Über Schavans Jäger

Copy & Chase

Die Plagiatsvorwürfe gegen Annette Schavan bezeugen vor allem den Sieg des digitalen Denunziantentums.

Zeitgenossen, deren Lebensinhalt darin besteht, anderen Zeitgenossen, vorzugsweise Prominenten, Unredlichkeit und Pfusch nachzuweisen, sind ein unangenehmer Menschenschlag. Neidisch gegenüber allen, die sich durch Arbeit oder unverdientes Glück einen Namen gemacht haben, und im beleidigten Bewusstsein, stets ins Unrecht gesetzt zu werden, gängeln sie mit einer Mischung aus Pingeligkeit und Ignoranz jeden, dem sie sich nicht gewachsen fühlen. Alle so lange schlechtzumachen, bis niemand besser als der andere ist, das ist ihr Traum von Gerechtigkeit.
Seit die »sozialen Netzwerke« den gesellschaftlichen Verblödungszusammenhang praktisch werden ließen, ist der beliebteste Tummelplatz dieser Klientel, die sich früher mit einer Existenz als Leserbriefschreiber bescheiden musste, das Internet. Hier können auch Leute mit geringem intellektuellen Einzugsgebiet als Blogger, Twitterer und Poster das globale Dorf zutexten. Sie selbst bleiben vorzugsweise anonym und bringen ihre geistige Disposition durch Nicknames wie »Kotze«, »Egal« oder »Papi Langstrumpf« zum Ausdruck. Zumindest einer von ihnen nennt sich »Robert Schmidt«. Er hat auf der Internetseite schavanplag.wordpress.com eine fast 100 Seiten starke Fleißarbeit veröffentlicht, um Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) nachzuweisen, dass es in ihrer Dissertation »fehlerhafte Übernahmen« gebe, die den Verdacht der »Täuschung« nahelegten. Der Welt erklärte er im Duktus des Verfassungsrichters, er halte »die Verstöße in etlichen Fällen für nicht entschuldbar« und empfehle der Düsseldorfer Universität, »die Möglichkeit weiterer nicht genannter Plagiatsquellen« in Betracht zu ziehen.
In einem durch eine Indiskretion vorzeitig bekannt gewordenen Gutachten erkennt nun auch der Düsseldorfer Promotionsausschuss in Schavans Arbeit fragwürdige »Collagen« und eine »leitende Täuschungsabsicht«. Schavan selbst wurde bislang von Ausschuss nicht gehört. Das Gutachten ist in der Presse offenbar durch ein Ausschussmitglied zugespielt worden, was dem Fall nur ein noch stärkeres Odium von Denunzia­tion verleiht. Ob »Robert Schmidt«, der dabei mit zivilgesellschaftlichem Engagement voranging, über die Qualifikation verfügt, die Originalität von Schavans Arbeit einzuschätzen, ist weiterhin nicht bekannt. Es ist aber auch (siehe oben) egal. Denn den Plagiatsjägern geht es allein darum, sogenannten Entscheidungsträgern im Brustton des ehrlichen Steuerzahlers Betrug vorzuwerfen. Dabei spräche es eher gegen Schavans politische Tauglichkeit, wenn sie nicht plagiiert hätte. Politiker werden als Sprechautomaten des Allgemeinen bezahlt, wenn sie Energie aufs Denken verwenden, haben sie die Konsequenzen zu tragen. Auch im akademischen Betrieb bleibt, wer es mit der Wahrheit zu genau nimmt, bestenfalls auf ­einer Privatdozentur sitzen. Längst empfiehlt die intellektuelle Avantgarde die Abschaffung des Urheberrechts. Scannen, Kopieren und Paraphrasieren sind Kernkompetenzen für alle, die was mit Medien oder Bildung machen. Ob das Ergebnis dann Plagiat oder Œuvre genannt wird, entscheidet die Geschicklichkeit. Die Plagiatsjäger aber plagt nicht die Sorge um »wissenschaftliche Standards«, sondern die Obsession, allen außer sich selbst Unehrlichkeit und Schlamperei nachzuweisen. Schavan beobachten sie mit besonderem Misstrauen. Schließlich kann sie Latein.