Die Zukunft des Essens

Selbst gedruckt schmeckt es am besten

Bio-Drucker, Adams-Tiere und Algen bis zum Abwinken. Was die Zukunft für uns alles an Essen parat hält.

Weihnachten ist es immer besonders schlimm. Dass nach Jazz, Privatfernsehen und Halloween eines Tages auch Truthähne über den Atlantik zu uns kommen würden, wäre an sich ja noch zu verkraften gewesen. Aber diese Adams-Turkeys nerven mit ihrer Penetranz ganz ungeheuerlich. Seit sie herausgefunden haben, dass ich noch keinen Bio-Printer in der Küche habe, hocken sie ständig bei uns im Hausflur, und sobald man mal die Tür aufmacht, fallen sie über einen her: »Los, schlachte mich!« gurren sie dann aufgeregt auf mich ein. »Schlag mir den Kopf ab! Nimm mich aus! Tranchier mich, aber richtig!« Dabei flattern sie dann so albern und unbeholfen um einen herum. Sie können ja nichts dafür, denke ich mir, aber es sieht einfach furchtbar aus. Wenn sie wenigstens noch Federn hätten! Aber die mussten diese DNA-Ingenieure ja auch gleich wegmachen, war ja niemandem mehr zuzumuten, den Festtagsbraten vor der Zubereitung auch noch zu rupfen. Da, meine ich, hätten sie aber auch gleich diese Rudimente von Flugverhalten weglassen sollen. Das kann doch so schwer nicht sein, den Abschnitt im Genom dann auch noch zu finden, in dem dieses lächerliche Herumgeflattere programmiert ist.
Ich weiß ja nicht, ob das alles so auf dem richtigen Weg ist. Das hätte Douglas Adams so bestimmt auch nicht gewollt, dass einem schon morgens im Hausflur zehn Kilogramm schwere Riesenhähnchen mit Gänsehaut um die Beine herumhüpfen, dabei unbeholfen mit ihren Flügelstummeln wackeln und darum betteln, dass man ihnen endlich die Rübe abhaut. Ganz abgesehen von der neuen Vogelgrippe-Problematik, denn die armen Viecher haben natürlich ständig Schnupfen, weil sie nackt durch die Stadt marodieren auf der Suche nach jemandem, der sich ihrer erbarmt. Da druckt man sich sein Essen wirklich bald lieber selbst aus dem »HerdJet«. Aber der Reihe nach.

Dass das mit dem Fleischkonsum und der Welternährung so nicht weitergehen konnte, war ja im Grunde schon Ende des 20. Jahrhunderts klar. Zu viel Fläche, zu viel Wasser, zu wenig Kalorien. Einerseits. Und andererseits eben all diese unschönen Nebenerscheinungen der Massentierhaltung. Die niedlichen Tiere aus unseren Bauernhof-Kinderbüchern und das unverhoffte Wiedersehen später auf dem Grill – das war auf Dauer ethisch einfach nicht durchzuhalten. Entsprechend euphorisch wurden die ersten Meldungen über Adams-Vieh aufgenommen. Der Schriftsteller Douglas Adams hatte einst, als das noch blanke Science-Fiction war, sein »Restaurant am Ende des Universums« entworfen, in dem eigens zu diesem Zweck gezüchtete Schweine an den Tisch der Gäste kamen, um ihre eigenen Körperteile anzupreisen und loszuschlagen. Als klar wurde, dass Schmerz in einer klar abgrenzbaren Hirnregion lokalisiert ist und gezielt ausgeschaltet werden kann, war der erste Schritt zur Verwirklichung dieser Idee eigentlich schon recht nah. Ein paar Arbeitsschritte der DNA-Ingenieure weiter waren die Adams-Tiere dann Wirklichkeit: Geschöpfe, die nichts sehnlicher wünschten, als geschlachtet und verspeist zu werden.
Erst sah alles nach einem Riesenerfolg aus und der Fleischmarkt boomte, aber die Lösung war es letztlich doch nicht. Der Ressourcenverbrauch für Adams-Fleisch war natürlich ebenso groß wie zuvor, und die Tierrechtler warfen den Adams-Tieren Anthropozentrismus vor. Also, nicht den Tieren direkt selbst, die waren ja immer noch Tiere, auch wenn irgendein DNA-Scherzkeks ihnen dieses lästige, sehr eingeschränkte und absolut monothematisch orientierte Sprachzentrum eingebaut hatte. Aber jedenfalls verdammten die Tierrechtler die neuen Geschöpfe und betrachteten sie als weitere Eskalationsstufe der Ausbeutung. Womit sie natürlich schon irgendwie recht hatten, nur dass die Bedürfnisse der betroffenen Adams-Tiere halt in die völlig entgegengesetzte Richtung gingen, denn die wollten ja nun einmal unbedingt geschlachtet werden.
Es war natürlich nur eine Frage der Zeit, bis erste Tierbefreier die Adams-Tiere aus Zuchtanlagen holten und auf eigens dafür eingerichtete Gnadenhöfe brachten. Allerdings mussten sie sie dort praktisch unter Gewaltanwendung am Leben erhalten. Es waren schon schreckliche Bilder, die damals über die Bildschirme liefen: All diese jämmerlich um Schlachtung bettelnden Tiere, die letztlich fixiert werden mussten, damit sie sich selbst nichts antun konnten. Spätestens als die ersten Gnadenhofbetreiber wegen Tierquälerei verurteilt worden waren, wurde die ganze Diskussion den meisten Menschen unterm Strich dann doch zu kompliziert und mühsam.

