Frances Fox Piven im Gespräch über den Konservatismus und den Einfluss der Tea Party auf Mitt Romney

»Gewinnt Romney, wird es ernst«

Die 80jährige Soziologin und Politologin Frances Fox Piven lehrt an der City University of New York. Zusammen mit ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann, dem Bürgerrechtler Richard A. Cloward, engagierte sie sich für soziale und politische Belange. 1983 war sie Mitgründerin von ­Human Serve, einer Organisation, die versuchte, Menschen dazu zu bringen, sich für die Wahlen registrieren zu lassen.

Nach der Wahl von Barack Obama vor vier Jahren sah es so aus, als ob der amerikanische Konservatismus in eine Krise gerate. Ist es so gekommen?
Ich denke nicht, dass der Konservatismus in der Krise war. Es gab vielmehr eine starke rechts­populistische Reaktion auf die Wahl von Obama. Ein Grund war natürlich, dass Obama schwarz ist. Der andere Grund war, dass Obama auf einer Welle der hohen Wahlbeteiligung von armen, jungen Menschen und Minderheiten ins Amt gespült wurde. Die Tea Party war die krampfhafte Reaktion darauf. Aber ich denke auch, dass die Tea Party mehr mediale Aufmerksamkeit bekommen hat, als sie verdient hat. Sie ist nur ein weiterer Ausdruck des weißen christlichen Konservatismus, den es schon immer in den USA gab. Seine Anhänger sind weiß, sie sind durchschnittlich älter, sie sind wohlhabender, haben keine finanziellen Probleme, und sie sind verängstigt vom kulturellen Wandel in den Vereinigten Staaten. Sie haben Angst vor der Tatsache, dass das Land dabei ist, ein Land zu werden, das »majority-minority« ist, ein Land also, in dem Minderheiten die Mehrheit stellen. Wenn Sie zu einer Demons­tration der Tea Party gehen, dann hören Sie den Slogan »Take it back«. Die denken, das Land gehöre ihnen und diese komischen anderen Leute sollten hier nicht herumkrabbeln und versuchen, sich etwas aufzubauen.
Stichwort »Taking back America«. Wie erfolgreich ist dieses Projekt der amerikanischen Rechten?
Romney wird von Menschen unterstützt, die, auch wenn sie nicht so ignorant sind wie die Anhänger der Tea Party, dieselben Ängste haben. Der vielleicht wichtigste Faktor bei den Wahlen ist aber das Geld. Nicht nur direkt für die Wahlen, sondern wichtig ist auch die Rolle der Big-Money-Groups wie »Americans for Prosperity« allgemein. Mit Hilfe dieser Organisationen ist der Einfluss der Tea Party deutlich größer, als er ohne sie wäre.
Welchen Einfluss hatte die Tea Party auf Mitt Romneys Kampagne?
Der Einfluss der Tea Party geht weit über Romney hinaus. Die Tea Party hat das US-Repräsentantenhaus übernommen. Sie hat das mit dem Geld rechter Unternehmer geschafft, das bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus 2010 geflossen ist. Generell ist die Wahlbeteiligung bei Midterm-Wahlen nicht so hoch, die Menschen interessiert das nicht so sehr. Aber gerade die Midterm-Wahlen haben der politischen Rechten im Zusammenspiel mit der Basis der Tea Party ermöglicht, das Repräsentantenhaus und einige Gouverneursposten zu übernehmen. Und bei den Vorwahlen der Republikaner haben sich alle Bewerber bei der Tea Party angebiedert.
Sie haben die Vorwahlen der Republikaner erwähnt. Der Tea Party nahestehende Kandidaten wie Michelle Bachmann oder Newt Ging­rich und andere Konservative haben sich nicht durchgesetzt. Am Ende wurde Mitt Romney Präsidentschaftskandidat. Wieso?
Ich denke, es war der Einfluss der Unternehmer-Lobbys, der dafür gesorgt hat. Newt Gringrich oder Michelle Bachmann als Kandidaten der Republikaner – das wäre unmöglich gewesen. Oder auch Rick Santorum – das sind Menschen aus dem Mittelalter. Mitt Romney ist ein besserer Kandidat für die amerikanische Geschäftswelt. Er ist ein Geschäftsmann, was er nicht vergisst, uns immer wieder mitzuteilen, ein gieriger Mann mit schmutzigen Geschäften. Und die Republikaner sind eine Partei der Wirtschaft, die will keinen Anführer einer politischen Bewegung wie der Tea Party als Kandidaten.
In der zweiten Fernsehdebatte hat Obama ­gesagt, dass Romney und Bush Jr. sich in Hinblick auf ihre Wirtschaftspolitik nicht sehr unterschieden. Was denken Sie darüber?
