Anklage gegen Neonazis in Koblenz

Hitler scheidet aus

Die Staatsanwaltschaft Koblenz erhebt Anklage gegen Neonazis wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Der Neonazi Axel Reitz soll ausgesagt haben.

Axel Reitz und Christian Worch galten lange als Dream-Team. Sie kooperierten als Redner, Anmelder und Leiter von neonazistischen Aufmärschen. Gilt Worch eher als der juristisch Versierte beim Kippen behördlicher Auflagen, wurde Reitz wegen seiner im Stil von Goebbels und Hitler gehaltenen Reden als »Hitler von Köln« bekannt. Doch mittlerweile scheint die Beziehung der beiden zerüttet zu sein. Im Zuge der Ermittlungen gegen das »Aktionsbüro Mittelrhein« (ABM) soll Reitz ausgesagt haben. Der bis vor kurzem von militanten Neonazis als Kultfigur verehrte 29jährige gilt nun als Verräter.
Am 13. März waren die Behörden mit einer Großrazzia gegen Neonazis in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen vorgegangen. Ermittelt wurde gegen das als kriminelle Vereinigung eingestufte ABM. Dessen Mitglieder hatten etwa Neonazi-Aufmärsche in Remagen zum Gedenken an die toten deutschen Soldaten in den Rheinwiesenlagern organisiert. Bei einer der zahlreichen illegalen Propagandaaktionen hatte das ABM auch im Mai 2010 in der Eifel Werbebanner mit der Aufschrift »8. Mai – 65 Jahre Judenrepublik« verbreitet.

Mitglieder des ABM sollen Gewalttaten und Angriffe auf Nazigegner oder Aussteiger verübt haben. Schwerpunkt soll indes die »Anti-Antifa-Arbeit« gewesen sein, wobei Daten von Nazigegnern ausgeforscht wurden. Diese wurden intern gesammelt, auch um Vergeltungsaktionen durchzuführen. Selbst über eine Zentrale, ein kleines Mietshaus mit Veranstaltungsraum in Bad Neuenahr-Ahrweiler, verfügte das ABM. Zu Silvester 2011 lud man »Kameraden« mit einem Flyer ein, auf dem nach dem Auffliegen der mörderischen Zwickauer Terrorzelle zu lesen war: »2 Jahre Braunes Haus (…) Jetzt knallt’s richtig.« Die Buchstaben N, S und U waren in den Wörtern »Braunes Haus« farblich hervorgehoben.
Im Juli teilte die Staatsanwaltschaft Koblenz mit, sie habe gegen 26 Neonazis im Alter zwischen 19 und 54 Jahren Anklage erhoben. Der Schriftsatz liegt der Staatsschutzkammer beim Landgericht Koblenz vor. 20 Beschuldigten wird die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Vier Beschuldigte sollen jene kriminelle Vereinigung unterstützt haben. Zwei weiteren Personen wird die Beteiligung an Straftaten, die von Mitgliedern des ABM begangen wurden, angelastet.
Die Staatsanwaltschaft Koblenz teilte mit, es bestehe der Verdacht, dass sich das ABM spätestens 2009 radikalisierte und Mitglieder verantwortlich seien für Sprühaktionen, Sachbeschädigungen, Brandanschläge und Körperverletzungsdelikte gegenüber Antifaschisten. Es sei überdies davon auszugehen, dass es mit der Beteiligung von ABM-Mitgliedern anlässlich neonazistischer Aufmärsche im Februar 2010 und 2011 in Dresden zu Gewalttaten kam. 2011 hatten Neonazis wegen der Blockaden von Antifaschisten einen Spontanaufmarsch vom Außenbezirk Freital in Richtung Dresdner Innenstadt durchgeführt und das linke Wohn- und Kulturprojekt »Praxis« attackiert. Zudem waren im Umland Reisebusse von Gegendemonstranten mit Steinen beworfen worden.
ABM-Kader sollen auch am 8. November 2011 in Düsseldorf bei einem »Marsch der Unsterblichen« mitgewirkt haben. Bei solchen Aktionen ziehen mit weißen Masken vermummte Neo­nazis unangemeldet mit Fackeln durch verschiedene Innenstädte der Republik. Zudem werfen die Behörden einigen Angeklagten den Besitz von Pyrotechnik, einer geringen Menge Schwarzpulver und Munition sowie Waffen vor. Einer der Neonazis soll am 1. Mai 2008 in Hamburg bei Angriffen auf Journalisten eine Kamera entwendet haben. Seit März sitzen den Behörden zufolge 17 Beschuldigte ununterbrochen in Untersuchungshaft, ein weiterer verbüßt derzeit eine Haftstrafe und am 8. Mai wurde ein neuer Verdächtiger in Untersuchungshaft genommen. Gegen sieben Angeklagte wurden Haftbefehle gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Es hätten sich, so die Staatsanwaltschaft Koblenz, von den 26 angeklagten Personen neun zur Sache eingelassen, fünf davon umfassend. Der Rest hat demnach die Aussage verweigert. Während Neonazis letzteres loben, wird den Aussagewilligen Verrat vorgeworfen.

