Itamar Marcus im Gespräch über die innerpalästinensischen Konflikte

»Es läuft alles gut für die Hamas«

Ein Gespräch über die Auswirkung des Konflikts auf die innerpalästinensische Spaltung zwischen Gaza und Westbank.

Wie sehen die Reaktionen auf den aktuellen Konflikt in der Westbank aus?
Die Medien in der Westbank unterstützen die Fatah und stehen vor einer Herausforderung: Sie kritisieren Israel wegen Verbrechen gegen Zivilisten, wollen aber nicht die Hamas unterstützen. Sie stellen sich hinter die Menschen in Gaza, ohne sich positiv auf die Hamas zu beziehen. Allerdings werden getötete Hamas-Führer gepriesen, denn wer immer getötet wird, wird zum shahid, zum Märtyrer, und damit zum palästinensischen Nationalhelden. Auf den Straßen gab es Steinwürfe, die einige verletzte Zivilisten und Soldaten zur Folge hatten, aber bislang gab es keine großen Demonstrationen oder Unruhen. Aber die Bevölkerung, im Gegensatz zu den Medien, ist in Kriegszeiten sehr stark auf der Seite der Menschen in Gaza und unterstützt die Hamas.
Wie äußern sich Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde?
Der palästinensische UN-Botschafter hat Israel beschuldigt, bewusst Zivilisten anzugreifen, und sprach von »Staatsterror gegen das palästinensische Volk«. Mahmoud Abbas sprach von »fortgesetzter israelischer Aggression«, Zerstörung und Blutvergießen. Er beschuldigte Israel, die Spaltung des palästinensischen Volkes zu vertiefen, indem es nur Gaza angreife.
Wird die Krise die innerpalästinensische Spaltung tatsächlich vertiefen?
Die Zunahme der Gewalt seitens der Hamas in den vergangenen Monaten hat nichts mit Israel zu tun, sondern hat innerpalästinensische Gründe. Die Hamas hat an Popularität verloren und wird für die Spaltung der palästinensischen Bevölkerung zwischen Gaza und der Westbank verantwortlich gemacht. Die Führung musste etwas unternehmen, um die eigene Popularität zu steigern, und das ist das Ziel dieses Krieges. Aber je stärker die Hamas ist, desto tiefer wird die palästinensische Spaltung. Jeder, der gegen Israel kämpft, gewinnt an Popularität, darum geht es.
Wird die Hamas, mit Blick auf die Besuche politischer Führer aus Ägypten und Katar in Gaza, zur wichtigsten Vertreterin der Palästinenser?
Die Hamas ist derzeit die einzige relevante Vertreterin der Palästinenser in Gaza, aber sie will auch in der Westbank herrschen, weshalb sie so massiv ihre militärische und politische Infrastruktur ausbaut. Die Hamas will, dass die ganze Welt mit ihr verhandelt, und Besuche von politischen Führern aus Ägypten und anderen Ländern machen sie zur wahren Führungskraft. Es läuft also alles sehr gut für die Hamas.
Gibt es noch arabische Unterstützer der Palästinensischen Autonomiebehörde?
Ja, es gibt noch viele Unterstützer der PA. Der ägyptische Präsident ist nicht gegen die PA, obwohl er offenbar enger mit der Hamas verbunden ist, da er auch zur Muslimbruderschaft gehört. Derzeit sieht niemand, dass die Hamas in der Westbank ihre Macht ausbaut, also unterstützt man beide, die Hamas und die PA.
Wird die Hamas in absehbarer Zeit die Westbank übernehmen?
Es ist eine reale Möglichkeit. Es gibt auch innerhalb der PA den gleichen Trend wie in anderen islamischen Ländern, also die Unterstützung für ein Regierungssystem auf Basis der Sharia. Eine Umfrage aus dem Jahr 2010 hat in der Westbank 52 Prozent Unterstützung für einen Sharia-Staat ergeben, und das will auch die Hamas. Bei den letzten Wahlen vor einigen Jahren hat die Hamas sowohl in Gaza als auch der Westbank gewonnen. Auch die Fatah hat in den letzten Jahren stärker eine religiöse Ideologie verbreitet, sie lehrt nun, dass der Konflikt mit Israel auch religiös und nicht nur nationalistisch sei. Die palästinensischen Schulbücher lehren den Jihad, und der palästinensische Religionsminister von der Fatah hat im Fernsehen oft von einem »religiösen Krieg« gesprochen. Derzeit sind die Umfragewerte für die Hamas zwar nicht gut, weil sie für die palästinensische Spaltung und die ökonomische Situ­ation in Gaza verantwortlich gemacht wird, aber wenn man langfristige Trends und die grundlegende Ideologie der Bevölkerung betrachtet, muss man von einem Sieg der Hamas bei den nächsten Wahlen ausgehen.