Die staatliche Offensive gegen die Rocker

Highway to Jail

Immer mehr Rockerclubs haben im vergangenen Jahr ihre Auflösung bekannt ­gegeben. Damit versuchen die Hells Angels und Bandidos ihre Geschäfte zu retten.

Schon seit Jahren hatten die Ermittler der Bremer Polizei den Hells Angels nachgespürt. Doch diese Information bekamen sie Anfang Juni frei Haus: In einem Fax an den Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) und Polizeipräsident Lutz Müller schrieben die selbsternannten Outlaws in offiziösem Deutsch: »Hiermit teilen wir mit, dass der Charter Hells Angels MC West Side Bremen sich mit sofortiger Wirkung aufgelöst hat.« Der Lokalpresse erläuterte der Sprecher der Rocker, Rudolf Triller, genannt Django: »Wir reagieren damit auf die Politik, die uns verfolgen ließ. Jetzt haben die Kleinbürger die Ruhe, die sie haben wollten. Hoffentlich wachen sie nicht unsanft daraus auf.«
Genau drei Wochen später gab der Hells-Angels-Charter Hannover, die bundesweit einflussreichste und größte Gliederung der Rocker, die gleiche Erklärung ab wie die Kuttenträger in Bremen. Für die Rockerszene sei das etwa so, wie wenn »Bayern München kurzfristig seine erste Mannschaft vom Spielbetrieb der Bundesliga abmeldet«, schrieb der Spiegel.
Die Reihen der Rocker lichten sich. Neben Bremen und Hannover gaben in den vergangenen Monaten die Charters Singen, Düsseldorf, Potsdam und Hamburg-Southport ihre Auflösung bekannt. So entgingen sie möglicherweise dem Schicksal der Vereine in Frankfurt, Flensburg, Kiel, Pforzheim, Köln und zuletzt Berlin: Sie alle wurden von den jeweiligen Innenbehörden verboten.
Die 700 Höllenengel in Deutschland waren noch vor einem Jahr in 42 Vereinen organisiert. Heute sind davon etwa 30 übrig geblieben – die meisten eher klein und in Süddeutschland gelegen. Den Behörden gelten die Motorradclubs als Tarnung für organisierte Kriminalität: Mord und Totschlag, Rauschgift- und Waffenhandel, Zuhälterei und Türsteherkriminalität wirft die Polizei den Rockern vor. 64 Prozent der deutschen Mitglieder der Hells Angels sind laut Europol vorbestraft. Sie seien »Schwerverbrecher, die auch vor brutalster Gewalt nicht zurückschrecken, um ihre kriminellen Interessen durchzusetzen«, sagte Hamburgs Innensenator Heino Vahldieck bei einer Tagung des Bundeskriminalamtes.
Die Rocker standen nicht immer derart im Visier der Behörden. Obschon ihre Hauptaktivität schon längst nicht mehr Motorradfahren war, konnten die Hells Angels – mit Ausnahme eines Verbots in Hamburg – lange relativ unbehelligt existieren. Problematisch wurde es für sie erst, als die Konkurrenz kam. 1999 kam der MC Bandidos, der in den sechziger Jahren von texanischen Vietnam-Veteranen gegründet worden war, nach Deutschland. 2001 zog der ebenfalls aus den USA stammende Outlaws MC nach. Beide machten sich in derselben Nische wie die Hells Angels breit. Eine Zeitlang ging das gut, doch dann brach ein »Rocker-Krieg« aus. Bis 2006 gab es immer wieder schwere Auseinandersetzungen zwischen Hells Angels, Bandidos und Outlaws – zunächst ohne Tote.

