Film ab für die Wahrheit

»Gebt die Kamera zurück und rückt mit der Wahrheit raus!« lautet der Titel einer Kampagne, die in den vergangenen Wochen in Tunesien Aufsehen erregt hat. Es geht um die auch nach dem Ende der Diktatur weiterhin stark eingschränkte Pressefreiheit und die Weigerung, die Verantwortlichen für die Todesschüsse auf Demonstrierende während der Revolution klar zu benennen. Die Kamera, auf die die Kampagne sich bezieht, benutzte der Blogger, Fotograf und Journalist Ramzi Bettibi. Er arbeitet für das bekannte Weblog Nawaat, das unter dem Regime Ben Alis ein wichtiges Medium der Opposition war. Bettibi selbst war unter dem alten Regime aus politischen Gründen inhaftiert und gefoltert worden. Heute setzt Bettibi seine Aktivitäten als kritischer Journalist fort. Am 21. Mai wollte er über den Prozess wegen tödlicher Schüsse auf Demonstrierende in Thala, Kasserine, Tajerouine und Kairouan im Winter 2010/11 berichten. Noch ist in diesen Fällen vieles ungeklärt; etwa die Frage, ob auch auf Dächern po­sitionierte Scharfschützen Demonstrierende gezielt getötet haben.
Der Prozess findet vor einem Militärgericht in El Kef statt. Die Militärführung schätzt es nicht, wenn man sich allzu sehr in ihre Angelegenheiten einmischt. Am Gerichtseingang wurden Bettibi daher seine Mikrokamera und sein Fotoapparat abgenommen – und nicht zurückgegeben. Der Armeekommandant Mohammed Tekkari gab ihm zudem zu verstehen, dass das Militär seinen Blog als sehr »störend« empfinde. Als Reaktion auf die Konfiszierung seiner Kameras und die Unterdrückung der Pressefreiheit trat Bettibi am 28. Mai in Hungerstreik. Ihm schlossen sich innerhalb weniger Tage weitere Blogger an. Am vergangenen Samstag veröffentlichten die Tunesische Liga für Menschenrechte, die Nationale Koordination für eine transparente Übergangsjustiz und andere Vereinigungen eine Petition zu Bettibis Unterstützung. Einige Tage nach Beginn des Hungerstreiks hatte dieser seine Kameras zurückbekommen, am Montag dieser Woche beendeten die Blogger schließlich ihren Hungerstreik, nachdem mehrere Abgeordnete der Verfassunggebenden Versammlung aus verschiedenen Parteien versprochen hatten, den Forderungen nach Aufklärung der Morde an Demonstrierenden und Wahrung der Pressefreiheit nachzukommen. Bettibi hatte am 30. Mai einen offenen Brief an das Übergangsparlament gerichtet. Eine Kamera allein reicht für eine kritische Berichterstattung nämlich nicht.