Raucher und das Rauchen

Rauchende Menschen

Unsere Autoren erzählen von der ersten und der letzten Zigarette, von gesunden und ungesunden Marken, der Poetik des Qualms und der Herabsetzung der ­zulässigen Höchstwerte für Nikotin und Teer.

Kurze Raucher­autobiographie
Von Jens Friebe
Schon als ganz kleines Kind mochte ich keinen Geruch lieber als den von Zigaretten. Meine Mutter rauchte nur gelegentlich, aber immer wenn sie sich im Arbeitszimmer eine ansteckte und der Qualm in mein Zimmer zog, war es wie ein Trost oder ein Gruß von sehr weit her, bedeutend und angenehm wie Meeresgeräusch. In der Grundschule hatte ich zwei beste Freunde. Einer war reich, der andere arm. Beider Freunde Häuser aber rochen stark nach Rauch. Im reichen Haus kam der Rauch einzig aus der mageren, solariumbraunen Industriellenfrau. Die Familie des Armen, dessen Geschwister bereits erwachsen waren, rauchte geschlossen und hatte sogar ein Zigarettenbäumchen im Flur aufgestellt. So war das Abenteuer Auswärtsschlafen, welches mit seinen Attraktionen Durchmachen, Zuckerschock, präpubertäre Sexspiele und Chart-Karaoke alle wesentlichen Freuden des späteren Nachtlebens vorwegnahm, genau wie dieses stets von Schwaden würzigen Tabaknebels umwoben. Als ich Teenager war, trat die Zigarette also nicht als etwas Neues, Fremdes in mein Leben, sondern wie eine lange versprochene Braut. Ich rauchte begeistert. Ich liebte das Rauchen. Wie jede wahre Liebe vertrug auch diese keine Abhängigkeit. Ich hätte jederzeit aufhören können. Ich rauchte nicht viel, im Schnitt drei Zigaretten am Tag, aber dafür sehr bewusst, und es gab keine Marke, die ich nicht probiert hätte. Im Blindtest auf dem Schulhof konnte ich spielend bis zu zehn verschiedene Sorten herausschmecken, und im Wirtshaus »Schnarchhahn« veranstaltete ich mit zwei gleichgesinnten Freunden die Diskussionsreihe »Das Nikotinische Trio«. Dass meine Liebe sich später stark abschwächte, ist der EU zu verdanken. Zu Recht macht man sie für das Sterben der Rauchkultur verantwortlich, allerdings setzt man meistens den Termin des initialen Unglücks viel zu spät an. Es begann nicht erst mit den Rauchverboten in Kneipen, sondern bereits ein gutes Jahrzehnt (oder noch länger?) vorher, mit der drastischen Herabsetzung der zugelassenen Höchstwerte für Nikotin und Teer. Seitdem schmecken alle Zigaretten mehr oder weniger gleich, außer den »gesunden« American Spirit, denen das für die Geschmackskomposition wichtige Parfüm fehlt und an denen man so stark ziehen muss, dass bei jedem Zug im Kopf kleine Äderchen platzen und Gehirnzellen sterben. Sicher, ich stehe noch manchmal mit den anderen draußen vorm Club oder auf dem Balkon, lass mir Feuer geben, atme den Rauch ein und aus und seh ihm nach, wenn er in die Nacht zieht. Aber ich spüre nichts mehr dabei. Das Leben ist wieder leerer und ärmer geworden. Umso mehr wird es in seiner Grundfunktion »Gesundheit« von der Brüsseler Biopolitik beschützt. Die Furcht vor dem Tod, sagt Wittgenstein, ist das beste Anzeichen für ein falsches Leben. Damit will ich es nun gut sein lassen, drücke die letzte Zigarette aus, setz den Helm auf und fahre heim.

