About a Girl
Aalle lieben Rihanna, die Normalos, die Migranten-Kids, die Studierenden, die Linken, die Lesben, die Gays. Dabei ist Rihanna nicht mal mehr hübsch, seit sie ihr karibisch wallendes Haar auf Hipster-Unisex-Rasur getrimmt hat. Aber vielleicht liegt es gerade am fehlenden Charisma, auch Günther Jauch ist schließlich der beliebteste deutsche TV-Star. Nun denn, die ganzen Fetisch-Videos, die sie in den letzten Jahren auf den Markt geschmissen hat, waren ganz nett, aber das machen im härter werdenden Wettbewerb um Aufmerksamkeit ja alle kleinen wie großen Pop-Acts, die Pussycat Dolls, Miley Cyrus, Lady Gaga, Beyoncé, Christina Aguilera, J-Lo und viele andere. Komisch also, dass gerade Rihanna die derzeit erfolgreichste Sängerin ist, und das fast weltweit. Ist es die belanglose Mischung aus pubertärem On-Off-Schmonzes, infantilem Wendy-Feminismus, stilloser Punk-Proll-Ästhetik im Prozac-Rausch und marketinggerechter Widerständigkeit, die das PR-Konzept des All-American-Girl so gut aufgehen lässt? Wo soll das bloß hinführen? Ist mit Whitney Houston etwa die letzte Diva der Black Music gestorben?
Nein, denn endlich ist Alicia Keys wieder da, mit ihrem neuen Album »Girl On Fire«. Drei Jahre war von der 31jährigen Italo-Afroamerikanerin musikalisch nichts zu hören. Nachdem sie Mutter geworden war, tauchte sie auch selten in der Yellow Press auf, doch Daily Mail kürte sie wegen ihres geschmackvollen Stylings bei Familienausflügen zur »coolest mom«. Im Unterschied zu anderen Stars pflegt Keys weder die Attitüde der drogenindizierten Selbstzerstörung noch die der prüden Hockey-Mom. Britney Spears bewegte sich mehr oder weniger erfolgreich zwischen beiden Images. Man wird jedenfalls den Eindruck nicht los, dass viele der in Kalifornien lebenden Popstars irgendwann verkümmern, während jene, die das Weite gesucht haben, etwa Johnny Depp, eine positive Entwicklung durchmachen. Alicia Keys jedenfalls scheint eine »unbreakable« New Yorkerin zu sein, mit der Toughness einer Frau aus dem Italo-Viertel Hell’s Kitchen, wo sie aufwuchs, und der selbstverständlichen Eleganz eines Mädchens, das eine Ballettausbildung genossen hat. Sie ist cool, stylish, feminin, eine Künstlerin mit konservativem Touch. Marketingtechnisch vereint sie Street-Credibility mit Upper-East-Side-Intellektualität. Das Bild der intellektuellen Schwarzen mit dem kunstvoll geflochtenen Haar, die auf europäische Art ihre Musikinstrumente spielt, steht in der Tradition einer Erykah Badu oder der Fugees-Sängerin Lauryn Hill.
Als Keys vor elf Jahren schlagartig berühmt wurde, erklärte die damals 20jährige: »Wenn meine Freunde abends ausgehen, dann setze ich mich ans Klavier und übe.« Ihr Debütalbum »Songs in a Minor« mit dem Hit »Fallin’« war ein großer Erfolg und wurde mit fünf Grammys ausgezeichnet. Danach lebte Keys für einige Monate in Afrika, nahm drei weitere Alben auf, veröffentlichte das Musikbuch »Tears For Water« und schauspielerte auch. Von der kultivierten Profikillerin, die sie in »Smokin’ Aces« verkörpert, hätte man sich sogar töten lassen. Mit den White Stripes kollaborierte sie für den James-Bond-Titel zu »Quantum of Solice«, ein Youtube-Renner wurde ihre Super-Bowl-Interpretation von »America the Beautiful« während des Irak-Kriegs.
