Die Lage der Medienarbeiter in Griechenland

Alle Pressen stehen still

Sie wollen arbeiten, können oder dürfen aber nicht. Ein Bericht zur Lage der Medienarbeiter in Griechenland.

Im Eingangsbereich sieht es aus, als hätten Studierende ihr Institut besetzt. Sitzgelegenheiten stehen kreuz und quer, überall sind Essensreste und leere Flaschen verteilt. Nur die Leute, die es sich dort bequem gemacht haben, sind schon älteren Semesters. Ein anderes Bild in der ersten Etage: Dort sitzt Makis Georgiadis einsam inmitten einer Armee von verstaubten Schreibtischen und Monitoren. Hier ist der News Room des Athener Fernsehsenders Alter, den die Beschäftigten Ende 2011 besetzt haben, weil sie monatelang kein Gehalt ausgezahlt bekommen hatten. Zwischenzeitlich haben sie hier selbst »Krisenfernsehen« produziert, in dem sie über die Krisenkämpfe im Land berichteten, erzählt Georgiadis. Für die Beschäftigten eines Senders, den der Nachrichtenproduzent selbst der »yellow press« zuordnet, ist das schon erstaunlich. Seit der Eigentümer ihnen jedoch im Februar die Sendemasten gekappt hat, steht im Sender alles still.
Was bei Alter passiert, ist sinnbildlich für die Situation der griechischen Medienarbeiter, an denen die Krise nicht vorbeigegangen ist. Mehr noch. »Gerade sie wurden von der Krise hart getroffen«, erzählt Dori Ralli von der Athener Journalistengewerkschaft ESIEA. Die für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Sekretärin verweist auf die wachsende Zahl arbeitsloser Gewerkschaftsmitglieder. Noch 2010 dürften es weniger als 300 gewesen sein. Derzeit sind fast 670 der rund 4 700 Mitglieder offiziell arbeitslos. »Faktisch sind es jedoch einige mehr«, sagt Ralli. »Einige sind formell noch beschäftigt, auch wenn keine Gehälter gezahlt werden und der Betrieb still steht.« Unter den griechischen Medienarbeitern insgesamt soll die Arbeitslosenquote mindestens 30, eher sogar 40 Prozent betragen, schätzt man in Gewerkschaftskreisen.
Die hohe Arbeitslosigkeit unter Medienschaffenden spiegelt die Situation der griechischen Medienbranche wider. Allein der Umsatz der börsennotierten Unternehmen ist im Verlauf der Krise um fast die Hälfte zurückgegangen (Jungle World 17/12). Insbesondere die Zeitungen finden immer weniger Absatz, so dass einige von ihnen den Betrieb einstellen mussten. So etwa die Tageszeitungen Apogevmatini oder Eleftheros. Schon vorher waren viele der dort arbeitenden Kollegen nicht mehr bezahlt worden. Noch immer warten sie auf ausstehende Löhne. Weitere Zeitungen stehen auf der Kippe. Bei mindesten vier Blättern – Avriani, Espresso, Kerdos und Athens News – gibt es derzeit Arbeitskämpfe wegen ausstehender Gehaltszahlungen.
Von Lohnausfällen betroffen sind eigentlich die Beschäftigten aller Branchen in Griechenland. Ein Faktor macht die Situation im Medien- und Publikationsbereich aber nochmals besonders: Hier arbeiten außergewöhnlich viele Menschen als Freelancer. Sie rennen ihren Honoraren somit oftmals alleine hinterher. Abhilfe möchte demgegenüber etwa eine Gewerkschaft für Textarbeiter – unter anderem für Übersetzer und Korrektoren – schaffen, die vor drei Jahren gegründet wurde. Ihre Vorsitzende, Olga Karyoti, berichtet davon, dass die Fälle unbezahlter Honorare sprunghaft angestiegen seien. Die Eintreibung der Gelder ist denn auch das hauptsächliche Betätigungsfeld der 250 Mitglieder zählenden Gewerkschaft. Karyoti zufolge ist sie dabei »recht erfolgreich«, darüber hinaus gehende, vor allem kollektive Aktivitäten seien aber aufgrund der individualisierten Beschäftigungssituation »enorm schwierig«.
Für die Beschäftigten aller krisengeschüttelten Unternehmen in Griechenland heikel ist zudem der Artikel 99. Das im Zuge der Krise verabschiedete Gesetz ermöglicht es bankrottgefährdeten Unternehmen, Ausnahmen für die Abtragung der Schuldenlast zu erwirken. Das kann beinhalten, dass das Unternehmen nur einen Bruchteil ausstehender Löhne an seine Beschäftigten zahlen muss, um die Gläubiger bedienen zu können. Auch der mit 580 Millionen Euro verschuldete Sender Alter hat die Inanspruchnahme des Artikels beantragt. In den kommenden Wochen sollen die Gerichte darüber entscheiden. Georgiadis ist wie die meisten seiner 750 Kollegen gegen einen positiven Bescheid. »Wir wollen zuerst die uns zustehenden Löhne bekommen. Was können wir für die Schulden bei den Banken?«