Am 22. März 2006 überfielen 14 Mitglieder der Hells Angels in Stuhr, in der Nähe von Bremen, fünf Anhänger der Bandidos. Sie schlugen mit Axtstielen stundenlang auf sie ein, sie zielten auf die Beine, um ihre Opfer für die bevor stehende Motorradsaison fahruntüchtig zu machen. Am 23. Mai 2007 ermordeten Heino B. – eines der Opfer des Überfalls in Stuhr – und Thomas K., beide Mitglieder der Bandidos, den 47jährigen Motorradmechaniker Robert König, ein Mitglied der Hells Angels, in Ibbenbüren bei Osnabrück.
Im Juni 2009 erstach ein Mitglied der Hells Angels im rheinland-pfälzischen Stetten Dirk O., den Präsidenten des »Outlaws«-Chapters Donnersberg. Zwei Monate später wurde in Berlin-Hohenschönhausen der 33jährige Michael Bartels auf offener Straße erschossen – er war von den Hells Angels zu den Bandidos übergelaufen. Am 8. Oktober erschoss Timur Akbulut von den Hells Angels in Duisburg den Zuhälter Rudi Heinz E. von den Bandidos. Kurz darauf griffen 40 Mitglieder der Bandidos ein Bordell der Hells Angels in Duisburg an. Diese rächten sich noch in derselben Nacht und griffen das Hauptquartier der Duisburger Bandidos unter anderem mit Molotow-Cocktails an. Kurz darauf warfen Mitglieder der Bandidos eine Handgranate in das Solinger Clubhaus der Hells Amgels.
Im März 2010 schließlich erschoss das Mitglied der Hells Angels Karl-Heinz B. im Westerwald den 42jährigen SEK-Polizisten Manuel K. – durch seine eigene geschlossene Wohnungstür. B. wurde später wegen Notwehr freigesprochen. Er konnte glaubhaft machen, dass er den Polizisten für ein Mitglied der Bandidos gehalten hatte, das gekommen war, um ihn zu töten.
Der Tod des Polizisten K. war der Wendepunkt. Seit diesem Tag, dafür spricht vieles, sind die Behörden entschlossen, die Rockerclubs in Deutschland aufzulösen. Am 24. Mai 2010 durchsuchen rund 1 200 Polizeibeamte, darunter die Spezial­einheit GSG9, Räume der Hells Angels in Norddeutschland – darunter das Privathaus des Hannoveraner Rotlicht- und Hells-Angels-Bosses Frank Hanebuth.
Der ahnte offenbar, dass die immer blutigere Auseinandersetzung zwischen den beiden Gruppen die Geschäfte aller Beteiligten zu zerstören drohte. So entschloss er sich zu einem beispiellosen Schritt. Nur zwei Tage später traf er sich mit Peter Maczollek dem Anführer der Bandidos, in der Hannoveraner Anwaltskanzlei, in der früher der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder tätig war. Dessen Partner, Götz von Fromberg, ist ein Freund Hanebuths. Im Blitzlichtgewitter besiegelten Hanebuth und Maczollek einen »Friedensvertrag«: »Der Konflikt zwischen beiden Clubs ist offiziell beendet«, verkündete von Fromberg. Die Rocker übten so etwas wie zaghafte Selbstkritik: »Wir haben zu wenig miteinander gesprochen.« Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) nannte das Abkommen ein »reines Medienspektakel«.
Zwei Tage später beschlossen die Innenminister auf ihrer Frühjahrskonferenz (IMK) in Hamburg ein härteres Vorgehen gegen die Rockerclubs. Für ein Verbot reichte die Beweislage noch nicht. Bis zur nächsten IMK im Herbst entwickelte eine Arbeitsgruppe deshalb eine für alle Länderpolizeien verbindliche »Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität«. Das als Verschlusssache eingestufte Papier sieht »offene und verdeckte Aufklärungsmaßnahmen« in Vereinsheimen, Videoüberwachung, Zufahrtskontrollen, erkennungsdienstliche Maßnahmen, Finanzermittlungen und Razzien vor. Die Polizei sollte außerdem versuchen, die Medien zu beeinflussen weil sie »teilweise ein unkritisches oder gar heroisierendes Bild« von Rockern vermittelten. Jetzt wurde bekannt, dass die Strategie offenbar von vornherein darauf angelegt war, nicht nur Straftaten zu verhindern oder aufzuklären, sondern ein Verbot der Rockerclubs herbeizuführen. Das aber würde die Befugnisse der Polizei übersteigen, wie der Rechtsanwalt Michael Karthal sagt, der den verbotenen Frankfurter Hells-Angels-Charter vertritt. Seitdem jedenfalls, das steht fest, wurde es ungemütlich für die Rocker. Es gab immer mehr Razzien, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen.

