Rache für Versailles

Der Franzose ist bekanntlich sinnlichen Genüssen ergeben und ein oberflächlicher Denker, deshalb kann er den tieferen Sinn der deutschen Politik nicht verstehen, will aber von unseren Ersparnissen seiner Geliebten Seidenstrümpfe kaufen. Doch damit ist der welsche Taugenichts noch nicht zufrieden. Während er an seinen Froschschenkeln nagt, denkt er unermüdlich darüber nach, wie er seinem fleißigen Nachbarn schaden kann. »So gesehen erfüllt sich mit der Vergemeinschaftung der europäischen Schulden nun ein Projekt, das aus französischer Sicht schon immer eher gegen Deutschland gerichtet war als auf die Einigung des Kontinents. Nicolas Sarkozy glaubte, dem alten Ziel am besten zu dienen, indem er den Schulterschluss mit der deutschen Kanzlerin suchte. Hollande kehrt zu dem bewährten Prinzip zurück, die Deutschen zu schwächen, indem er ihre wirtschaftliche Stärke unterminiert«, schreibt Jan Fleischhauer bei Spiegel Online.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis endlich auch über den Erbfeind mal wieder jemand sagt, was gesagt werden muss. Wenn sich der dem Keynesianismus zuneigende französische Präsident François Hollande, der wirtschaftsliberale britische Premierminister David Cameron, US-Präsident Barack Obama, die chinesische KP und jede andere bedeutende Regierung der Welt sowie außerhalb Deutschlands 99 Prozent der Experten sämtlicher Lehrmeinungen darüber einig sind, dass die deutsche Krisenpolitik desaströs ist, kann das schließlich nur eines bedeuten: Die Ausländer haben sich mal wieder gegen uns verschworen! »Müssen wir uns das bieten lassen?« fragt Günther Lachmann in der Welt. Natürlich nicht: »Frau Merkel, lassen Sie sich nicht beirren und bleiben sie eine kühle Physikerin der Macht!« Man fühlt sich an das Urteil Tacitus’ über die Germanen erinnert: »Starrsinn in falscher Sache nennen sie Treue.« Und man fragt sich, ob das Bedürfnis, endlich Rache für Versailles zu nehmen, nicht doch Einfluss auf die Euro-Politik hat. Allerdings hat die kühle Physikerin aus der Geschichte nichts gelernt. Es ist bekanntlich unklug, sich die gesamte Welt zugleich zum Feind zu machen, diesmal aber stehen nicht einmal die Japaner an unserer Seite. Noch vor wenigen Monaten bekannte man sich dazu, schweren Herzens die Bürde der Führung in der EU auf sich zu nehmen, gestattete sich aber auch ein wenig Freude darüber, dass in Europa endlich wieder Deutsch gesprochen wird. Nun, da Paris befreit wurde, sind Klagen über die Perfidie des Franzosen und Durchhalteparolen zu vernehmen. Niemand spricht von Kapitulation, denn »sollten sich die Sozialdemokraten vor den Karren der Reformverweigerer in den Krisenländern spannen lassen, grenzte dies an Vaterlandsverrat«, stellte Dorothea Siems in der Welt fest. Doch die publizistische Ardennenoffensive deutet auf Zweifel am Endsieg im Wirtschaftskrieg hin.