Gut erzogen
Von Ulf Ayes
Nein, wir konnten wirklich nicht jeden Freitagabend damit verbringen, in der Neubausiedlung herumzulaufen, Laternen auszutreten und leere Chipstüten und Cola-Dosen im Vorgarten des Physiklehrers abzuladen. Also riss Jan einen klobigen Begrenzungspfeiler aus dem Gehweg und schmiss ihn jubelnd über einen blickdicht vernagelten Zaun. Ich erinnere mich daran, wie plötzlich Glas laut zu Bruch ging. Wir rannten, versteckten uns auf einem Spielplatz und hielten die Luft an. Nach Minuten brach Jan das Schweigen, mit einem einzigen Wort, einem Ausruf, der die Brisanz des Moments auf den Punkt brachte: »Gillinger!«
Nun muss man wissen, dass »Gillinger« damals nur in Situationen verwendet werden durfte, die ganz besonders krass waren. In beeindruckenden und einschneidenden Situationen, in Momenten wie diesem also: Als wir nebeneinander im Dreck lagen, piekste Jan etwas in die Seite und er bemerkte, dass er versehentlich die Jacke seines Bruders angezogen hatte. Ein dämlicher Angeber mit Gelfrisur und frisiertem Mofa, einer, der sich schon mit Aknewässerchen auskannte, weil er keine andere Wahl hatte. Jan holte den eckigen Gegenstand aus der Innentasche der Jacke hervor: eine prächtige Schachtel HB. Die Königin der Zigaretten!
Wir rauchten. Das heißt: Jan paffte und beobachtete mich mit wachsendem Respekt dabei, wie ich den Qualm meiner ersten Zigarette tief inhalierte. Ich zog die Kippe einfach weg. Unter höllischem Schwindel natürlich, dafür fast ohne Hustenreiz.
Ein Durchbruch! Ein triumphaler Moment, auf den mich mein Alter jahrelang sehr gewissenhaft vorbereitet hatte: »Hol’ mir mal drei Schachteln HB, eine Mark kannst du behalten.« Zigarettenautomaten waren ja damals noch so niedrig angebracht, dass ich als Siebenjähriger die Wünsche meines Vaters problemlos erfüllen konnte. Jahre später, als meine Eltern kein Geld mehr hatten, weihte mich mein Vater dann in die Wissenschaft der »Kurbelmaschine« ein. Zigaretten selber zu drehen war nicht nur günstiger für meine Eltern, ich konnte nach den Hausaufgaben auch direkt am Wohnzimmertisch sitzen bleiben und stundenlang meine Finger trainieren. Dass die Zigaretten auf dem Sofa gegenüber gleich emsig weggequalmt wurden, bestätigte mir nicht nur den tieferen Sinn meiner Tätigkeit – ständig musste nachproduziert werden. Es weckte auch meinen Ehrgeiz. Ich wurde immer schneller, bald schon kam mein Vater mit dem Rauchen kaum mehr hinterher. Er qualmte und qualmte, gelüftet wurde selten.
Wenn Jan nicht gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich erst mit dem Rauchen angefangen, als Janine in mein Leben trat. Abgekaute Fingernägel, fast drei Schachteln Marlboro täglich, hat sie auf alles eine Antwort: »Wieso ich so viel rauche? Mit jeder Zigarette spüre ich mich ein bisschen mehr.« Philosophie und Rauchen, das ging schon immer gut zusammen. Dass es immer mehr Nichtraucher gibt, liegt allein daran, dass kommende Generationen nicht mehr vernünftig auf das Rauchen vorbereitet werden. Alles Erziehungssache.

Nico, Häuptling brennender Busch und der Ökotabak
Von Wolfgang Müller
Im Alter von 15 Jahren rauchte ich mit anderen Jungen aus meiner Siedlung heimlich die erste Zigarette. Ich wohnte im niedersächsischen Reislingen, einem Dorf an der Stadtgrenze von Wolfsburg. Der geheime Treffpunkt unserer Jungmännergruppe war die Kiesgrube neben der Mülldeponie. Nur wenige Kilometer davon entfernt verlief der Grenzzaun zur DDR. Wie alle Jungs las ich die Bücher von Karl May, und zwar meterweise. Was mich besonders beeindruckte, war die enge Freundschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand. Das Bleichgesicht und die Rothaut, das Weißgesicht und das Rotgesicht. So verschieden beide auch waren – sie schlossen Blutsbrüderschaft und rauchten die Friedenspfeife. Ob wohl in ferner Zukunft auch der rote Mann im Osten mit dem weißen Mann im Westen Pfeife rauchen würde? Die Reaktivierung von »Blutsbrüderschaften« kam mir seinerzeit weniger in den Sinn. Eher ein bisschen Hautkontakt mit Peter, der direkt neben mir saß.