Da traf es sich gut, dass gleichzeitig auch auf anderen Gebieten große Erfolge erzielt wurden. Die Sache mit den Algen etwa. Gesund und nahrhaft. Kulinarisch auf Dauer vielleicht nicht so jedermanns Sache, aber billig. Endlich war das Welthungerproblem gelöst. Und wichtige Teile des Müllproblems der Industrieländer gleich mit, seit bei der Abfallverwertung diese organischen Po­wer-Schlacken abfallen, die als Nährstofflieferant für die ausgedehnten asiatischen Algenzuchten eingesetzt werden können. Eine großartige Kreislaufwirtschaft: Unser Müll wird schön verschlackt, im Meer verklappt, dadurch wiederum wachsen die Algen, die dann anschließend bei den Armen der Welt auf dem Teller landen.
Zum Glück nicht bei uns. Dafür haben wir schließlich die tollen neuen 3D-Drucker. Denn die Sache lag eigentlich schon lange auf der Hand: Ob Steak oder Wirsing, ob Scampi oder Salatkopf, letztlich sind es doch alles nur Kohlenstoffketten – mit ein bisschen Zusatz an Vitaminen und Spurenelementen, aber die fallen bei der Müllverbrennung sowieso reichlich ab. Als 2012 erstmals das Konzept für das Bio-Printing und das Synthetikfleisch vorgestellt wurde, dachten die meisten natürlich noch, dass das auch nur so eine neumodische Spinnerei sei. Wie die Sache mit dem Telefon zuvor. Oder dem Auto. Oder dem Flugzeug. Oder dem Internet. Heute, wo praktisch ­jeder einen Heim-Bio-Printer in der Küche hat, schmunzeln wir darüber natürlich. Obwohl ich auch eher Traditionalist bin. Ich gehe immer noch lieber zum Fleisch- oder zum Obst-und-Gemüsedrucker um die Ecke, ich finde, das schmeckt irgendwie auch natürlicher. Und ja, es gab den großen Gammeltinte-Skandal vor ein paar Jahren, aber trotzdem ist es mir sympathischer, wenn mein Essen aus richtigen Profidruckereien kommt und nicht aus diesen neuen nachhaltigen, geschlossenen Kohlenstoffketten-Systemen, wo der Toilettenabfluss direkt in den Bio-Tinte-Generator führt, auch wenn das natürlich wahnsinnig sparsam ist.

Auf dem Rückweg von der Brötchendruckerei scheuche ich ein paar der bibbernden Truthühner zur Seite. Ich werde dabei immer ein bisschen traurig. Ich gehöre ja zu den wenigen Menschen, die sich noch erinnern, wie das damals war, als es noch richtige Tiere gab: Kühe mit Fell und Schweine mit Borsten und eben Geflügel mit Federn. Nachdem die klassischen Nutztiere aber parallel zur Einführung der Adams-Tiere alle unveräußerliche Grundrechte bekamen und seitdem nicht mehr gezüchtet, in Gefangenschaft gehalten und geschlachtet werden dürfen, dauerte es natürlich nur zwei, drei Schweine-Generationen, bis es sie einfach gar nicht mehr gab. Die Tierrechtler waren zwar zunächst sehr zufrieden, denn nur ein Tier, das nicht mehr existiert, leidet nicht mehr. Aber ich vermisse sie trotzdem, wenn ich in einem Anfall von Melancholie in den Bauernhof-Kinderbüchern blättere.
Und so richtig glücklich, wie gesagt, sind die Tierrechtler mit der Situation insgesamt auch nicht. Erstens haben sie jetzt die Adams-Tiere am Hals, die sie in ziemliche moralische Dilemmata bringen, erst recht, seit die auch niemand mehr essen will, weil sich jetzt alle ihren Braten, ganz ohne den lästigen Umweg über was auch immer für Tiere, fertig ausdrucken lassen. Und zweitens stehen sie jetzt im Kreuzfeuer der Pflanzenrechtler, die ihnen Zoozismus vorwerfen, weil sie eine willkürliche Trennung der Lebewesen vornähmen in mit Rechten ausgestatteten Tieren einschließlich des Menschen und rechtlose Pflanzen. Ein klassischer Fall von Othering also. Früher waren pflanzenrechtliche Positionen nicht sonderlich mehrheitsfähig in der Gesellschaft, aber seit diese Bio-Drucker Lasagne, Tofu und Brombeeren auswerfen können, gibt es natürlich überhaupt keinen Grund mehr, für die menschliche Ernährung lebende, wachsende, sehr wohl zu Reaktionen auf Umweltreize fähige Pflanzen zu töten. Synthetik-Tofu schmecke aber nun mal nicht so gut wie echter, aus richtigen Sojabohnen gewonnener Natur-Tofu, argumentieren konservative Veganerinnen und Veganer, er sei auch viel weniger ökologisch, aber das sind natürlich überholte Argumentationsmuster.
Ein stattlicher Truthahn hat sich vor meiner Wohnungstür aufgebaut und weigert sich, zur Seite zu treten. »Nur über meine Leiche!« gurrt er mir entgegen. Na gut, denke ich, was soll’s. Dann gibt’s eben dieses Jahr doch wieder Geflügel zu Weihnachten. Ich packe mir den Vogel und drehe ihm den Hals um. Zufrieden gluckst er mich an, bevor seine Augen brechen.