Atommüll raus!
Es ist ein bekanntes Muster. Können Lobbyisten irgendeiner Industrie sich in nationalen Parlamenten mit ihren Interessen nicht durchsetzen, versuchen sie es auf europäischer Ebene. Gegenüber NGOs und Gewerkschaften hat die Industrie in Brüssel eine strukturelle Übermacht, die sich häufig in einer industriefreundlichen EU-Gesetzgebung manifestiert.
Die Atomindustrie bildet da keine Ausnahme, nicht zuletzt weil die bereits 1957 im Zuge der Römischen Verträge gegründete Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) bis heute einen wichtigen Bestandteil des EU-Apparats bildet. Seit 2010 vertritt mit Günther Oettinger (CDU) ein atomfreundlicher Energiekommissar an zentraler Stelle die Interessen der deutschen Atomindustrie. So verwundert es wenig, dass von der EU-Kommission 2011 eine Richtlinie beschlossen wurde, die der Atomindustrie den Export von Atommüll ins inner- wie außereuropäische Ausland ermöglichen soll.
Dies ist der Hintergrund der Diskussion um einen Gesetzentwurf des Umweltministeriums, mit dem die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden soll. Allerdings kommt die Bundesregierung der Atomwirtschaft auch bei der Umsetzung weit entgegen. Vorgesehen ist die Aufnahme eines neuen Paragraphen 3a in das Atomgesetz, im dem die »Verbringung radioaktiver Abfälle oder abgebrannter Brennelemente zum Zweck der Endlagerung« geregelt wird. Zulässig wäre der Export in einen anderen Staat der Europäischen Union, wenn dort bereits ein Endlager in Betrieb ist. In ein »Drittland« außerhalb der EU dürfte Atommüll geliefert werden, wenn das Empfängerland zuvor sowohl mit der Bundesrepublik als auch mit der Europäischen Atomgemeinschaft Nutzungsverträge abgeschlossen hat. Ein solches Drittland müsste sowohl über ein Endlager wie auch über ein Programm für die Entsorgung und Endlagerung radioaktiver Abfälle verfügen, »dessen Ziele ein hohes Sicherheitsniveau bedeuten«.
Möglichen Ängsten, der Atommüll könnte zukünftig einfach im Ausland abgekippt werden, trat Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) entgegen. Im WDR versprach er: »Wir werden den hoch radioaktiven Müll, der in Deutschland angefallen ist, auch in Deutschland entsorgen.« Er verwies jedoch auch darauf, dass bis jetzt noch kein Standort für ein Endlager gefunden werden konnte. Einerseits könnte die Verknüpfung beider Themen als Rechtfertigung dafür dienen, dass die Regierung mit größerer Härte an Gorleben als Standort festhält, andererseits eröffnet die Neuregelung eine neue Option, falls die Suche nach einem neuen Endlager scheitern sollten. Das ist auch die Auffassung von Kurt Herzog, dem Umweltexperten der Fraktion von »Die Linke« im niedersächsischen Landtag: »Für diesen Fall sucht die Regierung eine Hintertür, und die will sie sich öffnen, indem sie EU-Vorgaben für ihre Zwecke modifiziert.«
Dass rechtliche Möglichkeiten zum Export von Atommüll bereits bestehen, zeigte sich beispielsweise 2010, als der damalige Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) entschied, Brennelemente aus Ahaus ins russische Majak zu verbringen. Rechtsgrundlage waren damals schon lange bestehende Verträge. Majak gilt als am stärksten radioaktiv verseuchter Ort der Welt. Heftiger öffentlicher Protest ließ daher nicht lange auf sich warten und verhinderte diesen Atomexport.
Erfolgreich dagegen konnte die Firma Urenco, deren Anteilseigner neben Firmen im Besitz der britischen und niederländischen Regierung auch die deutschen Stromversorger Eon und RWE sind, zwischen 1996 und 2008 mehrfach abgereichertes Uran aus der Urananreicherungsanlage in Gronau auf dem Schienenweg ins sibirische Sewersk schaffen. Der als »Wertstoff« deklarierte radioaktive Abfall lagert dort seitdem in Stahlfässern unter freiem Himmel.
Derartige Praktiken jenseits in der EU üblicher Sicherheitsstandards öffnen einem Dumpingwettbewerb auf dem Atommüllmarkt Tür und Tor. Diese Gefahr sieht auch der Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, der gegenüber Spiegel Online warnte, es drohe »eine Lagerung unter Bedingungen, die wir nicht mehr kontrollieren können«.