Den Auftakt machten im August vergangenen Jahres 140 Polizisten in Niedersachsen. Sie durchsuchten Bordelle, Wohnungen, Geschäftsräume und »Lovemobile« der Hells-Angels-Größe Wolfgang Heer, des Schatzmeisters des Rockerclubs (Jungle World 34/11). Der hat mit Einkünften aus der Zuhälterei eine ganze Reihe an Unternehmen, darunter eine sogenannte Sicherheitsfirma, aufgebaut, die er sich mit Hanebuth teilt. Beide gelten als führende Figuren der Zuhälterwirtschaft in Niedersachsen. Am 18. Mai erhob die Staatsanwaltschaft Verden wegen »ausbeuterischer und dirigistischer Zuhälterei« von 57 Prostituierten Anklage gegen Heer. »Die Frauen mussten mindestens 50 Prozent ihrer Einnahmen abführen und darüber hinaus etliche Strafgelder zahlen«, sagt Staatsanwalt Lutz Gaebel. Der Anklageschrift zufolge hielten Heer und seine Geschäftspartner die Frauen wie Sklavinnen. »Sie wurden überwacht und bevormundet.«
Seitdem ging es Schlag auf Schlag. In Kiel beschuldigte Mitte Mai ein Hells-Angels-Aussteiger Hanebuth, die Anweisung zur Ermordung des konkurrierenden türkischen Zuhälters Tekin B. persönlich gegeben zu haben. Die Leiche sei in einer Lagerhalle nahe Kiel eingemauert. 1 200 Beamte durchsuchen daraufhin Stützpunkte der Hells Angels in Norddeutschland. In einer spektakulären Aktion seilte sich sogar die GSG9 aus einem Hubschrauber über Hanebuths Haus ab, erschoss dessen Hund und durchsuchte das Anwesen. Hanebuth wies die Vorwürfe vor Gericht zurück, die Polizei konnte den Leichnam trotz wochenlanger Suche nicht finden.
Kurz darauf beging ein Mitglied der Bandidos in Bottrop in Nordrhein-Westfalen Selbstmord. Zunächst glaubten die Ermittler, er sei von einer feindlichen Gang erschossen worden. In Berlin ­liefen mehrere Untergruppen der Bandidos zu den Hells Angels über. Ende Mai durchsuchten mehr als 500 Polizisten in Berlin und Potsdam Vereinsheime der Hells Angels. Kurz darauf wurde bekannt, dass die Rocker vorgewarnt waren. Sie hatten einen Informanten bei der Polizei und konnten so ihr gesamtes Vereinsvermögen dem Zugriff der Behörden entziehen.
In den nächsten Wochen durchsuchten mehr als 1 100 Polizisten erneut Treffpunkte der Hells Angels und der Bandidos in Potsdam, Nordrhein Westfalen und Brandenburg. Auch die GSG9 wurde eingesetzt. Am 10. Juni schoss ein Unbekannter den Berliner Präsidenten der Hells Angels, André Sommer, nieder. Ermittler vermuten einen Zusammenhang mit den durch den gestiegenen Ermittlungsdruck ausgebrochenen Revierkämpfen in der Szene. In den vergangenen zwei Monaten gab es immer wieder Razzien. Polizisten fanden Drogen und Waffen. Bei Durchsuchungen von Räumen der Hells Angels in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt sind vergangene Woche unter anderem mehr als 40 Macheten und andere Waffen, Betäubungsmittel und Anabolika gefunden worden.
»Wir gehen. Dann entsteht ein Vakuum. Das wird neu gefüllt«, sagt Triller. Er könne sich vorstellen, dass die nunmehr frei flottierenden Rocker sich zu einem bundesweiten Verein zusammenschließen. Auch die Polizei misst den Auflösungen angesichts der Verdienstmöglichkeiten in dem Geschäft keine allzu große Bedeutung bei. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft sagte: »Der Verein kann schnell Geschichte sein, die kriminellen Neigungen einiger Mitglieder des Clubs sind es eher nicht.«