Charlotte Simon und Zink Tonsur von Les Trucs im Gespräch über Menschen, Dinge und Musik

»Das DIY-Ethos hat uns früh gelehrt, Selbstaus­beutung zu verklären«

Ein Gespräch mit den Mitgliedern der Konzeptkunstgruppe Les Trucs, Charlotte Simon und Zink Tonsur, über uncoole Musicals und die Sehnsucht nach dem fordistischen Arbeitsregime.

»Wir sind die lustige Arbeitertruppe«: Das elektronische Mensch-Ding-Orchester Les Trucs, bestehend aus Charlotte Simon und Zink Tonsur sowie verschiedenen elektronischen Gerätschaften, hat ein Musical über Arbeitsverhältnisse, die Flexibilisierung des Selbst und die Beziehungen von Menschen zu Dingen gemacht. Sie interessieren sich für die Schnittstellen von Musik, Politik, Performance und Kunst und wollen Grenzen überschreiten. Etwa die zwischen Performern und Publikum. Ihre Konzerte finden nicht auf der Bühne statt, sondern immer in der Mitte des Raums, die Musiker und die von ihnen bedienten elektronischen Gerätschaften sind gleichrangig. Konsequenterweise antworten die Mitglieder im Gespräch mit der Jungle World als Kollektiv.
Euer neues Album »The Musical« ist ein Konzeptalbum geworden, das sich mit dem für eure Arbeit wichtigen Verhältnis von Inhalt und Form beschäftigt. Im Song »O« bringt ihr das auf den Punkt, wenn ihr singt: »Es geht um Inhalt und Form. Das ist sehr wichtig, das ist der Punkt.«
Unser neues Album ist die konzeptuelle Behauptung eines Musicals. Es ist eine gesungene und getanzte Geschichte über das Verhältnis von Menschen zu Dingen, auf Basis der subtraktiven Synthese, synthetischer Klänge. Wir haben uns nicht nur für das Genre Musical entschieden, weil es eine erzählerische Form besitzt, sondern auch, weil es innerhalb der Popkultur als besonders uncool und peinlich gilt. Aus dem gleichen Grund finden sich auch Prog- und Fantasymetal-Elemente auf der Platte. Die sozio-politische Bedeutung der Peinlichkeit ist erstaunlicherweise ein recht unerforschtes Gebiet, obwohl sie so große Auswirkungen auf alltägliche Handlungen und Verhaltensweisen hat.
Bei Les Trucs hat die Form immer schon ganz klar den Inhalt bestimmt. Die Strukturen und Elemente, die unsere Musik prägen, stehen nie für sich selbst, sondern entstammen immer Kontexten, sind auf eine bestimmte Weise besetzt. Indem wir diese Kontexte vereinnahmen und modulieren, hoffen wir möglicherweise sogar eine Form zu finden, die nach außen weist, die aus dem referenziellen Rahmen ausbricht.
In euren Konzerten ist die klassische Bühnensituation aufgelöst. Versteht ihr eure Auftritte eher als Performance oder als Konzerte?
Bei Live-Auftritten wird das im luftleeren Raum ersponnene und zusammengemengte Material einem Realitäts-Check unterzogen. Dadurch, dass wir mit unserem Gerätetisch immer irgendwo mitten im Raum rumstehen und eben nicht auf der Bühne, ergibt sich eine größere Spannbreite möglicher Situationen als bei der herkömmlichen, frontalen Performer/Zuschauer-Aufstellung.
In dieser Position haben wir nicht das Gefühl, unter ständiger Beobachtung zu stehen. So werden Routinen vermieden und es wird das verhindert, was in Musikerkreisen »sauber abliefern« genannt wird, weil nicht vorhersehbar ist, welche Person einem als nächstes in die Tasten greift oder einen Ausdrucktanz oder eine Bierdusche in Nähe der elektronischen Geräte zele­brieren möchte. Auf diese Art verschieben sich auch Verantwortlichkeiten oder werden geschaffen. Ob das nun Performance oder Musik ist, dürfen alle selbst entscheiden. Wir finden es gut. Manchmal auch schlecht. Oder langweilig.
In dem Stück »Das Lied der Wohnmobile« heißt es: »Lasst euch hernieder, kommt herbei, wir wollen Wohnmaschinen sein.«
»Das Lied der Wohnmobile« ist inspiriert von der Idee des Cushicle von Michael Webb, einer Wohnzelle, die gefaltet auf dem Rücken getragen wird und jederzeit zu einer Wohnstätte aufgebaut werden kann. Das war damals progressiv und emanzipatorisch gemeint, heute steht diese Idee aber sinnbildlich für die Anforderungen des Systems an das Individuum, das Diktat der Selbstoptimierung und Flexibilisierung.