»Girl On Fire« ist die zeitgenössische Wiedergeburt des Soul der Sechziger und des R&B der Neunziger mit dem Glamour und dem anmaßenden Vibrato der Achtziger. Die Melodien werden eingefangen von schmetternden Vocals, die sich in der lieblichen Harmonie des Klaviers auflösen. »Empire State of Mind«, ihre grandiose New-York-Hymne mit Jay-Z im Jahr 2009, deutete schon an, dass Keys das Hymnische wie bei R. Kelly und Queen wiederbeleben und nicht im nappy headed-Folk versanden würde. Das Element der Freiheit, das der Titel des damaligen Album evoziert, kommt auf der neuen Platte musikalisch voll zum Tragen: Die Hookline von »Fire We Make« ist der Höhepunkt des ambitionierten Repertoires, das vom klassischen Intro über Dancehall-Breakbeats bis zur voluminösen Up-Tempo-Nummer »Girl On Fire« mit der wandlungsfähigen Nicki Minaj reicht.
Alicia Keys beweist einmal mehr, dass schwarze Musik im Zusammenspiel mit bourgeoisen Traditionen die bildende Kunst der USA ist. Auch der weiße Southern Folk eines Pete Seeger oder der der lebenden Legende Willie Nelson lustwandelt zwischen melancholischem Blues und beschwingtem Tanz auf den Akkorden. Gleichwohl zeigt Keys durch ihre Zusammenarbeit etwa mit Dr. Dre, dass auch der Gangsta-Rap nicht zu dem Atavismus neigen muss, der ihm immer wieder unterstellt wird – sonst hätte dieses wuchtige Genre wohl nicht derart viele weibliche Fans: Schließlich geht es darin in jeder erdenklichen Weise nur um Frauen und um Feminität. Die »schwarze amerikanische Frau« ist sicherlich eine Erfindung der Kulturindustrie. Diese Bildfabrik aus den Zeiten von »Amos & Andy« destruierten erstmals die politischen Fashionistas der Black Panthers und die Blaxploitation-Filme der Siebziger (Keys steuerte übrigens den Soundtrack zum Remake von »Shaft« im Jahr 2000 bei). Nach der tödlichen Repression des schwarzen Untergrunds endete die Neudefinition der Black Girl Power in der Oprah Winfrey Show. Erst mit Salt’n’Pepa (»Let’s Talk About Sex«) und den toughen Damen von En Vogue (»Free Your Mind«) gab es eine weibliche Antwort auf das maskuline »Sexual Healing« eines Marvin Gaye. Die kraftstrotzende Ausdifferenzierung der Geschlechterbilder reichte wiederum von der Big Mama Gloria Gaynor (»I Will Survive«) und Whitney Houston, für die Keys Songs schrieb (»We Will Be Free«), über Destiny’s Child (»I’m A Survivor«) und Mary J. Blidge bis zu den Femi-Gangstas Da Brat, Lil’ Kim (mit Missy Elliot: »Hit Them Wit Tha Hee«) und Foxy Brown (»Broken Silence«).
Auf diese wilden, bunten Zeiten der späten Neunziger folgte dann aber »Back to Black«: Amy Winehouse zitierte den Blues der Sechziger, es wurde weniger laut. Mit Adele, Ida Corr, Rebekka Ferguson, Caro Emerald, Jessie J, Dionne Bromfield oder der erwachseneren Nelly Furtado schwappte in den letzten Jahren die schöne Retro-Welle über den Riot-Grrl-Hype der MTV-Generation. Die Stimmgewalt dieser neuen Stars geht einher mit der Anmut und Grazie, die auch Keys schon in ihrem »Superwoman«-Clip zeigte. Dieser neue popkulturelle Feminismus scheint den überflüssigen Libidoeffekt des Blankziehens nicht mehr nötig zu haben. Er überzeugt durch ikonische Raffinesse und überzeitlichen Stil. Whitney Houston war laut New York Times »das Stilbild der letzten Jahrzehnte«, Keys könnte mit ihrer Modestrecke in der Vogue Italia ihre Nachfolgerin werden.
Als Diva wurde sie von Bob Dylan in dem Song »Thunder on the Mountain« geehrt. Laut Rolling Stone soll er sogar gesagt haben: »There’s nothing about that girl that I don’t like«.
Alicia Keys: Girl On Fire. Rca Int./Sony Music