»Wir betteln nicht«

Viele Athenerinnen und Athener erlebten eine Überraschung, als sie am Morgen des 31. Mai 1941 auf die Akropolis blickten. Dort wehte die griechische Fahne anstelle der Hakenkreuz-Flagge, die deutsche Soldaten nach der Besetzung aufgezogen hatten. Mit einem Freund war Manolis Glezos in der Nacht zuvor hinaufgeklettert und hatte die Fahnen ausgetauscht. Die Aktion war nicht nur in Griechenland eine Inspiration für den antifaschistischen Widerstand. Glezos wurde von den Besatzern mehrmals verhaftet und gefoltert, konnte jedoch entkommen. Er wurde während des Bürgerkriegs festgenommen, und die Putschisten warteten am 21. April 1967 nicht einmal den Tagesanbruch ab, um ihn verhaften zu lassen. Dreimal wurde Glezos zum Tode verurteilt, er überlebte neun Mordanschläge und verbrachte insgesamt 16 Jahre im Gefängnis. Er nahm in den vergangenen zwei Jahren an den Protesten gegen die Sparpolitik teil und wurde von der Polizei mit Tränengas attackiert.
Glezos, der sich auch mit Leidenschaft der Geologie widmete und am 9. September seinen 90. Geburtstag feierte, gehört nicht zu den Menschen, die schnell aufgeben. Der Vorsitzende des griechischen Ausschusses für die deutschen Reparationszahlungen setzt seinen jahrzehntelangen Kampf für Entschädigungsleistungen fort. »Wir betteln nicht«, sagt er. »Wir fordern.« Der Ausschuss beziffert die verbleibenden deutschen Schulden auf 162 Milliarden Euro (ohne Zinsen). Die Bundesregierung bestreitet, dass es Zahlungsverpflichtungen gibt, doch sind Griechenland bei den Verhandlungen in der Nachkriegszeit aufgrund seiner schwachen Position nur sehr geringe Summen zugesprochen worden, viele Rechtsfragen aber blieben offen. Welche Reparationsverpflichtungen bestehen, wie die Zwangsanleihen zu bewerten sind und ob Deutschland die aus 37 Städten gestohlenen Kunstschätze wieder herausrücken muss, ist juristisch ungeklärt. Griechenland ist jedoch wieder in einer schwachen Verhandlungsposition. Obwohl das Aeropag, das höchste Gericht Griechenlands, bestätigt hat, das deutsche Zahlungsverpflichtungen bestehen, hält die Regierung den Versuch, die Rechtsansprüche durchzusetzen, wohl für zu riskant. Glezos, der von 1981 bis 1985 Abgeordneter der Pasok war, sitzt seit Mai für Syriza im Parlament. Er kritisiert die Sparpolitik und die Befolgung der Anweisungen der Troika. Kürzlich erschien er sogar freiwillig vor Gericht. Er solidarisierte sich mit dem Streik der Richter und Staatsanwälte.