht leicht. Die Behörden haben alle Proteste verboten, die in der vergangenen Woche unter dem Slogan »Blockupy Frankfurt« stattfinden sollten. Nur eine große Demonstration am Samstagmittag wurde genehmigt.
Schon am Mittwoch vergangener Woche räumten Polizisten das »Occupy-Camp« nahe dem Sitz der EZB. Daraufhin versammelten sich am Mittwochabend 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einem »Demo-Rave« an der Hauptwache. Das Verbot der »Blockupy«-Proteste mitsamt allen angemeldeten Demonstrationen war erst kurz zuvor vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bestätigt worden.
»Wir stehen hier und kommen einfach nicht vom Fleck«, klagt ein Demonstrant an der Hauptwache. Die Polizei löst die Veranstaltung auf. Nun dämmert vielen Teilnehmern, dass die Behörden bis Samstag wohl tatsächlich keine weiteren Demonstrationen dulden werden. Am Donnerstagmittag versammeln sich erneut Menschen, diesmal vor der Paulskirche, um ihr Recht auf Demonstrations- und Versammlungsfreiheit einzufordern. Viele halten den Polizeibeamten, die schon nach kurzer Zeit niemanden mehr auf den Platz lassen, das Grundgesetz entgegen – vergeblich. Ein Demonstrant, Mikkel aus dem dänischen Aarhus, hat kein Grundgesetz dabei, dafür aber einen großen Teddybären. »Die haben uns heute morgen eingekesselt und wollten uns nicht mehr gehen lassen. Aber mal ehrlich, sehe ich mit diesem Teddy gewaltbereit aus?« Das ist keine Ausnahme, in den Tagen vor dem Wochenende werden mehrmals Gruppen von zehn bis 20 Personen von einer Hundertschaft Polizeibeamter eingekesselt. Zwei junge Frauen aus Köln und Berlin fordern, die Paulskirche besichtigen zu dürfen. Als die Polizei ihnen dies verwehrt, beginnen sie, Seifenblasen in Richtung der Beamten zu pusten. Das ist eine der offensivsten Verhaltensweisen der Demonstrierenden an diesen Tagen. An der Paulskirche bleiben die Polizisten ruhig.

Bei der Räumung des benachbarten Römerbergs ist dies anders. Er war einer der wenigen Orte, die überhaupt noch zugänglich waren. Die Polizei reißt die Zelte ab und geht gegen die Anwesenden vor, als handele es sich nicht um friedliche Demonstrierende, sondern um einen tobenden Mob. Ein Besetzer wird grob weggetragen, ein Beamter drückt ihm brutal mit den Fingern auf die Augen. Trotz des immensen Polizeiaufgebots und des nicht immer sanften Vorgehens der Beamten bleibt es aber nicht nur hier, sondern in ganz Frankfurt friedlich.
Dabei zeigt sich die Polizei schon vor der Stadtgrenze unnachgiebig. Sie hindert mehrere Busse bereits 30 Kilometer vor der Stadt an der Weiterfahrt, hält die Insassen zunächst fest und erlegt ihnen dann ein Aufenthaltsverbot für die gesamte Innenstadt auf. Auf die Frage einer Insassin, ob dies den überhaupt rechtens sei, antwortet ein Polizist: »Ganz ehrlich, das weiß ich nicht.«
Doch bedurfte es überhaupt keiner protestierenden Menschen, um Frankfurt lahmzulegen. Das haben die Behörden ganz allein geschafft. Zum Bankenviertel hatten nur Personen Zugang, die dort arbeiten oder leben. Eine unüberschaubare Menge an Einsatzwagen versperrte das gesamte Viertel. Immerhin hatten einige Kinder ihre Freude daran, sie konnten auf den fast menschenleeren Straßen vor den Wohnhäusern spielen. In der Innenstadt war es kaum möglich, Geld abzuheben oder einzukaufen, denn Banken und Geschäfte waren verbarrikadiert. S- und U-Bahnen hielten tagelang nicht an zentralen Haltestellen. Öffentliche Einrichtungen waren geschlossen, so auch die gesamte Goethe-Universität Frankfurt, weil »gewaltsame Ausschreitungen im Stadtgebiet nicht auszuschließen seien« und es anders nicht möglich sei, den Schutz der Studierenden zu gewährleisten, wie das Präsidium verlautbaren ließ.
Im Studierendenhaus auf dem Campus Bockenheim beglückwünscht der Theoretiker Michael Hardt am Freitagabend dennoch die Anwesenden: »Ihr habt die Banker davon überzeugt, die Banken für euch zu schließen, ihr habt die Polizei dazu gebracht, die Stadt für euch dichtzumachen. Eure Ziele habt ihr also erreicht, ohne dass ihr überhaupt auf die Straße musstet.« Eigentlich sollten Michael Hardt und David Graeber, Anthropo­loge und ein Initiator des »Occupy«-Camps am Zuccotti Park in New York, in der Alten Oper sprechen. Aber auch diese Veranstaltung wurde abgesagt, angeblich auf Druck der Polizei. Nun stellt Graeber eben hier sein Buch »Schulden, die ersten 5 000 Jahre« vor. Hardt und Graeber plädieren dafür, sich dem Schuldensystem zu verweigern. Hardt spricht davon, dass der »welfare state« von einem »debtfare state« ersetzt werde. Für Leistungen wie die Gesundheitsversorgung oder Bildung müsse man immer häufiger bezahlen. Ein normales Leben sei für immer mehr Menschen deshalb nur noch auf der Grundlage von Schulden möglich.
Den lautesten Applaus erhält aber Martin Glase­napp von der »Interventionistischen Linken«. Er berichtet, dass den deutschen Vertretungen in Rom und Venedig »robuste Besuche« abgestattet worden seien. Aus Italien, Griechenland und Spanien sind zahlreiche Demonstranten angereist, um gegen das Spardiktat der »Troika« zu protestieren.

Am darauffolgenden Samstagmittag ist es dann aber zum ersten Mal erlaubt zu demonstrieren, obwohl der Frankfurter Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU) versucht hat, auch diese Großdemonstration zu untersagen. Es kommen über 25 000 Menschen, es ist die größte Demonstration, die es in Frankfurt seit langem gab. Einige Teilnehmer schreien in Richtung der Polizei: »Ihr macht euch lächerlich!« Irgendwie muss der Unmut über die Verbote der vergangenen Tage wohl kundgetan werden. Andere bedanken sich aber auch bei der Polizei. Schließlich hat sie das Bankenviertel blockiert und den Normalbetrieb für einige Tage unmöglich gemacht. Auch nun wird niemand verletzt, es fliegen keine Steine, es kommt nicht zu Krawallen. Eher kommt Volksfeststimmung auf. Umso absurder erscheinen nunmehr die Panikmache und die Aufhebung demokratischer Grundrechte seitens der staatlichen Behörden.