Die Macht der großen Medienunternehmen

Televisas anonyme Helden

Eine der Hauptforderungen der neuen, die sozialen Medien nutzenden Studentenbewegung ist die Demokratisierung der traditionellen Medien in Mexiko.

»Enrique Peña Nieto wurde als Präsidentschaftskandidat nicht von seiner Partei, sondern von Televisa geschaffen«, empört sich Alfonso Celestino, der Wahlkampfkoordinator des linken Präsidentschaftskandidaten Andrés Manuel López Obrador, in verschiedenen mexikanischen Bundesstaaten. An der Seite Peña Nietos steht als zukünftige First Lady der TV-Star Angélica Rivera, besser bekannt als »Die Möwe« nach der gleichnamigen Telenovela mit ihr in der Hauptrolle. Ein mediengerechtes Traumpaar.
»Wir müssen nicht mehr auf den Wahlbetrug warten wie vor sechs Jahren. Er hat längst stattgefunden. Seit drei Jahren wird die Hauptsendezeit darauf verwendet, mittels dubioser Umfrageergebnisse der medieneigenen Meinungsinstitute die Beliebtheit Peña Nietos herauszustellen.« Trotz wachsender Popularität von López Obrador und der großen Resonanz, die die Bewegung »Yo soy 132« im ganzen Land hat, sinkt der Beliebtheitswert des Kandidaten der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) nicht. »Die Umfragen scheinen erstarrt.«
Die britische Tageszeitung The Guardian legte vorige Woche die Verbindungen zwischen Lateinamerikas gewinnträchtigstem Medienunternehmen Televisa und Peña Nieto offen. Dieser soll dem Unternehmen umgerechnet 27,8 Millionen Euro für seine umfangreiche Medienpräsenz gezahlt haben. Über 200 Interviews, Features und Nachrichtenmeldungen wurden vereinbart, des Weiteren die mediale Diskreditierung des linken Gegenkandidaten López Obrador.
»Televisa: Willkommen im Informationszeitalter«, heißt es dieser Tage zynisch auf selbstgemalten Demoplakaten von »Yo soy 132« in Mexiko-Stadt. Tatsächlich scheinen die Grenzen zwischen Information und medialer Inszenierung fließend bei dem Unternehmen, das nahezu 60 Prozent des nationalen Fernsehprogramms in Mexiko stellt. Nicht zuletzt seit der von Präsident Felipe Calderón ausgerufene »Drogenkrieg« angesichts der eskalierenden Gewalt im Land alltäglich nach einer Legitimation verlangt.
»Televisa fabriziert Nachrichten für die mexikanischen Fernsehzuschauer«, konstatiert Carlos Fazio, Autor der linken Tageszeitung La Jornada und Ökonomieprofessor an der Autonomen Universität von Mexiko-Stadt (UACM). Nicht genug, dass das Unternehmen im Rahmen der Öffentlichkeitskampagne »Bundespolizei – Anonyme Helden« mit umgerechnet über zehn Millionen Dollar Regierungsgeldern die Telenovela »Das Team« produzierte. In enger Zusammenarbeit mit Sicherheitsminister Genaro García Luna wurden in den Nachrichten spektakuläre Einsätze der Bundespolizei (PFP) und der Geheimpolizei (AFI) gegen das organisierte Verbrechen ausgestrahlt.

