War beim offiziellen Umweltgipfel der UN in Rio de Janeiro

Grün ist die Hoffnung

Der UN-Umweltgipfel »Rio+20« hat ebenso wenig gebracht wie andere Gipfel zuvor. Statt sozialer Gerechtigkeit steht weiterhin die Sorge um das kapitalistische Wachstum im Mittelpunkt.

20 Jahre nach dem »Earth Summit« in Rio de Janeiro 1992 lud die Uno vergangene Woche zum »Rio+20«-Gipfel unter dem Motto »The future we want«. 30 000 Delegierte, Diplomaten, Journalisten, Vertreter von NGOs und Firmen kamen wieder nach Rio de Janeiro, doch die Welt hatte sich inzwischen geändert. Vor 20 Jahren fand der Gipfel vor dem Hintergrund des historischen Triumphs des kapitalistischen Westens statt. Das »Ende der Geschichte« wurde verkündet, die »internationale Gemeinschaft« war dabei, sich in der »neuen Weltordnung« einzurichten. Schnell galt es noch, die Umweltprobleme zu lösen und Demokratie und Kapitalismus in den Ländern zu etablieren, die dies noch nicht selbst geschafft hatten. Die USA unter Präsident George Bush senior wollten zwar schon damals nichts von einem gemeinsamen globalen Handeln wissen, Bushs Herausforderer Bill Clinton wusste den Gipfel in Rio in seinem Wahlkampf aber zu nutzen und forderte ein stärkeres Engagement der USA beim globalen Umweltschutz. »Rio 1992« wurde zum Thema der US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen, Bush senior entschied sich in letzter Minute zur Teilnahme.

Derzeit steckt der Kapitalismus, ob in demokratisch oder in autokratisch regierten Ländern, in einer fundamentalen Krise, und die Selbstgewissheit der Apologeten von Freihandel und Globalisierung ist geschwunden. Die Finanz- und Wirtschaftskrise bestimmt seit 2008 global die ökonomische Entwicklung und bereitet mittlerweile auch den sogenannten Schwellenländern wie China und Gastgeber Brasilien erhebliche Probleme. US-Präsident Barack Obama konnte es sich wegen der schlechten Wirtschaftsdaten der USA nicht erlauben, während des Wahlkampfs nach Rio zu fahren. Sein Herausforderer Mitt Romney hätte dies gewiss gegen ihn verwendet: Ein Präsident, der sich auf internationalen Konferenzen herumtreibt, anstatt die Probleme im eigenen Land zu lösen.
Ähnlich argumentierten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und der britische Premierminister David Cameron. Sie trafen sich zwar Anfang der Woche mit Obama in Mexiko zum Gipfel der G20, doch für Rio+20 hatten sie keine Zeit. Cameron entschuldigte seine Abwesenheit damit, dass bei der gegenwärtigen Wirtschaftslage eine lange Abwesenheit des Premierministers nicht möglich sei.
Die mageren Ergebnisse des Gipfels mögen den Abwesenden Recht geben. Dass es am Ende überhaupt ein gemeinsames Abschlussdokument gab, verdankt sich einer Intervention der Gastgeber. Die Diplomaten der Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff waren um einen Erfolg bemüht und rissen nach den zweijährigen, von den UN organisierten Sondierungen in den letzten Verhandlungstagen in Rio die Verhandlungsführung an sich. Unbedingt sollte verhindert werden, dass sich in der brasilianischen Metropole wiederholte, was 2009 in Kopenhagen bei den UN-Verhandlungen zum Klimaschutz geschehen war: Die Verhandlungen waren angesichts der divergierenden Interessen abgebrochen worden. Damals schusterten die dänischen Gastgeber eine nichtssagende Resolution zusammen. Ähnliches drohte auch diesmal, doch die brasilianische Regierung hatte vorgesorgt. Am Wochenende vor der Konferenz stellte sie ein neues Abschlussdokument vor. Alle strittigen Punkte aus dem UN-Entwurf waren entfernt oder abgemildert worden. Am Dienstag vergangener Woche wurde der Text beschlossen, noch bevor die Staatsoberhäupter überhaupt angereist waren. Ein diplomatischer Erfolg für Brasilien, doch am Ende stellte sich für viele der angereisten 30 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gipfels die Frage, ob die »internationale Gemeinschaft« jenseits von vagen Absichtserklärungen überhaupt zu gemeinsamem Handeln fähig ist. »The future we want« umfasst insgesamt 283 Einzelpunkte, meist Resolutionen und Feststellungen, legt aber kaum verbindliche Ziele fest.

