Die Ermittlungspannen in Bayern

Patrone Bavaria

Der »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU) ermordete mindestens fünf Menschen in Bayern. Bei der Suche nach den Tätern wollten und sollten die Behörden nicht an Neonazis denken.

Die bayerische Neonaziszene hatte auf eine Wendung zum Terrorismus selbst hingewiesen: Im Jahr 2000 erschien eine Ausgabe des vom fränkischen Neonazikader Matthias Fischer herausgegebenen Hefts Der Landser mit einer eindeutigen Ansage auf dem Cover: »Militant ins neue Jahrtausend«. Auf dem Cover des neonazistischen Fanzines Der Angriff aus Schwabach blickte man zur gleichen Zeit in einen Pistolenlauf. »Der Kampf wird härter«, hieß es dazu.
Der bewaffnete Kampf war dabei keineswegs eine bloß ästhetische Inszenierung der nordbayerischen Neonaziszene. Bereits Mitte Juli 1996 hatte Peter Dehoust aus Coburg, Herausgeber der neonazistischen Theoriezeitschrift Nation und Europa, ein 2 200 Quadratmeter großes Grundstück bei Kahla in Thüringen gekauft. Im selben und im darauffolgenden Jahr kam es dort zu Schießübungen von Neonazis mit Langwaffen, an denen nach Informationen des MDR auch der langjährige Leiter der Jenaer Kameradschaft, Andre K., und Uwe Böhnhardt teilgenommen haben sollen.

Die führenden Aktivistinnen und Aktivisten aus der »Kameradschaft Jena« und dem »Thüringer Heimatschutz« arbeiteten damals eng mit den führenden nordbayerischen Neonazis zusammen, die sich bis zum Jahr 2004 in der »Fränkischen Aktionsfront« (FAF) organisierten. Nicht zuletzt gab es regelmäßig gemeinsam besuchte neonazistische Konzerte der thüringischen und bayerischen Szene sowie die grenzüberschreitenden Kontakte des internationalen »Blood & Honour«-Netzwerks, das in diesen Jahren in Bayern mit gleich zwei Sektionen (»Franken« und »Bayern«) vertreten war. »Blood & Honour« propagierte den »führerlosen Widerstand« (»leaderless resistance«), den militanten Untergrundkampf vieler unabhängiger Zellen und Personen, »ohne Führer«, aber »entlang führenden Ideen«. Im Rahmen einer bundesweiten Razzia wurden am 7. März 2006 auch in Bayern die Wohnungen mutmaßlicher »Blood & Honour«-Aktivisten durchsucht, mehrere Schusswaffen und eine Handgranate konnten beschlagnahmt werden.
In den Jahren 2000 bis 2005 wurden fünf Menschen in Nürnberg und München im Rahmen der bundesweiten Mordserie getötet. Neonazis standen jedoch überhaupt nicht im Fokus der Ermittlungen. In sieben Sonderkommissionen wurde zwischenzeitlich nach den Tätern gefahndet. In Bayern ermittelten zeitweise 160 Beamte in der in Nürnberg aufgebauten Sonderkommission »Besondere Aufbauorganisation (BAO) Bosporus«.
Dass die Namenswahl nicht auf BAO Isar oder BAO Pegnitz fiel, gibt allein schon Auskunft über die bayerischen Zustände in Staat und Gesellschaft, in denen rassistische Ressentiments dominieren. In dem Bundesland, in dem der frühere Ministerpräsident Edmund Stoiber vor der »Durchrassung der Gesellschaft« warnte und der aktuelle Ministerpräsident sich gegen »Zuwanderung in die Sozialsysteme« »bis zur letzten Patrone« wehren will, ging die Ermittlungsarbeit denn auch in eine ganz andere Richtung. Den erschossenen Opfern sollte noch eine Verstrickung in kriminelle Machenschaften nachgewiesen werden.
Viele Fahnder der Sonderkommission seien davon überzeugt, schrieb Der Spiegel noch im Februar 2011 über die Ermittlungsarbeit zu der Mordserie, »dass die Spur der Morde in Wirklichkeit in eine düstere Parallelwelt führt, in der eine mächtige Allianz zwischen rechtsnationalen Türken, dem türkischen Geheimdienst und Gangstern den Ton angeben soll«.

