Lobt die Verfilmung von Don DeLillos »Cosmopolis«

Stretchlimo zum Schafott

David Cronenberg hat Don DeLillos Roman »Cosmopolis« über die 24stündige Odyssee eines Börsenspekulanten durch Manhattan kongenial verfilmt.

Finanzökonomische Prozesse sind schwer darstellbar, abbilden lassen sie sich schon gar nicht. Deutlich wurde das etwa mit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008, als die Fernsehsender die immer gleichen Aufnahmen von Hochfinanzgebäuden, Datendisplays und schockgefrorenen oder auch schluchzenden Anzugstypen zeigten. Diese Ersatzbilder wirkten irgendwie zu lasch für das, was da passiert war, und machten letztlich nur sichtbar, was sich nicht darstellen ließ. In seiner Verfilmung des erstaunlich prophetischen Romans »Cosmopolis« von Don DeLillo aus dem Jahr 2003 begegnet David Cronenberg der Immaterialität zirkulierender Objekte und Zeichen mit einer ganz eigenen Bildsprache der Abstraktion – einer Abstraktion, die nicht nur die Sprache, sondern auch die Erzählung sowie die Figuren und ihre Beziehungen untereinander betrifft.
Bereits der animierte Vorspann setzt mit einem Klassiker des abstrakten Expressionismus ein, einem Drip Painting von Jackson Pollock, das zusammen mit dem Schlussbild, einer meditativen Farbfeldmalerei von Mark Rothko, den Film rahmt. Über Pollocks Drippings, denen Struktur und Rhythmus ebenso eigen ist wie das Prinzip des Zufalls, wurde häufig gesagt, sie seien wie von unsichtbarer Hand gemalt – ein Begriff, der auch im Finanzsektor immer noch gerne verwendet wird, um eine Instanz zu benennen, der man die Ordnung und Regulation des Marktgeschehens überantwortet. Die aus Farbspritzern hervorgehenden und sich selbständig fortsetzenden Muster und Linien des Drippings formieren sich zu einem Bild viraler Ansteckung, ein beliebtes Motiv in den Filmen Cronenbergs, etwa die wurmartigen Parasiten in »Shivers«, die ihre Wirtskörper in Libidomonster transformieren.
Zu Beginn von »Cosmopolis« hat alles noch seine Ordnung. Die weißen Stretch-Limousinen an der East Side stehen in einer Reihe zur Abfahrt bereit, und auch der Milliardär und Fondsmanager Eric Packer (Robert Pattinson) in dunklem Anzug und mit schwarzer Sonnenbrille ist tadellos »in shape«. Packer hat an diesem Morgen ein klares Ziel: Er will zum Friseur. Aus sentimentalen Gründen allerdings in einen Laden am anderen Ende Manhattans; eine Kindheitserinnerung dringt hier unvermittelt in sein ansonsten hocheffizientes Programm ein. Sein Sicherheitschef rät ab, der US-Präsident ist an diesem Tag in der Stadt und die Straßen sind verstopft, doch Packer lässt sich nicht von seinem Plan abbringen. Dass die Limousine durch die 47. Straße schleichen muss, stört ihn nicht, er hat sich in dieser seltsam schwebenden Kapsel eingerichtet. Mit Spy-Cams und Datenmonitoren ausgerüstet, ist die Limousine nicht nur Hochsicherheitstrakt und mobiler Arbeitsplatz, sondern auch ein nahezu romantischer Rückzugsort, durch getönte Scheiben und Schallisolierung komplett von der Außenwelt abgeschirmt. (Im Roman verwendet DeLillo dafür den schönen Ausdruck »prousted«, anspielend auf die Marotte des Schriftstellers, sich in die Einsamkeit eines mit Kork ausgeschlagenen Zimmers zu flüchten.) Nur ab und zu unterbricht Packer seine Fahrt, um kurz auzusteigen und ein Café aufzusuchen, ein Restaurant und eine Buchhandlung, in der er dann zufällig seiner Ehefrau begegnet. Als er einmal in ein neben der Limousine haltendes Taxi hinüberwechselt, kommt dies einem Eintritt in ein anderes Bildfenster gleich.
