Die neue Verfassung in Ägypten

Schlecht fürs Geschäft

Die neue Verfassung in Ägypten ist weniger islamistisch als unoriginell.

Wieder einmal haben die Muslimbrüder in Ägypten gewonnen. Der Verfassungsentwurf, der fast ausschließlich von Islamisten geschrieben worden ist, wurde im Referendum angenommen. Die Wahlbeteiligung lag bei 33 Prozent, 64 Prozent der ägyptischen Wählerinnen und Wähler stimmten zu, insgesamt sind das aber nur knapp elf der 84 Millionen Einwohner Ägyptens.
Tatsächlich stimmten gut sechs Millionen Menschen weniger für die neue Verfassung als noch im Sommer für Präsident Mohammed Mursi. Die Islamisten haben seit den Parlamentswahlen 2011/12 kontinuierlich an Zustimmung verloren – in einem Maße, welches kaum allein damit zu erklären ist, dass Regierungsparteien grundsätzlich an Beliebtheit verlieren, wenn sie Probleme nicht schnell lösen.
Trotzdem haben die Muslimbrüder und ihre kleinen Brüder, die Salafisten, gezeigt, dass sie es immer noch verstehen, ihre Anhänger zu mobilisieren. In den ländlichen Gebieten stimmten weit über 70 Prozent der Wähler für den Verfassungsentwurf, in einigen Orten wie im Mittelmeerstädtchen Marsa Matrouh erinnerten die Ergebnisse mit 91 Prozent an die Zeit der Diktatur. Besonders hohe Zustimmung gab es in touristischen Gebieten. Dort ist man keineswegs zufrieden mit der Regierung, unterstützt aber auch nicht die Opposition.
Mursi mag also Recht haben, wenn er bei der Unterzeichnung der neuen Verfassung sagte, viele Ägypter seien des Protestierens müde. Die Massendemonstrationen in den Städten schaden dem Tourismus. Im Dezember kamen – wohl aufgrund der Proteste gegen die Verfassung – per Flugzeug 40 Prozent weniger Gäste nach Ägypten als noch im Vormonat. Ob diese Wählerinnen und Wähler es Mursi nachsehen werden, dass er ihnen mit dem Referendum das Weihnachtsgeschäft kaputtgemacht hat, wird sich in zwei Monaten zeigen. Dann stehen die nächsten Parlamentswahlen an.
Mit der neuen Verfassung ändert sich in Ägypten nicht viel. In weiten Teilen entspricht sie der alten Verfassung von 1971. Die Prinzipien der Sharia bleiben die Quelle der Gesetzgebung, Frauen müssen weiterhin ihren Familienpflichten nachkommen und Christen genießen keinen besonderen Minderheitenschutz. Allerdings sind gleiche Rechte für alle und Freiheitsrechte garantiert. Das Problem der Verfassung ist nicht, dass sie besonders islamistisch ist, sondern dass sie nur wenige echte Verbesserungen bringt. Darunter findet sich die Limitierung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Wahlperioden.
Die Verfassung gleicht damit dem Regierungsstil der Muslimbrüder: Mangels Ideen macht man einfach so weiter wie bisher. Für eine politische Bewegung, die sich anders als jede der neu entstandenen Oppositionsparteien jahrzehntelang auf die Regierungsübernahme hat vorbereiten können – und sie auch immer angestrebt hat –, ist das ein Armutszeugnis. Dabei machen die regierenden Islamisten in Tunesien vor, wie es anders gehen kann. Dort entschied die verfassungsgebende Versammlung, dass man nicht die Verfassung von 1959 umschreiben, sondern ein völlig neues Papier ausarbeiten werde. Die Kommissionen wurden mit Vertretern aller Parteien besetzt, wobei die Opposition überproportional vertreten ist. Auch nimmt man sich mehr Zeit: Erst im Juni ist ein Referendum geplant.