Die fränkischen Behörden hatten offensichtlich aus ihrer eigenen Geschichte nichts gelernt. Am 19. Dezember 1980 hatte Uwe Behrendt, Mitglied der »Wehrsportgruppe Hoffmann« (WSG), in Erlangen Schlomo Lewin und Elfried Poeschke erschossen. Behrendt feuerte jeweils viermal auf Lewin und seine Partnerin, seine Waffe gehörte dem »Chef« der WSG, Karl Heinz Hoffmann. Lewin war Rabbi in Erlangen und Herausgeber antifaschistischer Publikationen, die sich vor allem mit der paramilitärischen Truppe Hoffmanns befassten. Die Polizei richtete ihre Aufmerksamkeit bei den Ermittlungen monatelang jedoch nicht auf das Nazimilieu, sondern ging von mafiösen Machenschaften und Intrigen innerhalb der jüdischen Gemeinde Erlangens aus, die dem Doppelmord zugrunde lägen. Obwohl Behrendt am Tatort die Sonnenbrille der Partnerin Karl-Heinz Hoffmanns verlor, dauerte es allein fünf Wochen, bis die Polizei zum ersten Mal bei der Besitzerin im Schloss Ermreuth vorbeischaute. Zum Prozess gegen Karl-Heinz Hoffmann schrieb der Spiegel im Jahr 1984, es würden nun »die Auswirkungen spürbar, in welchem Umfang das Gefahrenpotential der Rechtsextremisten über Jahre hinweg unterschätzt worden ist«.
Das terroristische Potential der deutschen Neonaziszene wurde in den Jahren danach weiter unterschätzt. Nur wenige mit den Ermittlungen betraute Polizeibeamte vermuteten in den Mordfällen der Jahre 2000 bis 2006 eine Serie möglicherweise rassistisch motivierter Morde oder die praktische Umsetzung nazistischer Vernichtungsideologie. Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages behauptete der frühere bayerische Innenminister Günther Beckstein zwar, die Beamten der Soko hätten »selbstverständlich« die Theorie eines »fremdenfeindlichen« Hintergrunds überprüft.

Wolfgang Geier, der ehemalige Leiter der BAO Bosporus betonte im Gegensatz dazu, dass er mehr oder weniger als Einziger in den Jahren 2006 und 2007 die Arbeitshypothese einer rechten Mordserie verteidigt hätte. Beckstein habe diese These ihm gegenüber als zu »kritisch für die Öffentlichkeit« eingeschätzt., man solle ja auch keine Nachahmungstäter motivieren. Im Großraum Nürnberg wurden einzelne Neonazis überprüft, mehr passierte nicht, und bis der bayerische Verfassungsschutz wenigstens eine Liste in Frage kommender Personen aus jener Region herausgab, brauchte Monate und mehrere Nachfragen der Sonderkommission. Ex­trem rechte Aktivistinnen und Aktivisten aus anderen Regionen wurden genauso wenig in die Ermittlung einbezogen wie die Neonaziszenen anderer Bundesländer, und vom im Untergrund lebeneden NSU-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe wussten die in der Soko ermittelnden Beamten nach eigenen Angaben nichts. Die »Spur 195«, die auf die Möglichkeit einer neonazistischen Attentatsserie verwies, ging jedenfalls ziemlich unter.

Die Verharmlosungs- und Vertuschungstaktik der bayerischen Behörden hält nach der Aufdeckung der NSU-Morde offensichtlich unvermindert an. Im neuen bayerischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2011 heißt es: »Über Mitgliedschaften bayerischer Rechtsextremisten im THS (Thüringer Heimatschutz, R. A.) oder unmittelbare Verbindungen zur ›Zwickauer Terrorgruppe‹ konnten bislang keine konkreten Erkenntnisse gewonnen werden.« Eine glatte Lüge, der ein – angesichts fünf getöteter Menschen – nicht weniger fragwürdiges Fazit folgt: »Innerhalb der rechtsextremistischen Szene in Bayern konnte ein (…) politisch motivierter Terrorismus bislang nicht festgestellt werden.«