Als Erfinder des Tabakrauchens gelten die Kanien’kehá:ka, die hierzulande meist als Mohawk bezeichnet werden. Die Mohawk haben bereits vor über 800 Jahren mit dem Rauchen angefangen. Sie bauten Tabakpflanzen an und kultivierten sie. Das Rauchen der Tabakpfeife, so die Überlieferung der amerikanischen Erstbewohner, diene dem sozialen Austausch und entspanne die Atmosphäre. Heute leben etwa 30 000 bis 40 000 Mohawk in autonomen Gebieten in den USA und Kanada. Dort gibt es zollfrei Tabak, Glücksspiele, ein Parlament und eine eigene Mohawk-Feuerwehr und -Polizei.
Meine erste Begegnung mit einem Kanien’ke­há:ka fand überraschend auf Island statt. Akwiratékha, gerade 26 Jahre alt, war von einem dort lebenden Kanadier zum Reykjavíker Gay Pride 2004 eingeladen worden. Er zählt zu den jungen Mohawk, die die fast vergessene Kanien’kehá-Sprache lehren. »Du bist doch aus Berlin«, sprach mich Akwiratékha an. Ob mir wohl Nico ein Begriff sei? Nico? In der Tat meinte er Nico, die Sängerin von Velvet Underground, die 1988 in Ibiza tot vom Fahrrad kippte. Ja, ich habe Nico sogar live bei ihrem allerletzten Konzert gesehen, im Planetarium, in Westberlin. Das war nur wenige Monate vor dem Unglück.
Er, der Nichtraucher sagte, er habe die kettenrauchende Chanteuse in der kanadischen TV-Reihe »Die großen weiblichen Popstars« gesehen und sei von ihr begeistert. Nico ist eigentlich nicht besonders populär, was man daran merkt, dass der Warhol-Superstar beispielsweise nie von Drag-Queens imitiert wurde. In ganz Wolfsburg hatte sie um 1977 gerade mal drei Fans, inklusive meiner Person. Verrechnet man diese Zahl mit Wolfsburg (120 000 Einwohner), ergibt das eine Nico-Fan-Durchschnittsquote von 1 zu 40 000. Unter den Mohawk sei er wohl, sagte Akwiratékha (»Brennender Busch«), der einzige Nico-Fan. Sollte er, Akwiratékha, jemals nach Berlin kommen, könnten wir gemeinsam eine Ehrenradtour zu Nicos Grab unternehmen, schlug ich vor. Ihre Grabstätte befindet sich auf dem »Friedhof der Namenlosen«, gleich hinter dem Teufelssee im Grunewald.