Für unsere Live-Auftritte hatten wir die Idee einer Performance-Maschine. Also eine Maschine, in der Mensch und Gerät zu einer symbio­tischen Masse verschmelzen. Die Schnittmenge aus Affekt und Kalkül.
Wir stehen dem Retro-Futurismus-Kitsch, der das Bild der Mensch-Maschine evoziert, zwar kritisch gegenüber, sind aber trotzdem Freundinnen der Idee, dass Maschinen dem Menschen zu einem utopischen Seinszustand verhelfen.
Euer Song »Der Nostalgieabend der fordistischen Trachtengruppe« beschäftigt sich mit fordistischen Arbeitsverhältnissen, die noch nicht unter dem Diktat der Selbstoptimierung stehen.
Eigentlich macht sich der Song über diesen Reflex lustig, der in Positionen gegen den neoliberalen Umbau immer wieder auftaucht. Wer hätte gedacht, dass das fordistische Zeitalter der technokratischen Arbeitsmühlen mal als Beispiel für gute, menschliche Arbeitsbedingungen herhalten kann?
Natürlich ist dieses Verlangen nach sicheren Verhältnissen und einer behütenden und leitenden Instanz ein nachvollziehbarer Wunsch in Zeiten des Selbstmanagements. Wir können darüber aber nur lachen, denn als Angehörige des Kulturprekariats haben wir in vorauseilendem Gehorsam unser Selbst schon längst optimiert. Wir sind als Gruppe, bestehend aus zwei kachek­tischen Menschen und ein paar Maschinen in zwei Rimowa-Rollkoffern, bestens aufgestellt, um mit niedrigen Gagen und unregelmäßigen Engagements überleben zu können. Das DIY-Ethos hat uns früh gelehrt, Selbstausbeutung zur Überzeugung zu verklären, deswegen macht es uns nicht viel aus, gegen widrige Umstände zu produzieren. Die Möglichkeit der Querfinanzierung erlaubt es uns außerdem, Geld aus Fördertöpfen in unsere eigenen Taschen zu lenken und so dem Drang zu widerstehen, ökonomisch rentable Dinge zu tun.
Unter Querfinanzierung versteht ihr Projekte wie eure Theaterarbeit?
Das Theaterstück »Tod und Wiederauferstehung der Welt meiner Eltern in mir«, das kürzlich am Staatstheater Hannover Premiere hatte, wurde von unserem Freund Nis-Momme Stockmann geschrieben und verhandelt verschiedenste antikapitalistische Perspektiven mit all ihren Ausbruchsversuchen, Widersprüchen und Ressentiments als fünfstündiges Stationendrama. Dabei liefern wir, blond, in drei Metern über dem Boden schwebend, mal szenenunterstützendes Komfortrauschen, mal handlungsanleitendes Geklimper, dabei aber immer unser eigent­liches Ziel verfolgend: die Intonation eines heilbringenden Musicals.
In dem Theaterstück steht Politik im Vordergrund, im Bandkonzept wird Politisches eher im Subtext verhandelt. Ich habe euch aber immer als politische Band wahrgenommen, ist euch das recht?
Ja. Am besten zitieren wir uns selbst: »Analyse und Zerstreuung«!
Das klingt, als hofftet ihr, dass die Popkultur zumindest noch eine emanzipative Kraft hat?
Mit Hoffnung hat das eigentlich nichts zu tun. Sondern eher mit Notwendigkeit. Wenn wir uns als politische Subjekte begreifen, haben unsere Handlungen auch einen politischen Anspruch. Jede Dekade hat doch ihre Ausdrucksform, ob das nun das utopische Versprechen der Achtziger oder der Diskurspop der Neunziger war. Wenn Pop jetzt tot ist, sind wir vielleicht dessen untote Auswüchse.
Ihr beschreibt euch als an den Schnittstellen von Performance, Kunst und Musik arbeitend. In welchen Traditionen seht ihr euch da?
Diese Selbstbeschreibung dient eigentlich nur dazu, uns für Menschen aus den verschiedenen Bereichen interessant zu machen. Die Idee ist ansonsten eher, Schnittstellen zu verwischen oder zu ignorieren.
Die kollektive Bündelung von Unvermögen, Vorstellungen und Inselbegabungen ermöglicht hybride Formen wie musikalische Lesereisen, Science-Fiction-Pflanzen-Porno als Live-Show, Bildungsspaziergänge der »Initiative neues urbanes Rauschen«, Chor-Konzerte und Videos. Dabei sehen wir uns nicht unbedingt in irgendwelchen Traditionen, fühlen uns aber mit einer artifiziellen Punk-Herangehensweise verbunden, wie sie bei Dan Graham, Tony Oursler oder Laurie Anderson zu finden ist.
Les Trucs: The Musical. (Zeitstrafe / Knertz)