Diese Nachrichten wurden jedoch vom investigativen Wochenmagazin Proceso immer wieder als mediale Manipulationen entlarvt: die Verhaftung einer Angehörigen der indigenen Otomí im Jahre 2006 als »gesuchte Entführerin«, die Festnahme eines angeblichen Flugzeugentführers, der auf einem Flug im September 2009 tatsächlich niemals Passagiere oder Flugbegleiter bedroht hatte, die Befreiung einer angeblich von einem Drogenkartell entführten Journalisten von Televisa und Grupo Milenio durch die Bundespolizei im Juli 2010.
»Für die Mehrheit der mexikanischen Bevölkerung stellen diese Nachrichten aber eine unangetastete Realität dar«, beklagt Carlos Fazio. »Denn Televisa ist ein multimediales Unternehmen, das nicht nur über Fernsehkanäle und Radiosender, sondern auch über Zeitschriften und Buchverlage verfügt.« Gerade auf dem Land, wo die nationalen Fernsehsender oft die einzige Informationsquelle darstellen, ist das Nachrichtenmonopol von Televisa und TV Azteca ungebrochen. Das sogenannte Televisa-Gesetz aus dem Jahr 2006 festigte die Duopolstellung, indem die staatliche Ver­gabe von Radio- und Fernsehsendefrequenzen in Firmenhände abgegeben wurde. »Eine fast absolute mediale Kontrolle«, urteilt Fazio.
Im gegenwärtigen Drogenkrieg dankte es Televisa der Regierung Felipe Calderón mit einer mehr als wohlwollenden Berichterstattung. Angesichts der offensichtlich verfehlten Kriegsstrategie initiierte Televisa im vergangenenen Jahr das »Abkommen zur Berichterstattung über die Gewalt«, mit dem sich rund 60 Verlagshäuser und Sendeanstalten in Mexiko freiwillig zur Regierungstreue in der Berichterstattung verpflichteten. »Der Großteil der mexikanischen Presse skizziert ein Panorama, das dem kriegerischen Einsatz von Polizei und Militär gegen die Kartelle vor der Bevölkerung die Absolution erteilt«, meint Carlos Fazio.
Ein ähnliches, ebenfalls von Televisa vorangetriebenes Abkommen war schon zur Zweihundertjahrfeier der mexikanischen Unabhängigkeit 2010 geschlossen worden. Angesichts der Ausweitung der Macht der Kartelle in verschiedenen Regionen des Landes, der allgegenwärtigen Verwicklung der staatlichen Institutionen in den Drogenhandel und einer Gesellschaft, die von Tod, Gewalt und Vertreibung geprägt ist, ergab sich im vergangenen Jahr ein noch stärkerer Bedarf, Kritik zu unterbinden.

Die wenigen Medien, die sich nicht freiwillig der Regierungszensur unterstellten, sind mittlerweile regelmäßig Repression und Verleumdungskampagnen ausgesetzt. Wie die Tageszeitung El Diario in Ciudad Juárez, die Anfang des Jahres einen Kniefall vor der Regierung hinsichtlich ihrer Berichterstattung über Polizeioperationen begehen musste. Die Printmedien Reforma, Proceso und La Jornada sowie die bekannte Politmoderatorin Carmen Aristegui und das Fernsehunternehmen MVS scheinen durch ihre Hauptstadtstellung weitestgehend vor Attacken geschützt. Anders sieht es für kritische Journalisten in lokalen Medien aus. Nirgendwo in der Welt werden so viele Journalisten ermordet wie in Mexiko (Jungle World 21/12). Die Nichtregierungsorganisation Articulo 19 geht davon aus, dass die meisten ermordeten Journalisten Verbindungen zwischen Narcos und lokalen Behörden auf der Spur waren.
Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der Organisation, die sich für die in der Verfassung verankerte Pressefreiheit einsetzt, neun Journalisten umgebracht, zwei weitere »verschwanden« unter gewaltsamen Unständen, acht Anschläge auf Presseeinrichtungen wurden verübt und 172 Übergriffe wegen der Ausübung journalistischer Tätigkeiten gemeldet. Im April fanden allein vier Journalisten in Veracruz einen gewaltsamen Tod. Gefährdet seien in Mexiko Articulo 19 zufolge nicht Kriegsberichterstatter, wie in anderen Ländern mit vergleichbaren Todesraten, sondern ­Lokalreporter, deren Lebens- und Arbeitsumfeld sich in einen Kriegsschauplatz verwandelt habe.
»Attacken auf Journalisten haben in Mexiko eine bedrohliche Qualität erreicht und werden einfach nicht geahndet«, bestätigt Daniel Zapico von Amnesty International Mexiko. Straflosigkeit sei generell eines der größten Probleme in Mexiko, da sie »die beste Voraussetzung für eine Etablierung von menschenrechtsverletzenden Praktiken« darstelle. »Trotz Anzeigen, Beweisen und Empfehlungen, beispielsweise seitens der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, bleibt eine Strafverfolgung von Tätern aus.« Doch Daniel Zapico zeigt sich optimistisch angesichts des neuen Gesetzes zum Schutze von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern. Ein Entwurf wurde in den vergangenen Monaten von lokalen und nationalen Menschenrechtsorganisationen verfasst und nun vom mexikanischen Kongress verabschiedet.