Die Mitgliedstaaten einigten sich darauf, dass »grüne Ökonomie« eine gute Sache ist. Wachstum könne auch durch Umweltschutz erzielt werden, so die einfache Idee. Helle Thorning-Schmidt, die dänische Ministerpräsidentin, stellte fest, dass die Politik durch Subventionen und andere Steuerungsmaßnahmen in die Wirtschaft eingreifen müsse, um solche Effekte zu erzielen. In das Abschlussdokument schaffte es diese Einsicht nicht. Im Gegenteil, in Abschnitt 58 der Erklärung wird zum Beispiel die EU implizit dafür kritisiert, dass sie internationale Fluggesellschaften dazu verpflichtet, CO2-Emissionszertifikate zu kaufen, wenn sie in Europa operieren.
Umweltminister Peter Altmaier, der zusammen mit Entwicklungsminister Dirk Niebel die deutsche Regierung in Rio vertrat, beweihräucherte die angebliche Vorreiterrolle der deutschen Regierung in Sachen grüner Energiepolitik. »Energiewende«, sagte Altmaier bei einer Veranstaltung am Rande des Gipfels, sei ein deutsches Wort, für das es keine Übersetzung gebe. Wie »Kindergarten« und »Rucksack« werde es in den internationalen Wortschatz eingehen. Viele der Veranstaltungen waren davon geprägt, dass Regierungen und Firmen sich selbst für ihre fortschrittliche Umweltpolitik lobten.
Beschlossen wurde in dem Abschlussdokument der UN, Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, sogenannte Sustainable Development Goals (SDG), auszuarbeiten. Diese sollen ab 2015 Handlungsorientierung für das »nachhaltige Wirtschaften« der Zukunft geben. Die Initiative für SDG kam von der kolumbianischen Regierung. Sie orientieren sich an den Millenium Development Goals (MDG) aus dem Jahr 2000, die zum Ziel hatten, die Armut weltweit zu beenden. Die MDG, die die Armutsbekämpfung durch Wachstum befördern wollen, sind bisher allerdings weder erreicht worden, noch werden sie als sonderlich effizient eingeschätzt. Die Initiative war deshalb umstritten. Paula Caballero, Staatssekretärin für nachhaltige Entwicklung im kolumbianischen Außenministerium, sprach dennoch von einem Erfolg in Hinblick auf die SDG. Sie müssten als verbindliches Ziel für alle Länder festgelegt werden, nicht nur wie die MDG für die Entwicklungsländer, sagte Caballero.
Schutzmaßnahmen für die Weltmeere, Artenvielfalt, saubere Landwirtschaft und Armutsbekämpfung werden in dem Abschlussdokument zwar erwähnt, doch wurden die Formulierungen bewusst vage gehalten, um eine Zustimmung aller Länder zu erreichen. Zur Verhinderung konkreter Maßnahmen zum Schutz der Meere hatten sich zum Beispiel die sonst selten gemeinsam agierenden Regierungen der USA und Venezuelas verbündet. Ein Mitglied der Verhandlungsdelegation der brasilianischen Regierung stellte fest, dass die angebliche Feindschaft zwischen der venezolanischen Regierung unter Hugo Chávez und den USA in den UN-Verhandlungen einer gemeinsamen Blockadepolitik gewichen sei.

Umweltorganisationen und NGOs kritisierten die Beschlüsse des Gipfels harsch. Der WWF kommentierte die Abschlusserklärung mit dem Hinweis darauf, dass Politiker nicht gewählt und bezahlt würden, um in Rio Urlaub zu machen. Kumi Naidoo, Leiter von Greenpeace, ging noch weiter. Er kündigte an, angesichts des Scheiterns der Regierungen werde seine Organisation nun verstärkt auf zivilen Ungehorsam setzen. Konkret erklärte Naidoo den internationalen Finanzfirmen sowie dem Erdölkonzern Shell, der führend bei der Erkundung arktischer Ölquellen ist, den – gewaltfreien – Krieg. Greenpeace kritisierte auch die fehlende Bereitschaft der Staaten, Finanzmittel für einen ökologischen Umbau der Weltwirtschaft bereitzustellen. Derzeit würden eine Billion Dollar im Jahr für Subventionen fossiler Brennstoffe ausgegeben, kritisierte Daniel Mittler, Sprecher von Greenpeace. Gleichzeitig behaupteten die Regierungen, sie hätten kein Geld für den ökologischen Umbau.
Präsidentin Rousseff feierte »Rio+20« hingegen als Erfolg. Stolz waren die Gastgeber auch auf die Organisation der Veranstaltung. Auf den Generatoren, die die Konferenz mit Strom versorgten, klebten riesige Banner, die mit »20 Prozent Bio-Brennstoffe« warben. Weniger begeistert vom Tatendrang der brasilianischen Regierung dürften die rund 4 000 Bewohnerinnen und Bewohner der »Vila Autódromo« sein, die direkt neben dem Konferenzzentrum liegt. Die Stadtverwaltung von Rio de Janeiro überbrachte allen den Räumungsbescheid. Die Favela liegt direkt neben dem für die Spiele von 2016 geplanten Olympischen Dorf. Das Gelände soll an Immobilienentwickler verkauft werden, um einen Teil der Kosten der Spiele zu refinanzieren. Bereits seit 40 Jahren ist das Viertel immer wieder von Räumung bedroht. 1992 ordnete die Stadtverwaltung die Räumung an, da die Favela »ästhetischen und ökologischen Schaden« anrichte. So viel ändert sich in 20 Jahren dann doch nicht.