Abgehobene Kritik

Eines kann man nicht behauten, nämlich dass Berlin seine größten Peinlichkeiten nicht voll auskosten würde. Das Dauer-Scheitern des Prestigeprojekts Großflughafen bietet dafür ein anschauliches Beispiel. Dessen Eröffnung lässt bekanntlich – trotz zahlreicher vollmundiger Ankündigungen in der jüngeren Vergangenheit – weiterhin auf sich warten. Es werden noch sehr viele Monate ins Land ziehen, bis der Airport »Willy Brandt« endlich seinen Betrieb aufnehmen kann. Pleiten, Pech und Pannen, wohin man schaut. Und, klar, die dafür Verantwortlichen – vom brandenburgischen Ministerpräsidenten über Berlins Regierenden Bürgermeister bis hin zu Geschäftsführern und Bauleitern vor Ort – haben entweder keine Ahnung und keinen Bock oder sind hoffnungslos überfordert. Mit anderen Worten: Es herrscht Chaos.
Das wiederum ist ein gefundenes Fressen für die Öffentlichkeit – für die Medienmacher und für die als ewige Nörgler geltenden Berliner sowieso. Mit wahrem Furor und reichlich Häme betreiben Journalisten landauf, landab derzeit ein regelrechtes Berlin-Bashing. Schließlich wissen die Profis in den Redaktionen ja immer alles besser und stets weit im Voraus. Zum Beispiel, dass dieser Subventionsmoloch Hauptstadt, diese Vetternwirtschaft nichts Vernünftiges zustande bringen könne, schon gar keinen europatauglichen Flughafen. Alles Luschen und Größenwahnsinnige. Auf sie mit Gebrüll!
Kritische Journalisten mutieren zusehends zu regelrechten Dauerpöblern, also genau zu dem, was zu sein man den Berlinern gemeinhin unterstellt. Die Journalisten müssen sich fragen lassen: Geht’s vielleicht auch eine Mecker-Nummer kleiner? Klar, es ist ein gewaltiges Versagen, das dafür sorgt, dass Berlin und Brandenburg in Sachen Flughafen weiter in der Warteschleife hängen. Ein Imageschaden, sicherlich. Einige Geschäftsleute, die mit der rechtzeitigen Eröffnung des BER gerechnet haben, müssen um ihre Existenz bangen. Und die zusätzlich anfallenden Kosten zahlen am Ende auch die Steuerzahler.
Aber darüber hinaus? Selbst in Berlin und Umgebung geht nicht gleich die Welt unter, weil die Eröffnung eines neuen Flughafens verschoben werden muss. Im Grunde funktioniert doch alles recht gut. In den beiden Berliner Flughäfen Schönefeld und Tegel meistern die Mitarbeiter die Herausforderung immens gestiegener Passagierzahlen vorbildlich. Über Urlauber oder Dienstreisende, die unverrichteter Dinge die Abfertigungsschalter wieder verlassen mussten, ist nichts bekannt. Der Schaden, den der fehlende Großflughafen angerichtet hat, hält sich in Grenzen.
Es ist so naheliegend, so einfach, so billig, sich über anderer Leute Unvermögen lustig zu machen. Das verspricht zwar eine Menge Spaß. Aber sogar Schadenfreude wird irgendwann mal langweilig.