Einer der Verräter soll Axel Reitz sein, er ist hierzulande einer der bekanntesten und in der Szene umstrittensten Neonazis. Der seit seiner frühen Jugend in der rechten Szene aktive Reitz entwickelte sich vom Uniformfetischisten zum Anzugträger und Dandy. Bundesweit fungierte er als Hetzredner auf Plätzen und in Hinterzimmern von Kneipen. Reitz saß schon wegen Volksverhetzungsdelikten in Haft. In Nordrhein-Westfalen meldete Reitz, der in Pulheim bei Köln wohnt, unzählige Aufmärsche an und bescherte Polizeihundertschaften viele Überstunden. Sagt so jemand gegen seine »Kameraden« aus?
Ende Juni verbreiteten die »Freien Kräfte im Rheinland« eine Erklärung. In Sachen ABM habe Reitz »umfangreiche belastende Aussagen gemacht«, hieß es. Reitz sei daher »aus der Bewegung ausgeschieden«. Im Web wurde darüber ausufernd diskutiert. Während Neonazis den »Kameraden« im Rheinland vorwarfen, Reitz als Führungsfigur bedingungslos gefolgt zu sein, konterten diese, der Einfluss von Reitz sei lange nicht so groß gewesen, wie es die Medien dargestellt hätten. Ein Kader der »Kameradschaft ­Aachener Land« (KAL), mit der Reitz eng kooperiert hatte, log gar, der Pulheimer habe nur eine »Statistenrolle« gespielt.

Die NPD fragte via Facebook: War Reitz ein »systemtreuer agent provocateur, Dummkopf oder Charakterschwächling«? Andere Neonazis behaupteten anonym im Web, Reitz habe über die »aus seiner Sicht existierende Organisationsstruktur« der KAL und der des ABM ausgepackt. Worch, dem offenbar die Anklageschrift vorlag, kritisierte solche Internetbeiträge als teilweise falsch. »Belastend« für »Kameraden« seien einige der Aussagen von Reitz dennoch, wenn auch nicht »schwer belastend«. Aber mit jemandem, der Aussagen dieser Art gemacht habe, so Worch, wolle er nichts mehr zu tun haben. Worch hat wegen der Ermittlungen gegen das ABM für den 18. August eine Demonstration in Koblenz angemeldet, mit der er die Freilassung der »politischen Gefangenen« fordern will.
Reitz selbst scheint abgetaucht zu sein und schweigt. Angeblich soll er den Ermittlern in Koblenz gesagt haben, dass er sich aus der rechten Szene zurückziehen will. Dem nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD) war dies wohl am 10. Mai nicht bekannt. Jäger hatte anlässlich der an jenem Tag erfolgten Entlassung von Reitz aus der Untersuchungshaft dessen »Kameradschaft Walter Spangenberg« verboten. Jäger sagte: »Wir mussten handeln, damit Axel Reitz nach seiner Haftentlassung seine extremistischen Umtriebe nicht wieder in den gewohnten Strukturen aufgreifen kann.«