Ausstellung der Fotos von Andreas Gursky in Düsseldorf

Nicht hier, nicht jetzt

Andreas Gursky macht aus jedem Knipsbild ein Großereignis und ist der Star der modernen Fotografie. In Düsseldorf kann man seine Werke in einer großen Schau sehen.

Wie wird man heutzutage Millionär? Richtig geraten: indem man in entlegenste Regionen der Welt reist, dann bevorzugt auf Berggipfel oder in Hubschrauber steigt, von dort aus Fotos schießt, sie dann digital ­bearbeitet, auf Großformat pusht – und dann kommt das Beste: sie anerkannten Galerien und Sammlern der Welt als große Kunst andreht. So hat das Andreas Gursky jedenfalls gemacht in den vergangenen 30 Jahren, seine Rhein-II-Abbildung wurde bei Christie’s in New York mit einem Verkaufspreis von knapp 3,5 Millionen Euro zur teuersten Fotografie aller Zeiten. Nebenher designte Gursky auch das Cover des Albums »Reich & Sexy« der Toten Hosen.
Zurzeit sind in Düsseldorf, wo der Künstler lebt, die besten seiner Werke in ungeordneter Hängung zu sehen. Wer die Ausstellung betritt, der erlebt im himmelsgleichen Lichtplateau des Museums eine Ordination wuchtvoller Eleganz, eine optische Ausschweifung, die die Sinne gekonnt entführt und einen Blick auf die Welt, den die meisten Menschen nie erhaschen werden, vielleicht weil sie einfach zu einfältig sind. Sie scheinen schließlich auch zu blöde und zu träge, sich eine menschlichere Welt als die kapitalistische zu erschaffen. Oder, wie es der legendäre türkische Magnum-Fotograf Ara Güler einmal formuliert hat: »Die meisten Menschen haben einfach keine Phantasie. Sie sind einfach zu dumm, um sich Dinge außerhalb des Gegebenen vorzustellen.«
Weil Gursky das aber kann, hat er sich viele Feinde geschaffen. Der schizophrene Kunstmarkt mag seine Bilder, weil sie Geld bringen. Was Geld bringt, das kann aber nicht gut sein – meinen die konservativen Kunstpuristen genauso wie der Documenta-Jünger. Beide Kritikerkreise nehmen für sich in Anspruch, Anwälte der wahren Kunst zu sein. Nachweisen können sie das natürlich nicht – weshalb der Vorwurf der inhaltsleeren Attitüde, den sie Gursky gerne machen, schlicht auf sie selber zurückfällt. Denn die Arbeit von Gursky ist der in jedem Sinne materialistische Gegenbeweis – gerade in ihrem Verzicht auf den Objektivitätsanspruch moderner Kunst ist sie ein konservatives Zitat der subjektiven Autonomie der Kunst und setzt durch die auch überformatige Überzeitlichkeit das Effektivitätsdenken des heute so verbreiteten »Kunstschaffens« außer Kraft. Den antisubjektivistischen politischen Populismus, den die Documenta alle Jahre wieder in Szene setzt, kontrastiert Gursky mit dem feinen Blick aufs Kleine. Wer die Schau durchschweift, spürt Gurskys Liebe zu den Dingen, die erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist. Die aufwendige digitale Post-Production der Bildbearbeitung am Computer ist dabei der Filter, der das Strahlen der simplen Fotografien noch hervorhebt, besonders in den Naturaufnahmen, in denen dann doch immer Menschen auftauchen. Die Graphisierung, die man aus der Malerei des Meisters Lüppertz kennt, ist nicht einfach nur Ausdruck moderner Copy-and-paste-Mentalität eines Postmodernisten, sondern Arbeits- und Stilmittel zur Verfeinerung des Ausdrucks des »Hier und Jetzt« (Gursky).
