Über deutschen HipHop

Amok auf der Schinkenstraße

Wenn HipHop nicht gerade totgeschrieben wird, ist er entweder jugendgefährdend oder so lieb wie ein dünner Junge mit Pandamaske. Dabei gehen Rapper mit Kool Savas auf Tour und machen Stücke, die an Schlager erinnern.

Es gibt in der hiesigen Mainstream-Berichterstattung über HipHop nur eine goldene Regel: Liegt gerade keine Pressemitteilung über neue Veröffentlichungen großer Labels im Postfach, gilt das Genre definitiv als tot. Wird dann das Debüt irgendeines Rappers vermeldet, der nicht dem alten Klischee eines Berliner Drogendealers oder Groupie-Vergewaltigers entspricht, ist er automatisch der Retter des HipHop. So geschah es bei Neuentdeckungen wie Caspar, Marteria und Cro.
Die Kombination von Skinny-Jeans, dürren jungen Männern und Rap auf Synthesizer-Beats trübt anscheinend das Urteilsvermögen der genrefernen Schreiber. Das wäre an sich nicht schlimm, denn Feuilleton funktioniert meistens so. Dass aber mit den bejubelten Ausnahmen versucht wird, das Klischee zu bestätigen, im HipHop gäbe es nur Gangsterrap, schmerzt jeden Fan des Genres. Nur kurz zur Erinnerung: Seit mehr als 20 Jahren wird auf Deutsch gesprechsangt, die Aggro-Berlin-Ära dauerte, schaut man auf die Charts, nicht länger als fünf Jahre. Der frauenverachtende und homophobe Teil der Community besetzt eine Nische. Außer einem Offenbacher namens Haftbefehl gibt es 2012 nur wenige, die noch mit dieser Art Musik Aufsehen erregen. In Wahrheit handelt es sich um das heterogenste Genre seit Soul und Funk.
»Der Nerd hat den Freak abgelöst«, sagt Alan Julian Asare während des »Spektrum«-Festivals Ende Juli im Hamburger Freihafen. Als Ahzumjot war er im Frühjahr mit Cro und Rockstah auf Tour. Er wirkt schüchtern, wie er da in seinem Hipster-Outfit im Backstage-Bereich steht. Ein wenig erinnert er an Will Smith in »Der Prinz von Bel Air« – statt Pluderhosen trägt er allerdings enganliegende Jeans. Wie der Stuttgarter mit der Pandamaske gehört der 22jährige Hamburger zur neueren Strömung des Genres. »Sowas wie Jams in Kulturzentren gab es bei uns ja nicht mehr«, sagt Asare. Stattdessen habe er sich im Chat mit einem Düsseldorfer gebattlet, den er – natürlich – im Internet kennen gelernt hatte. Für ihn ist HipHop heute eher ein Spiel. »Einfach machen«, »mal schauen, was geht«, »Freunde treffen«, »wie in einer großen Familie«, diese Formulierungen fallen im Gespräch mit ihm häufig. Es gehe ihm nicht ums Bling Bling, sondern um Spaß. »Meine Familie hatte nicht viel Geld, und daher weiß ich, wie beschissen Geld sein kann«, begründet er seine Haltung. Er könne schließlich auch wieder als Schuhverkäufer arbeiten, irgendwo lässt sich schon was auftreiben – das sei der eigentliche Hustle und nicht das Drogenverticken.
»Man merkt es den jüngeren Rappern schon an, dass ihnen die Live-Erfahrung und das Rappen auf Jams fehlt«, sagt Plan B, Mitglied der HipHop-Supergroup Die Orsons. Aber das wird schon, glaubt er. Mit seinen Kollegen Kaas, Tua und Maeckes hat er auf der Bühne gerade eindrucksvoll bewiesen, wie ein Auftritt auszusehen hat: Dank Slapstick-Einlagen samt gut getimeten dadaistischen Dialogen machen sie daraus eine Performance, die eine Mischung aus Studio Braun und Ballermann ist. »Als wir mit Herbert Grönemeyer getourt sind, haben wir unser Programm natürlich angepasst – nicht so auf­geflippt«, sagt Plan B über die Zeit, als die Band als dessen Vorgruppe aufgetreten ist. Auch mit Kool Savas sind sie immer mal wieder auf Tour gewesen. Die Jungs mit dem Aussehen von Studenten nehmen es nicht so streng, was ihr Image angeht.
