Ideen mit Bart

Wenn sich die Werberszene trifft, wie letzte Woche zu den Lead ­Awards in Hamburg, hat man Gelegenheit zur Milieupsychologie. Wie geben sich die frechen Typen mit der frischen Denke; wie zeigen sich die Teufelskerle, denen es gelingt, Fertigsoßen in Emotionen, Coregatabs in Lebensgefühl zu verwandeln? Die Branche erlebt offenbar haarige Zeiten, denn so viel Pelz war selten, jedenfalls bei Herren. Tief waren die Ausschnitte, aus denen das Brusthaar nur so herauswucherte, ja, wuselte; blickdicht versiegelt die Vollbärte, struppig die Brauen. Ungezügelt kräuselte sich die Wolle unter jeder zweiten witzigen Brille. Während die Gespräche von szenetypischer Spritzigkeit waren (»Manchmal hab’ ich so ’ne Berlin-Overdose, dann fahr’ ich nach München«), wirkten die hauptamtlichen Produzenten neuer Ideen nicht wie Trendsetter, sondern wie ein Rudel Obdachloser, die gerade eine Szeneboutique geplündert haben. Sicher, in der effeminierten Agenturenwelt ist krauses Fell ein hormonsattes Statement: Man ist kein Hascherl, kein bleiches Agenturspätzchen, das nur von Deodorant und Lebenslügen zusammengehalten wird. Nein, man ist ein Hascherl mit Haar, mümmelt Kaugummi auch mal offenen Munds und trägt die bemooste Brust so stolz, als habe man persönlich den Coca-Cola-Schriftzug erfunden. Gleichzeitig wirkt der Wildwuchs beruhigend, väterlich, souverän: Flausch und Kratzbürste, all in one – aber beim Businessbrunch bitte den Milchschaum aus den Bartstoppeln pusten, sonst ist das eklig! Bei den Lead Awards traute sich dann der Kreativ-Eumel mit dem tiefsten Ausschnitt und der silbernsten Brust sogar, dem moderierenden Thomas Gottschalk das Mikro aus der Hand zu nehmen. Sage niemand, dass es der Branche an Mut fehle!

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins »Titanic«.