Dass Gurskys Werke nun aber auch populär werden – obwohl sie doch nur konzentriert das darstellen, was ist in der Welt, wie es die dokumentarische und die künstlerische Fotografie eben immer tun –, das macht ihn nicht nur den selbsternannten Documenta-Avantgardisten verdächtig, sondern auch den Besitzstandswahrern der Malerei. Obwohl die zeitgenössische Malerei selber sehr oft fotografische Elemente verwendet – wie die begehrte Leipziger Schule –, will man, auf Teufel komm raus, nichts mit dem Fotografie-Genre zu tun haben. Der Verdacht allerdings liegt nahe, dass es vor allem um die Angst geht, die Preise für bildende Kunst könnten verdorben werden.
Dabei stellt Gursky in seinen Werken genau die Fragen, die die Kunst seit jeher gestellt hat. Nicht zufällig lernte er bei dem Begründer der »Neuen deutschen Objektivität«, Bernd Becher, den Dingen auf den Grund zu gehen, ohne gleich Antworten parat zu haben. Den Gegenstand für sich sprechen zu lassen, ohne ihn zu interpretieren. Den Genuss des Erfasstwerdens durch einen unerwarteten Blickfang jedem Betrachter zu gestatten, und nicht bloß den Kunstkennern mit ihrer albernen Erhabenheitsattitüde. So widmet sich Gursky in seiner Bangkok-Reihe dem ornamentalen Detailreichtum des Wasserflusses genauso wie zuvor der Naturschönheit der Wüsten oder kuriosen menschlichen Massenaufläufen an überfüllten Stränden. Der Gleichförmigkeit der Menschenmasse, die aus der Ferne wie eine brave Giacometti-Armee erscheint, setzt er die ursprünglichen Formen der Natur entgegen – ohne ihre Wildheit zu romantisieren. Vielmehr scheint das von ihm technisch bearbeitete Natürliche – als gezähmtes Ungezähmtes – als alternative Wahlmöglichkeit zum jetzigen gesellschaftlich Gegebenen auf.
In der verwirrenden Entrücktheit der Darstellungen geraten aber selbst Produkte der Hochmoderne – wie ein leerer, gülden schimmernder Öltank in Katar – zu Sehnsuchtsmustern ewiger, ungestümer Attraktivität, in denen man wohnen möchte auf ewig. Gursky bringt mit seiner »Bildwürdigkeit«, wie er es nennt, die unberührte Naivität der berührten Schönheit zum Ausdruck – das Beste also, was das Leben im Kapitalismus zu bieten hat. Mit den Mitteln der modernsten Fotografiemethodik der abseitigen Poesie des Moments zur Rückkehr zu verhelfen, ist wohl das wahre Verdienst Gurskys. Nichts anderes wollte schließlich auch die »alte Kunst« – die italienische Oper war ursprünglich auch nichts anderes als ein zerstreuendes »Abendessen mit Unterhaltung« (Silvio Berlusconi) für alle, nicht nur für selbsternannte Liebhaber der schönen, hohen Künste, die sich die kleinen Fluchten aus dem Alltag leisten konnten. Vielleicht haben die Besitzstandswahrer der alten Kunst die neue anspruchswahrende Kunst immer nur deswegen so verachtet, weil sie die Kultur allen zugänglich machen möchte – geschenkt daher der elitäre Vorwurf, die Kunst­fotografie sei nur mit Hilfe der Mode- und Illustriertenindustrie geboren worden. Das Sakrale mit dem Profanen zu vereinen, das Enthobene im Gegebenen aufzulösen, dieses alte Versprechen der Kunst löst Gursky mit seiner Demokratisierung des optisch-sensualen Luxus ein. Außer für Hartz-IV-Empfänger, denn die müssen selbst bei den ermäßigten Eintrittspreisen leider draußen bleiben, damit es noch für die Lebenserhaltung reicht. Um allen das Hier und Jetzt Gurskys zu ermöglichen, dafür hatten die Sponsoren der Ausstellung von der Königsallee wohl nicht mehr genug Kleingeld übrig.

Andreas Gursky, Museum Kunstpalast Düsseldorf.
Bis 13. Januar 2013.