Gegen die vermeintlichen Regeln des HipHop, an denen sich Feuilletonisten gerne abarbeiten, haben sie mit aller Konsequenz verstoßen. Kein Beef, keine Schlägerei, kein Major-Deal, sondern Liebe, Sehnsucht, Träume und Indie-Label. Dass ihre Songs teilweise die Schmerzgrenze zum Schlager überschreiten, ist ihnen bewusst und egal. »Ja klar, das hat manchmal schon so eine gewisse Schinkenstraßen-Atmosphäre«, sagt Plan B. »Wir machen das, weil wir es eben können«, fügt sein Bandkollege Maeckes hinzu. »Aber wir wollen jetzt keinen kitschigen Pop machen, um damit mehr Platten zu verkaufen.« Er wolle eigentlich immer etwas künstlerisch Hochwertiges machen.
»Doch, ich will das aber so machen«, ruft Kaas dazwischen. In Lederkutte und mit einer Feder im bunten Stirnband auf der Glatze macht es sich der Quasi-Entdecker von Cro auf dem Sofa im vollen Backstage-Raum gemütlich. »Ja, genau, so was wie Frank Ocean wäre genial, kitschige Beats mit düsteren, tiefen Texten«, sagt der Rapper, der es 2009 mit einem Song über die Gefühlswelt eines Amokläufers in die öffentlich-rechtlichen Talkshows schaffte. Natürlich ­zielte die Kritik an »Amokzahltag: D«, angefeuert durch die Ereignisse in Winnenden, auf die Gewaltverherrlichung im Rap und den schlechten Einfluss dieser Musik auf die Jugend. Dass Kaas eigentlich das allgegenwärtige Mobbing an Kleinstadtschulen anprangern wollte, fiel dabei unter den Tisch. HipHop und Mainstream passen einfach nicht zusammen, nicht weil HipHop sonst nicht mehr »real« wäre, sondern weil er dort einfach mit Vorurteilen überladen oder zumindest missverstanden wird.
»HipHop ist ein verwirrter, auf Mallorca lebender New Yorker«, rappt Retrogott, der »Helge Schneider des Rap«, in dem Stück »Die Schlangen sind gefährlich«. Retrogott alias Kurt Hussler aus Köln ist sozusagen das Gegenstück zu den Orsons. Auch wenn sein krasser Auftritt zuweilen an den des Sängers der Anarcho-Raver von HGich.T erinnert, liefert er meistens aberwitzige Battle-Reime auf guten alten Boom-Bap-Beats. Die Differenzen zwischen den Medien und der Musikszene sind sein Thema, aber auch die Anbiederung von Rappern wie Bushido und Sido an die Boulevardpresse. »HipHop und Bild ziehen an einem Strang«, rappt Kurt im Song »Bauer sucht Frau«. Die Lyrics erinnern manchmal an den Wahnwitz der Schlagzeilen, die sich mit dem »Schlagzeilomat« bei »Bildblog« generieren lassen. »Rauchen in der Schwangerschaft macht die Raps ihres Kindes doper«, heißt es im Stück »Gäste-WC«.
Retrogott veröffentlicht bei dem Label Entourage – obwohl »Label« hier nicht das passende Wort ist, denn Entourage ist eher eine Clique. Auf die Frage, ob er davon leben kann, reagiert er irritiert: »Ich versteh’ die Frage ›kannst du davon leben‹ irgendwie anders. Ich lebe von Musik, seit ich Musik kenne.« Kurt ist Student, DJ Hulk Hodn, mit dem er die Kölner Rap-Formation Huss & Hodn bildet, arbeitet unter der Woche in seinem Brotjob. Und dennoch sind Huss&Hodn der Hauptact auf dem Festival im Hamburger Süden. Wie Morlockk Dilemma, Yassin, Audio 88 und DJ-Projekte wie Brüllwürfel sind sie die neuen Stars im Untergrund – und daher zum Glück außerhalb des Radars des Feuilletons. Denn was würden die Kritiker wohl schreiben, wenn sie Texte hören würden mit Zeilen wie diesen von Huss & Hodn: »Ich bin sogar schon mal so Messerstecherei gewesen/ Scheinbar is kein guter Messerstecher dabei gewesen/ Denn du Idiot bist ja immer noch am Leben«. Irgendwas mit menschenverachtend wahrscheinlich.
Und was die vermeintlichen Rap-Retter Casper und Cro betrifft: Ein Emo mit heiserer Stimme und ein süßer Panda können dem Genre weder helfen noch schaden. Denn HipHop ist und bleibt Musik von Fans für Fans.