Die Eigentümer der linksliberalen Tageszeitung Eleftherotypia wollten sich Ende 2011 ebenfalls unter den Artikel 99 flüchten, nachdem sie ihren Beschäftigten bereits seit August 2011 keine Gehälter mehr ausgezahlt hatten. Diese wehrten sich dagegen, indem sie in den Streik traten, aber zudem mit Aussagen vor Gericht, dass sie gegen die Anwendung des Bankrottgesetzes seien. Im Zuge des Streiks und der Einstellung der Zeitung wurde zeitweise eine Streikzeitung in Selbstverwaltung herausgegeben. Es blieb allerdings bei wenigen Nummern, offenbar auch, weil sich die Belegschaft nicht einig über das weitere Vorgehen war. Nun ist der Laden dicht, und die Löhne wurden wegen Zahlungsunfähigkeit immer noch nicht ausgezahlt. Die Beschäftigten erklärten daher die Ausstattung der Zeitung für »konfisziert«, wie die betroffene Journalistin Afroditi Politi berichtet. Eine Auktion soll zumindest einen Teil des ausstehenden Geldes einbringen.
Ganz zerschlagen hat sich die Idee, die Zeitung in Selbstverwaltung fortzuführen, jedoch nicht. Politi zufolge haben sich etwa 100 Medienarbeiter zusammengefunden, die mit einem neuen Kollektiv noch einmal beginnen wollen. Derzeit baue man die nötige Infrastruktur auf und kümmere sich um die Finanzierung. Bis Mitte Oktober soll die neue Tageszeitung stehen. Das Projekt ist allerdings prekär angelegt. In den ersten zwei Monaten soll umsonst gearbeitet und danach der unterste Satz der branchenüblichen Tarife ausgezahlt werden. Man habe man keine andere Wahl, als es zu versuchen, sagte Politi. Schließlich seien sie arbeitslos und bei vielen laufe der zwölfmonatige Leistungsbezug aus. Die Journalistin spricht von einem »offenen Experiment in einer schwierigen Situation«.
Doch nicht nur die arbeitslosen Journalisten stehen unter Druck. Seit 2009 weigern sich die Medienunternehmen, neue Tarifverhandlungen zu führen. Stattdessen zwingen sie den verbliebenen Beschäftigten individuelle Verträge zu schlechten Konditionen auf, wie viele Kollegen beklagen. Und ihre Arbeit ist nicht gerade leichter geworden. Es gibt zahlreiche Berichte von lebensgefährlichen Übergriffen auf Pressevertreter. Davon zeugt etwa eine vergangene Woche eröffnete Ausstellung in der Athener »Gallery 7«, die Angriffe von Polizisten auf Fotografen, vor allem bei Krisenprotesten, dokumentiert. Aber auch Drohungen der Faschisten gegen linksliberale Medienvertreter stehen auf der Tagesordnung, wie Ralli bestätigt.
Kampflos nehmen die Gewerkschaften die Entwicklung im Medienbereich nicht hin. Es lodert auf verschiedenen Ebenen. Zum einen ereignen sich immer wieder Arbeitskämpfe in den einzelnen Unternehmen, zum anderen traten die Medienarbeiter bereits mehrfach zusammen in den Streik. So kam es gerade erst am Montag, wie schon im vergangenen Mai, zu einem 24stündigen Medienstreik. Ralli spricht in diesem Zusammenhang von einer »konstanten Mobilisierung«. Politi wiederum sieht das kritisch. Denn wie fast immer streikten die Medienarbeiter separat, statt sich dem Generalstreik am Mittwoch anzuschließen. Begründet wird dies taktisch: Es sei wichtig, dass die Medien über die Ereignisse rund um die Proteste berichteten. Verwiesen wird dabei öfters auf den Generalstreik im Mai 2010, als eine Bank angezündet wurde und drei Menschen starben. Politi kann dieser Argumentation wenig abgewinnen. Das Beispiel zeige, dass es dabei um Skandalisierung gehe und die Gründe der Proteste in den Hintergrund träten.
Überhaupt scheint viele linke Journalisten derzeit die Sorge um die Meinungsvielfalt umzutreiben. Der Einfluss der Regierungsparteien auf die meisten Medien ist ohnehin recht stark. Nicht nur steigert sich ihre Meinungshoheit mit dem Wegbrechen unabhängiger Medien, auch mit der angespannten Marktlage steigt der Druck auf viele Medienarbeiter, sich konform zu den Vorgesetzen zu verhalten. Auf diese Weise dominieren Rechtfertigungen der Austeritätspolitik die Medienberichte deutlich, obwohl die politische Stimmung im Land – das haben die Wahlen gezeigt – keineswegs so eindeutig ist.