Schnäppchenjagd

Früher hatten alle meine Briefkästen etwas gemeinsam, sie waren mit dem Hinweis »Keine Werbung« versehen. In sämtlichen Häusern, in denen ich bisher gewohnt habe, befand ich mich mit dieser Abneigung in guter Gesellschaft. Der Sticker schien zum festen Inventar des Treppenhauses zu gehören, auch die Nachbarn verweigerten sich demonstrativ der Werbeindustrie. In dem Haus, in dem ich seit ein paar Jahren lebe, ist das anders. Abgesehen von durchgestrichenen und neu hinzugekommenen Namen finden sich keine Hinweise auf den Briefkästen. Prospekte werden hier nicht achtlos auf den Boden geworfen oder wandern ungelesen in den Papiercontainer, dabei sind meine derzeitigen Nachbarn sicher nicht weniger konsumkritisch als frühere, sie haben einfach nur weniger Geld. Besser gesagt, die meisten von uns haben genauso viel Geld wie früher, nur unser Leben ist teurer geworden. Innerhalb von wenigen Jahren ist die Miete um 30 Prozent gestiegen, bei den Strom- und Heizkosten sieht es ähnlich aus. Viele von uns blättern mittlerweile sogar schon im Treppenhaus ganz ungeniert in den ästhetisch fragwürdigen, grellbunten Werbeblättchen und tauschen sich über die neuesten Rabattaktionen der Discounter aus. Wir sind geworden, was wir nie werden wollten: Schnäppchenjäger. Das ist ein Begriff, der unschöne Assoziationen hervorruft, deswegen sprechen Marketing-Experten inzwischen auch lieber von der preisbewussten Kundschaft. Ein blöder Euphemismus, aber immerhin sind die Zeiten vorbei, in denen neben den Rechnungen auch noch zynische Botschaften wie »Geiz ist geil« im Briefkasten lauerten.