Der überwiegende Teil von »Cosmopolis« spielt im Innern der Limousine, und Cronenberg gelingt es dabei auf wirklich grandiose Weise, den Raum einerseits zu abstrahieren – durch den gedämpften Sound, die Rückprojektionen der vorbeiziehenden Stadt, die gesteigerte Künstlichkeit der Raumordnung und der Perspektiven –, ihn aber gleichzeitig sehr physisch und direkt ins Bild zu setzen, als einen Raum, in dem Körper, Technologie und Sprache aufs Engste miteinander verbunden sind.
Die Fahrt führt Packer mitten hinein in eine Demonstration von Globalisierungsgegnern, in den Beerdigungszug für einen Sufi-Rapper, in die Arme eines »Actionpainters mit Cremetorte« und vorbei an neu programmierten Aktien-Tickern, die abgewandelte Karl-Marx-Zitate präsentieren. Zwischendurch empfängt Packer seine Geliebte zum Sex, diskutiert mit seiner leitenden Theoretikerin, dem Technologiechef, einem Währungsanalysten, trinkt und isst und pinkelt. Und während er mit seiner Finanzberaterin die Bewegungen des japanischen Yen erörtert, lässt er sich von einem Arzt bei einer Prostatauntersuchung im Anus herumfuhrwerken. Eine merkwürdig verschobene Sexszene, in der sich der Körper als das einzig verbliebene Medium offenbart, das die unsichtbaren Prozesse des Cyberkapitalismus abbilden kann.
Permanent wird gesprochen, meist trennt Cronenberg die unterschiedlichen Dialoge durch Jump Cuts. Anders als im Fall der auf Erkenntnisgewinn zielenden »talking cure«, die Cronenberg zuletzt in seinem Film »A Dangerous Method« inszeniert hat, legt die Sprache hier nichts offen. Zwar geht es auch in »Cosmopolis« um das Unbewusste (der Kapitalströme), doch die Sprache generiert metastasierend ständig neue Verdrehungen und Abzweigungen, springt von Banalitäten und Buchstäblichkeiten zu Pseudobedeutungen und abstrakten Theorien. Was sich bei DeLillo mitunter etwas angestrengt liest, transformiert sich in Cronenbergs Inszenierung in einen melodiösen und rhythmischen Sprachkörper; die Figuren wirken wie infiziert von den schwindelerregenden Dialogen. Nicht zuletzt imitiert der Sprachirrsinn die katastrophischen Bewegungen des Marktes, der während Packers Irrfahrt kollabiert und sein gesamtes Kapital vernichtet.
»Cosmopolis« ist eine kompromisslose Mischung aus theoretischer Abhandlung und Körperkino, aus fiebrigen Dialogen und verwundbaren Körpern, Abstraktion und sichtbarer Welt. Dabei setzt Cronenberg DeLillos These von der Finanzökonomie als einem lebendigen Organismus auch wirklich physisch um, wenn Packer im Laufe des Films immer mehr zur Verkörperung des Marktes wird: Sein Körper ist vom Kollaps des Marktes gezeichnet wie von einer Krankheit. So gleicht sein Trip einem fortschreitenden Prozess der Entsicherung und des Zerfalls, es ist ein Absturz von den virtuellen Höhen des Cyberkapitals auf den schäbigen Boden der stofflichen Welt. Am Ende ist die Limousine kein der Realität enthobenes Vehikel mehr, sondern ein beschädigtes Blechding, verbeult, beschmiert und von der Straße absorbiert, während von Packer nicht viel mehr übrig ist als ein kaputter Typ mit halbem Haarschnitt, Blutspritzern und Tortenresten im Gesicht. »Meine Prostata ist asymmetrisch. Was bedeutet das?« rätselte er wiederholt über die ärztliche Diagnose. Die Zeichen des eigenen Körpers nicht entschlüsseln zu können, wird ihm zum Verhängnis. Denn seine organische Devianz enthüllt sich als ein geradezu exaktes Abbild der Irregularitäten und Anomalien des Kapitalmarktes. »Sie hätten auf ihre Prostata hören sollen.«

Cosmopolis (USA 2012). Regie: David Cronenberg, Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Paul Giamatti, Samantha Morton. Start: 6. Juli