Ach wissen Sie, sie tun doch nur so. Beide. In den achtziger Jahren hat die christliche Rechte für Ronald Reagan mobilisiert und sie war sich sicher, dass er ihre Interessen vertreten würde in Hinblick auf Moral-Themen wie Abtreibung und Verhütung. Aber Reagan hat mit ihnen gespielt. Er verweigerte zwar Gelder für internationale Organisationen, die Abtreibungen unterstützt haben, aber sonst hat er sich nicht sehr um ihre Anliegen gekümmert. Und das gleiche gilt für Mitt Romney. Als Gouverneur von Massachusetts war er eher ein Sozialliberaler. Wie die meisten Politiker wird er genau das sein, was er sein muss.
Sie würden also sagen, dass die Versuche der Kampagne von Obama, Romney als Extremisten abzustempeln, nicht die Realität treffen?
Er ist ein Extremist, weil er eine extremistische Basis hätscheln muss. Aber in den meisten Fällen hat er ja gar nicht gesagt, was seine Positionen sind. Er äußert lediglich Floskeln wie »freier Markt« und »Die Wirtschaft weiß, was gut für das Land ist«. Aber sagt er wirklich, wie er die Staatsausgaben unter Kontrolle bekommen will, welche Steuerschlupflöcher er schließen will? Nein. Er erklärt seine Positionen nie detaillierter. Und das muss er auch nicht in diesem Propaganda­krieg. Mitt Romney war ein moderater Republikaner. Dann ist er weit nach rechts gerückt, um die republikanische Basis in den Vorwahlen zu überzeugen. Nun im Präsidentschaftswahlkampf bewegt er sich in die Mitte und versucht so zu tun, als hätte er die Sachen, die er vorher gesagt hat, nie gesagt.
Romney hat im Wahlkampf für Aufsehen gesorgt, als er sagte, dass 47 Prozent der Wähler abhängig von staatlichen Leistungen seien und es nicht seine Aufgabe sei, sich um diese Menschen zu kümmern. Welche Rolle spielt Sozialchauvinismus?
Bereits bei in den republikanischen Vorwahlen hat Newt Gingrich Obama den Präsidenten der Essensmarken genannt. Im Wahlkampf in den achtziger Jahren haben die Republikaner das Feindbild einer armen schwarzen Frau verwendet, die Sozialhilfe bezog. Und sie versuchen nun, daran anzuknüpfen. Aber die Frau von damals bezieht heute keine Sozialhilfe mehr, weil die Reformen der Sozialhilfe 1996 die Zahl der Bezieher um zwei Drittel reduziert hat. Deswegen lebt sie nicht mehr von Sozialhilfe, aber das heißt nicht, dass es ihr besser geht.
Wie werden diese angeblich 47 Prozent reagieren, wen werden sie wählen?
Fast jeder ist doch in irgendeiner Form abhängig vom Staat. Wenn Sie ein Taxi nehmen, fahren Sie auf Straßen, die der Staat gebaut hat. Das Pro­blem der politischen Kultur in Amerika ist, dass die Menschen das nicht zu wissen scheinen. Die Menschen auf der Straße werden Ihnen sagen: »Ich hab’ das alles alleine erreicht«, auch wenn sie auf öffentliche Schulen oder Colleges gegangen sind. Selbst Leute, die einen Job im öffentlichen Dienst haben, reagieren so. Wir sind ein sehr ideologisches Land. Auch die Armen. Arme, Schwarze, Latinos, Juden und auch ein paar christliche Weiße werden Obama wählen. Obamas Problem sind christliche weiße Arbeiter und natürlich die Reichen.
Sie haben auch eine persönliche, sehr spezielle Beziehung zur politischen Rechten. Der prominente Radiokommentator Glenn Beck hat sie mehrfach persönlich angegriffen.
Ja, er hat mich in 60 seiner Sendungen angegriffen. Ich denke, seine Mitarbeiter haben Verbindungen zu Leuten, die in den sechziger Jahren in der Linken waren und dann Neocons geworden sind. Und ich glaube, sie haben seinen Mitarbeitern gesteckt, dass ich an einem Artikel mitgeschrieben habe, der den Titel »The Crisis Strategy« trägt und der erklärt, warum Sozialhilfebezieher nicht die vollen Leistungen bekommen, und der fordert, dass Sozialarbeiter ihnen helfen sollten, die volle Sozialhilfe zu bekommen. Wenn ich jetzt über den Artikel nachdenke, erscheint er mir ziemlich harmlos. Er enthielt viele Daten, aber Glenn Beck hat ihn als Anleitung interpretiert, wie man den amerikanischen Kapitalismus stürzen könne. Aber ich weiß leider nicht, wie man das tun kann, muss ich zugeben.
Was passiert, wenn Mitt Romney gewinnt und die Republikaner auch den Senat übernehmen?
Dann wird es ernst. Der übergroße Einfluss, den amerikanische Konzerne und speziell die Finanzindustrie auf die Politik ausgeübt haben, wird wachsen. Das Staatsdefizit wird wachsen, weil Romney die Steuern für Besserverdienende reduzieren wird. Er will versuchen, die Sozialhilfe auf ein Gutscheinsystem umzustellen. Die USA sind nicht Deutschland, das ist das einzige Sozialprogramm, das wir haben. Dieses Programm öffentlicher Pensionen, das sich Sozialhilfe nennt, und das Gesundheitsprogramm für die Alten, Medicare, das ist unser ganzer Wohlfahrtstaat. Und den wird sich Romney vorknöpfen.