Tatsächlich rief mich Akwiratékha 2006 überraschend an: »Zur Zeit bin ich in Paris, anschließend reise ich mit dem Zug nach Berlin.« Gerade hatte die Mohawk-eigene Firma Grand River Enterprises am Stadtrand von Brandenburg eine Ökotabak-Fabrik errichtet. Ich holte Akwira­tékha vom Bahnhof ab. Mit Fahrrädern steuerten wir am nächsten Tag einen Bioladen in der Köpenicker Straße an, um Proviant für unsere Grunewaldtour einzukaufen. »What’s that?« fragte Akwiratékha und zeigte auf einen Stapel gelber Zigarettenpackungen, auf deren Vorderseite ein Kopf mit prächtigem Federschmuck prangte. American Spirit? »Oh«, sagte die Verkäuferin: »Das sind naturbelassene Zigaretten. Ökozigaretten. Frei von Zusatzstoffen und Chemie.« Ich übersetzte. Akwiratékha sagte, dass die Mohawk nur drei Federn als Kopfschmuck tragen würden. Das könne also gar kein Kanien’ke­há:ka sein. Noch bevor sich die Ladentür schloss, flüsterte er mir ins Ohr: »Ökotobacco. This is the revenge, for stealing our country and killing us with schnaps and liquor! Die slowly and painful – white man!« Er grinste: »Indian Ökotobacco.«
Als wir uns kennenlernten, war ich bereits seit langem Nichtraucher. Seit Akwiratékha mich auf die Ursprünge des Rauchens aufmerksam gemacht und den Fluch ausgesprochen hat, ist das Rauchen für mich nun weniger belastet von falschen Erwartungen, von Sublimation und schlechtem Gewissen. Daraus nun zu folgern, dass Rauchen befreie, wäre sicher übertrieben. Und trotzdem: Der Sprachlehrer aus dem Kahna­wa:ke Mohawk Territory, Akwiratékha Martin, konnte durch das vertrauensvolle Aussprechen seiner bösen Verwünschung die Zigarette von ihrer verklemmten Homoerotik und ihren Verklärungen ein Stück weit befreien. Vielleicht ja ein Schritt vorwärts zum vernünftigen, entmystifizierten Rauchen, ohne falsche Reue, Schuldgefühle, Scham und ohne Gewissensbisse?

Wie Steuer­erklärung und Oma anrufen
Von Nina Scholz
Eigentlich bin ich Raucherin. Als die Pubertät das erste Mal an meine Tür klopfte, begann ich zu rauchen. Ich habe also sehr früh angefangen, und nicht nur das: Ich habe von Anfang an sehr starke Zigaretten geraucht und am liebsten immer sehr viele davon. Langsam zu beginnen, erschien mir falsch. Ich wollte mich für das Leben als Raucherin rüsten, auch für die röchelnde Stimme und den Husten im Alter. Hauptsache Rauchen, dachte ich.
Ich habe offenen Auges jede Werbung der Nikotinindustrie internalisiert und jede Geste übernommen, die Film und Fernsehen für Raucher erfunden haben. Eine Zeitlang habe ich sogar Werbematerialien der Marken Gauloises und Gitanes gesammelt wie andere das Merchandising ihres liebsten Popstars. Ich konnte James-Dean-mäßig rauchen und auch so, wie es die Frauen mit den Bubiköpfen in den französischen Filmen machen. Ich beherrschte die Kunst des hektischen Ausdrückens genauso wie das adoleszente, beiläufige Wegschnipsen der Zigarette.
Aber Sie merken schon, ich spreche in der Vergangenheitsform. Denn mein Körper hat meinem Kopf einen gehörigen Streich gespielt und all meine Pläne durchkreuzt. Er wollte einfach nicht mehr rauchen. Nein, nein, ich bin weder lungenkrank geworden noch musste ich mühselig aufhören. Ich habe auch nicht plötzlich mit dem Sport angefangen, habe keine Nichtraucherseminare besucht oder habe aus Vernunftgründen kapituliert, etwa wegen der Kondition.
Es kam ganz anders: Ständig habe ich vergessen zu rauchen. Anfangs habe ich es noch mit Post-Its probiert. Rechts über meinem Schreibtisch stand dann »Rauchen, Nina!«, gleich neben »Steuererklärung!« und »Oma anrufen!«. Zuerst habe ich nur dann nicht geraucht, wenn ich alleine war. Auch, damit die anderen es nicht merken. Und es war noch Verlass darauf, dass ich mir in Gesellschaft von anderen Rauchern logischerweise auch zahlreiche Zigaretten anzünden würde. Kaffee, Alkohol und Diskobesuche halfen ebenfalls. Aber leider immer nur temporär, denn danach war mir manchmal wochenlang nicht mehr nach Rauchen zumute.
Und dann war es auf einmal vorbei: Irgendwann hatte ich sechs Wochen lang nicht geraucht, und dann habe ich auch nie wieder damit angefangen. Das ist jetzt zwei Jahre her. Ein, zwei Mal habe ich es noch probiert, aber es ging nicht. Deswegen bin ich jetzt Nichtraucherin. Aber nur uneigentlich.