Die Außenpolitik im Wahlkampf

Nicht mehr am Meer

Der Herausforderer hat keine Ahnung, der Amtsinhaber hat keinen Plan. Doch die dürftigen Aussagen Mitt Romneys und Barack Obamas zur Außenpolitik stören die meisten US-Amerikaner offenbar nicht.

Mitt Romney macht ernst mit der neuen Weltordnung: Der Iran wird zum Binnenstaat erklärt. »Syrien ist der einzige Verbündete des Iran in der arabischen Welt. Es ist dessen Zugang zum Meer«, sagte der republikanische Präsidentschaftskandidat bei der Fernsehdebatte am Montag voriger Woche. Diese Ansicht hat er bereits während der Vorwahlen im Februar geäußert, der geographische Kreationismus war also kein auf Nervosität zurückzuführender Ausrutscher.
Wer sich mit dem Iran-Konflikt befasst, dem fällt unweigerlich ein Gewässer namens Persischer Golf auf, in dem immer mindestens ein US-Flugzeugträgerverband dümpelt und an dessen öst­lichem Ende sich eine Meerenge befindet, die zu sperren und damit einen beträchtlichen Teil der globalen Ölversorgung zu blockieren das iranische Regime immer mal wieder droht. Dass Romney es nicht für nötig hält, sich über den brisantesten internationalen Konflikt zu informieren, zeigt, welchen Stellenwert die Außenpolitik im US-Wahlkampf hat, und somit auch, wie wichtig die Außenpolitik der Mehrheit der Bevölkerung ist.
Barack Obama musste daher keine außenpolitische Strategie präsentieren und hatte es leicht, Romney mit ein paar süffisanten Bemerkungen zu blamieren. Debattiert wurde vornehmlich über Stilfragen und Details, denn größere Meinungsverschiedenheiten gab es nicht, auch wenn Romney den für einen republikanischen Herausforderer obligatorischen Vorwurf erhob, Obama vertrete die amerikanischen Interessen nicht energisch genug. »Es freut mich zu hören, dass Mitt so sehr mit Obama übereinstimmt«, giftete der rechtskonservative Radiokommentator Glenn Beck. »Im Ernst: Warum wählen?«
Romneys Problem ist es, dass er Obama in Fragen der »nationalen Sicherheit« keine Vorwürfe machen kann. Ussama bin Laden ist tot, und, was bedeutsamer ist, Obama hat den »War on Terror« in einer Weise institutionalisiert, die es des Amerikanern erlaubt, ihn zu ignorieren. Es gibt kaum noch verlustreiche Kampfeinsätze, so dass weitaus weniger US-Soldaten getötet werden als in der Amtszeit George W. Bushs. Die moralischen und politischen Probleme des Drohnenkriegs interessieren nur eine Minderheit, und von dem Sendungsbewusstsein, das den Amerikanern oft unterstellt wird, ist derzeit wenig zu spüren.
Andere Fragen als die der »nationalen Sicherheit« interessieren kaum. Meist wird die Ansicht, dass der Rest der Welt selbst sehen soll, wie er zurechtkommt, als isolationistisch bezeichnet. Ein besserer Begriff wäre westerwelleanisch, denn eine Außenpolitik soll es ja geben, doch soll sie einem eng gefassten Begriff des »nationalen Interesses« folgen und den Blick nicht von der Handelsbilanz abwenden. Deshalb spricht Romney am liebsten über China, den aufstrebenden Konkurrenten der USA.
Bush gilt den Rechten nun als idealistischer Abenteurer. Der Einfluss der rechtslibertären Tea-Party-Bewegung ist gewachsen, und deren wichtigster Think Tank, das Cato Institute, empfiehlt sogar eine Kürzung der Militärausgaben. So weit will Romney schon aus Rücksicht auf die Spender in den Rüstungskonzernen nicht gehen, doch propagiert er unternehmerisches Einzelkämpfertum. Jeder soll möglichst frei von staatlichem Einfluss für seinen eigenen Nutzen arbeiten, die Versager im rat race haben selbst schuld. Wer aber den Obdachlosen, den er auf dem Weg zur Arbeit am Straßenrand sieht, als Schmarotzer betrachtet, der sich gefälligst mehr anstrengen soll, wird kaum bereit sein, Geld für Menschen auszugeben, die Tausende Kilometer entfernt leben.
Dass die Amerikaner zuerst an sich selbst denken sollten, meinen aber auch viele Demokraten wie Antonio Villaraigosa, der Bürgermeister von Los Angeles, der nicht verstehen kann, dass »wir Brücken in Bagdad und Kandahar, aber nicht in Baltimore und Kansas City bauen«. Zudem betrachten fast alle radikalen Linken und die meisten liberals jede Form der Intervention, ob militärisch oder nicht, als verdächtige, wenn nicht verbrecherische Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder. Was die US-Regierung tun könnte, um etwa die arabische Demokratiebewegung im Kampf gegen die verbliebenen Dikatoren wie auch die islamistische Konterrevolution zu unterstützen, wird gar nicht erst gefragt.
So können den Linken Schleier und Sharia als schützenwertes Kulturgut gelten, während sich die Rechten bei der Erwähnung der Muslimbrüder wohl fragen, warum diese Araber so große Familien haben. Über die Außenpolitik der kommenden Jahre sagt der Wahlkampf allerdings wenig aus. Ob Bush Anfang 2001 Afghanistan für eine Insel gehalten hat, weiß man nicht, doch trat er sein Amt mit der Ankündigung an, dass die USA ihre Militärpräsenz in der Welt reduzieren würden.